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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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wesen, als diese ehrwürdige Versammlung. Kein ein¬
ziger Mann, der nicht für sein Vaterland eine ehren¬
volle Wunde trug, die ihm die Dankbarkeit seiner
Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer Chirurgie und
Mechanik wandelten Leute ohne beyde Füsse so fest
und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine
Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glau¬
ben vielleicht noch für Freyheit und Gerechtigkeit ge¬
fochten zu haben und verstümmelt zu seyn.

Morgen will ich zu Fusse fort, und bin eben bloss
aus Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizey gewe¬
sen: denn man weiss doch nicht, welche Schwierig¬
keiten man in der Provinz haben kann. Meine Lands¬
leute und Bekannten hatte mir gleich beym Eintritt
in die Stadt gesagt, ich müsste mich mit meinem
Passe auf der Polizey melden, und redeten viel von
Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist
die Sache der Polizey, sich um mich zu bekümmern,
wenn sie will; ich weiss nichts von ihrem Wesen.
Man hat von Basel aus bis hierher nicht nach mei¬
nem Passe gefragt; auch nicht hier an der Barriere.
Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte übri¬
gens kein Wort, dass ich etwas zu thun hätte. Wenn
mich die Polizey braucht, sagte ich, wird sie mich
schon holen lassen; man hätte mir das Nöthige an der
Barriere im Wagen oder im Wirthshause sagen sollen.
Es fragte auch niemand. Indessen, da ich fort will,
ging ich doch hin. Der Offizier, der die fremden
Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich an, besahe
mich und den Pass und sagte sehr freundlich, ohne
ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nöthig; Sie

wesen, als diese ehrwürdige Versammlung. Kein ein¬
ziger Mann, der nicht für sein Vaterland eine ehren¬
volle Wunde trug, die ihm die Dankbarkeit seiner
Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer Chirurgie und
Mechanik wandelten Leute ohne beyde Füſse so fest
und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine
Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glau¬
ben vielleicht noch für Freyheit und Gerechtigkeit ge¬
fochten zu haben und verstümmelt zu seyn.

Morgen will ich zu Fuſse fort, und bin eben bloſs
aus Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizey gewe¬
sen: denn man weiſs doch nicht, welche Schwierig¬
keiten man in der Provinz haben kann. Meine Lands¬
leute und Bekannten hatte mir gleich beym Eintritt
in die Stadt gesagt, ich müſste mich mit meinem
Passe auf der Polizey melden, und redeten viel von
Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist
die Sache der Polizey, sich um mich zu bekümmern,
wenn sie will; ich weiſs nichts von ihrem Wesen.
Man hat von Basel aus bis hierher nicht nach mei¬
nem Passe gefragt; auch nicht hier an der Barriere.
Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte übri¬
gens kein Wort, daſs ich etwas zu thun hätte. Wenn
mich die Polizey braucht, sagte ich, wird sie mich
schon holen lassen; man hätte mir das Nöthige an der
Barriere im Wagen oder im Wirthshause sagen sollen.
Es fragte auch niemand. Indessen, da ich fort will,
ging ich doch hin. Der Offizier, der die fremden
Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich an, besahe
mich und den Paſs und sagte sehr freundlich, ohne
ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nöthig; Sie

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[469 /0497] wesen, als diese ehrwürdige Versammlung. Kein ein¬ ziger Mann, der nicht für sein Vaterland eine ehren¬ volle Wunde trug, die ihm die Dankbarkeit seiner Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer Chirurgie und Mechanik wandelten Leute ohne beyde Füſse so fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glau¬ ben vielleicht noch für Freyheit und Gerechtigkeit ge¬ fochten zu haben und verstümmelt zu seyn. Morgen will ich zu Fuſse fort, und bin eben bloſs aus Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizey gewe¬ sen: denn man weiſs doch nicht, welche Schwierig¬ keiten man in der Provinz haben kann. Meine Lands¬ leute und Bekannten hatte mir gleich beym Eintritt in die Stadt gesagt, ich müſste mich mit meinem Passe auf der Polizey melden, und redeten viel von Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist die Sache der Polizey, sich um mich zu bekümmern, wenn sie will; ich weiſs nichts von ihrem Wesen. Man hat von Basel aus bis hierher nicht nach mei¬ nem Passe gefragt; auch nicht hier an der Barriere. Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte übri¬ gens kein Wort, daſs ich etwas zu thun hätte. Wenn mich die Polizey braucht, sagte ich, wird sie mich schon holen lassen; man hätte mir das Nöthige an der Barriere im Wagen oder im Wirthshause sagen sollen. Es fragte auch niemand. Indessen, da ich fort will, ging ich doch hin. Der Offizier, der die fremden Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich an, besahe mich und den Paſs und sagte sehr freundlich, ohne ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nöthig; Sie

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 469 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/497>, abgerufen am 28.03.2024.