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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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fang mit dem Bekenntniss, dass er in seinem ganzen
Leben nicht gearbeitet habe und nun in seinem acht
und vierzigsten Jahre nicht anfangen werde. -- So so,
das ist erbaulich; und was hat Er denn gethan? --
Ich habe gedient. -- Besser arbeiten als dienen. --
Nun erzählte er mir, wo er überall gewesen war: da
war denn meine Personalität eine Hausunke gegen den
Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte die Bou¬
lewards besser als seine Hölle und hatte alle Weinhäu¬
ser um Neapel diesseits und jenseits der Grotte ver¬
sucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen,
dann Reitknecht in Frankreich, dann Kanonier in
Neapel und zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr
orthodox über die Franzosen, die ihm seine Kloster¬
glückseligkeit geraubt hatten, weil sie die Nester zer¬
störten. Jetzt machte er Miene mit mir wieder nach
Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen Beyfall über
seine ewige unstete Landläuferey nicht zu erkennen,
und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl
besser gethan sich treulich an Nadel und Fingerhut zu
halten. Wir schlenderten eine hübsche Parthie ab, da
wir in einem Tage von Ayrolles den Berg herüber
bis herab über Altorf nach Flüren am See gingen.
Altorf, das vor einigen Jahren durch den Blitz entzün¬
det wurde und fast ganz abbrannte, wird jetzt recht
schön aber eben so unordentlich wieder aufgebaut. Die
Berggegend sollte doch wohl etwas mehr Symetrie er¬
lauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser
sehr heftig aus den Bergen herunter geschossen und
konnte nicht schnell genug den Weg in die Reuss fin¬
den, dass wir eine Viertelstunde ziemlich bis an den

fang mit dem Bekenntniſs, daſs er in seinem ganzen
Leben nicht gearbeitet habe und nun in seinem acht
und vierzigsten Jahre nicht anfangen werde. — So so,
das ist erbaulich; und was hat Er denn gethan? —
Ich habe gedient. — Besser arbeiten als dienen. —
Nun erzählte er mir, wo er überall gewesen war: da
war denn meine Personalität eine Hausunke gegen den
Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte die Bou¬
lewards besser als seine Hölle und hatte alle Weinhäu¬
ser um Neapel diesseits und jenseits der Grotte ver¬
sucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen,
dann Reitknecht in Frankreich, dann Kanonier in
Neapel und zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr
orthodox über die Franzosen, die ihm seine Kloster¬
glückseligkeit geraubt hatten, weil sie die Nester zer¬
störten. Jetzt machte er Miene mit mir wieder nach
Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen Beyfall über
seine ewige unstete Landläuferey nicht zu erkennen,
und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl
besser gethan sich treulich an Nadel und Fingerhut zu
halten. Wir schlenderten eine hübsche Parthie ab, da
wir in einem Tage von Ayrolles den Berg herüber
bis herab über Altorf nach Flüren am See gingen.
Altorf, das vor einigen Jahren durch den Blitz entzün¬
det wurde und fast ganz abbrannte, wird jetzt recht
schön aber eben so unordentlich wieder aufgebaut. Die
Berggegend sollte doch wohl etwas mehr Symetrie er¬
lauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser
sehr heftig aus den Bergen herunter geschossen und
konnte nicht schnell genug den Weg in die Reuſs fin¬
den, daſs wir eine Viertelstunde ziemlich bis an den

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[421 /0449] fang mit dem Bekenntniſs, daſs er in seinem ganzen Leben nicht gearbeitet habe und nun in seinem acht und vierzigsten Jahre nicht anfangen werde. — So so, das ist erbaulich; und was hat Er denn gethan? — Ich habe gedient. — Besser arbeiten als dienen. — Nun erzählte er mir, wo er überall gewesen war: da war denn meine Personalität eine Hausunke gegen den Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte die Bou¬ lewards besser als seine Hölle und hatte alle Weinhäu¬ ser um Neapel diesseits und jenseits der Grotte ver¬ sucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen, dann Reitknecht in Frankreich, dann Kanonier in Neapel und zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr orthodox über die Franzosen, die ihm seine Kloster¬ glückseligkeit geraubt hatten, weil sie die Nester zer¬ störten. Jetzt machte er Miene mit mir wieder nach Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen Beyfall über seine ewige unstete Landläuferey nicht zu erkennen, und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl besser gethan sich treulich an Nadel und Fingerhut zu halten. Wir schlenderten eine hübsche Parthie ab, da wir in einem Tage von Ayrolles den Berg herüber bis herab über Altorf nach Flüren am See gingen. Altorf, das vor einigen Jahren durch den Blitz entzün¬ det wurde und fast ganz abbrannte, wird jetzt recht schön aber eben so unordentlich wieder aufgebaut. Die Berggegend sollte doch wohl etwas mehr Symetrie er¬ lauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser sehr heftig aus den Bergen herunter geschossen und konnte nicht schnell genug den Weg in die Reuſs fin¬ den, daſs wir eine Viertelstunde ziemlich bis an den

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 421 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/449>, abgerufen am 29.03.2024.