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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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die Kapitulation kassieren, und die Henker hatten volle
Arbeit. Auf diese Weise kann man alles was heilig
ist niederreissen. Man nennt den Namen des Admirals
und noch mehr den Namen der Dame mit Abscheu
und Verwünschung und bringt Data zur Belegung. In
Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist
begreiflich. Bildung ist nicht, und das Bisschen Chri¬
stenthum ist, so wie es dort ist, mehr ein Fluch der
Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in Re¬
volution; die Halbwilden trauten und wurden verra¬
then. Ruffo kam im Namen des Königs und versprach;
die Betrogenen folgten und wütheten unter ihm bis
zur Schande der menschlichen Natur in der Hauptstadt.
Nun sagen sie, der König habe sie noch ärger betro¬
gen als die Franzosen. Wer kann bestimmen, wie
weit sie Recht haben? Die Regierung des Dey kann
kaum grausamer seyn; schlechter ist sie nicht. Im
ganzen Königreich und der Insel zusammen sind jetzt
kaum funfzehn tausend Mann Truppen: diese haben
einen schlechten Sold und dieser schlechte Sold wird
noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen den¬
ken. Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast
überall. Ich habe die meisten Städte des Reichs gese¬
hen, und nach meinem Ueberschlage ist die Zahl der
Truppen noch hoch angenommen. Die sogenannten
Patrioten schreyen über Verrätherey der Franzosen und
knirschen die Zähne über die Regierung. Mässigung
und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit
fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wie¬
der reformieren und behaupten, sagte mir ein eben
nicht zelotischer Partheygänger. Die rechtlichsten Leute

die Kapitulation kassieren, und die Henker hatten volle
Arbeit. Auf diese Weise kann man alles was heilig
ist niederreiſsen. Man nennt den Namen des Admirals
und noch mehr den Namen der Dame mit Abscheu
und Verwünschung und bringt Data zur Belegung. In
Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist
begreiflich. Bildung ist nicht, und das Biſschen Chri¬
stenthum ist, so wie es dort ist, mehr ein Fluch der
Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in Re¬
volution; die Halbwilden trauten und wurden verra¬
then. Ruffo kam im Namen des Königs und versprach;
die Betrogenen folgten und wütheten unter ihm bis
zur Schande der menschlichen Natur in der Hauptstadt.
Nun sagen sie, der König habe sie noch ärger betro¬
gen als die Franzosen. Wer kann bestimmen, wie
weit sie Recht haben? Die Regierung des Dey kann
kaum grausamer seyn; schlechter ist sie nicht. Im
ganzen Königreich und der Insel zusammen sind jetzt
kaum funfzehn tausend Mann Truppen: diese haben
einen schlechten Sold und dieser schlechte Sold wird
noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen den¬
ken. Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast
überall. Ich habe die meisten Städte des Reichs gese¬
hen, und nach meinem Ueberschlage ist die Zahl der
Truppen noch hoch angenommen. Die sogenannten
Patrioten schreyen über Verrätherey der Franzosen und
knirschen die Zähne über die Regierung. Mäſsigung
und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit
fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wie¬
der reformieren und behaupten, sagte mir ein eben
nicht zelotischer Partheygänger. Die rechtlichsten Leute

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[428 /0456] die Kapitulation kassieren, und die Henker hatten volle Arbeit. Auf diese Weise kann man alles was heilig ist niederreiſsen. Man nennt den Namen des Admirals und noch mehr den Namen der Dame mit Abscheu und Verwünschung und bringt Data zur Belegung. In Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist begreiflich. Bildung ist nicht, und das Biſschen Chri¬ stenthum ist, so wie es dort ist, mehr ein Fluch der Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in Re¬ volution; die Halbwilden trauten und wurden verra¬ then. Ruffo kam im Namen des Königs und versprach; die Betrogenen folgten und wütheten unter ihm bis zur Schande der menschlichen Natur in der Hauptstadt. Nun sagen sie, der König habe sie noch ärger betro¬ gen als die Franzosen. Wer kann bestimmen, wie weit sie Recht haben? Die Regierung des Dey kann kaum grausamer seyn; schlechter ist sie nicht. Im ganzen Königreich und der Insel zusammen sind jetzt kaum funfzehn tausend Mann Truppen: diese haben einen schlechten Sold und dieser schlechte Sold wird noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen den¬ ken. Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast überall. Ich habe die meisten Städte des Reichs gese¬ hen, und nach meinem Ueberschlage ist die Zahl der Truppen noch hoch angenommen. Die sogenannten Patrioten schreyen über Verrätherey der Franzosen und knirschen die Zähne über die Regierung. Mäſsigung und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wie¬ der reformieren und behaupten, sagte mir ein eben nicht zelotischer Partheygänger. Die rechtlichsten Leute

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 428 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/456>, abgerufen am 28.03.2024.