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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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öffentlichen Blatte, wo der Verfasser eine Parallele zwi¬
schen dem französischen und englischen Nationalcha¬
rakter zog. Man blieb ungewiss, ob das Ganze Ernst
oder Ironie war. Er liess den Britten wirklich den
Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine
Nation durchaus nur die schöne Humanität und den
Geschmack. Wenn sich das letzte nur ohne das erste
halten könnte. Die Ausführung war wirklich drollig.
Er sagt nicht undeutlich, die ganze Revolution sey
eine Sache des Geschmacks und der Mode gewesen;
und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man fast
geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat
Ströme Blut gekostet; und wenn man so fortfährt
wird fast so wenig dadurch gewonnen werden, als
durch jede andere Mode der Herren von der Seine.

Die Polizey ist im Allgemeinen ausserordentlich
liberal, wenn man sich nur nicht beygehen lässt, sich
mit Politik zu bemengen. Das ist man in Wien auch.
Der Diktator scheint das alte Schibolet zu brauchen,
panem et circenses. Wenn ich in irgend einer grossen
Stadt zu leben mich entschliessen könnte, so würde
ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr als eine
andere Nation dafür gesorgt, dass man in der Haupt¬
stadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien,
die elysäischen Felder, die Boulewards, Luxenburg,
der botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und
mehrere andere öffentliche Orte gewähren eine schöne
Ausflucht, die man durchaus in keiner andern grossen
Stadt so trifft. Eine meiner sentimentalen Morgen¬
promenaden war die Wachparade der Invaliden zu se¬
hen; in meinem Leben ist mir nichts rührender ge¬

öffentlichen Blatte, wo der Verfasser eine Parallele zwi¬
schen dem französischen und englischen Nationalcha¬
rakter zog. Man blieb ungewiſs, ob das Ganze Ernst
oder Ironie war. Er lieſs den Britten wirklich den
Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine
Nation durchaus nur die schöne Humanität und den
Geschmack. Wenn sich das letzte nur ohne das erste
halten könnte. Die Ausführung war wirklich drollig.
Er sagt nicht undeutlich, die ganze Revolution sey
eine Sache des Geschmacks und der Mode gewesen;
und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man fast
geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat
Ströme Blut gekostet; und wenn man so fortfährt
wird fast so wenig dadurch gewonnen werden, als
durch jede andere Mode der Herren von der Seine.

Die Polizey ist im Allgemeinen auſserordentlich
liberal, wenn man sich nur nicht beygehen läſst, sich
mit Politik zu bemengen. Das ist man in Wien auch.
Der Diktator scheint das alte Schibolet zu brauchen,
panem et circenses. Wenn ich in irgend einer groſsen
Stadt zu leben mich entschlieſsen könnte, so würde
ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr als eine
andere Nation dafür gesorgt, daſs man in der Haupt¬
stadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien,
die elysäischen Felder, die Boulewards, Luxenburg,
der botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und
mehrere andere öffentliche Orte gewähren eine schöne
Ausflucht, die man durchaus in keiner andern groſsen
Stadt so trifft. Eine meiner sentimentalen Morgen¬
promenaden war die Wachparade der Invaliden zu se¬
hen; in meinem Leben ist mir nichts rührender ge¬

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[468 /0496] öffentlichen Blatte, wo der Verfasser eine Parallele zwi¬ schen dem französischen und englischen Nationalcha¬ rakter zog. Man blieb ungewiſs, ob das Ganze Ernst oder Ironie war. Er lieſs den Britten wirklich den Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine Nation durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack. Wenn sich das letzte nur ohne das erste halten könnte. Die Ausführung war wirklich drollig. Er sagt nicht undeutlich, die ganze Revolution sey eine Sache des Geschmacks und der Mode gewesen; und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man fast geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat Ströme Blut gekostet; und wenn man so fortfährt wird fast so wenig dadurch gewonnen werden, als durch jede andere Mode der Herren von der Seine. Die Polizey ist im Allgemeinen auſserordentlich liberal, wenn man sich nur nicht beygehen läſst, sich mit Politik zu bemengen. Das ist man in Wien auch. Der Diktator scheint das alte Schibolet zu brauchen, panem et circenses. Wenn ich in irgend einer groſsen Stadt zu leben mich entschlieſsen könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr als eine andere Nation dafür gesorgt, daſs man in der Haupt¬ stadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien, die elysäischen Felder, die Boulewards, Luxenburg, der botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und mehrere andere öffentliche Orte gewähren eine schöne Ausflucht, die man durchaus in keiner andern groſsen Stadt so trifft. Eine meiner sentimentalen Morgen¬ promenaden war die Wachparade der Invaliden zu se¬ hen; in meinem Leben ist mir nichts rührender ge¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 468 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/496>, abgerufen am 20.04.2024.