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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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wieder zurück, und ich trug kein Bedenken, ihn mei¬
nen Tornister umhängen zu lassen. Wir stiegen also
den kommenden Morgen, den achtzehnten Juny rüstig
den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr
schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern
Schluchten konnte man vor dem Nebel und noch
weiter hinauf vor dem Schneegestöber durchaus nichts
sehen; links und rechts blickten die beschneyten Gipfel
aus der Dunkelheit des Sturms drohend herunter.
Nach zwey starken Stunden hatten wir uns auf die
obere Fläche hinauf gearbeitet, wo das Kloster und
das Wirthshaus steht, und wo man im vorigen Kriege
geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst und
der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufge¬
schichtet; das Wirthshaus ist ziemlich wieder herge¬
stellt und man hat schon wieder leidliche Bequemlich¬
keit. Es muss eine herkulische Arbeit gewesen seyn
hier nur kleine Artilleriestücke herauf zu bringen,
und war wohl nur in den wärmsten Sommermonaten
möglich. Der Schnee liegt noch jetzt auf dem Wege
sehr hoch und ich fiel einigemal bis an die Brust
durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen
würde mir zu nichts gefrommt haben, da man vor
den Nebel kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es
ist vielleicht in den Annalen der Menschheit aus die¬
sem Kriege ein neues Phänomen, dass man ihn hier
zuerst über Wolken und Ungewitter herauf trug: coe¬
lum ipsum petimus stultitia
. Das Wasser auf der ober¬
sten Fläche des Berges hat einen ziemlichen Umfang,
denn es giesst sich rund umher die Ausbeute des Re¬
gens und Schnee von den höchsten Felsen in den See,

wieder zurück, und ich trug kein Bedenken, ihn mei¬
nen Tornister umhängen zu lassen. Wir stiegen also
den kommenden Morgen, den achtzehnten Juny rüstig
den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr
schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern
Schluchten konnte man vor dem Nebel und noch
weiter hinauf vor dem Schneegestöber durchaus nichts
sehen; links und rechts blickten die beschneyten Gipfel
aus der Dunkelheit des Sturms drohend herunter.
Nach zwey starken Stunden hatten wir uns auf die
obere Fläche hinauf gearbeitet, wo das Kloster und
das Wirthshaus steht, und wo man im vorigen Kriege
geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst und
der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufge¬
schichtet; das Wirthshaus ist ziemlich wieder herge¬
stellt und man hat schon wieder leidliche Bequemlich¬
keit. Es muſs eine herkulische Arbeit gewesen seyn
hier nur kleine Artilleriestücke herauf zu bringen,
und war wohl nur in den wärmsten Sommermonaten
möglich. Der Schnee liegt noch jetzt auf dem Wege
sehr hoch und ich fiel einigemal bis an die Brust
durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen
würde mir zu nichts gefrommt haben, da man vor
den Nebel kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es
ist vielleicht in den Annalen der Menschheit aus die¬
sem Kriege ein neues Phänomen, daſs man ihn hier
zuerst über Wolken und Ungewitter herauf trug: coe¬
lum ipsum petimus stultitia
. Das Wasser auf der ober¬
sten Fläche des Berges hat einen ziemlichen Umfang,
denn es gieſst sich rund umher die Ausbeute des Re¬
gens und Schnee von den höchsten Felsen in den See,

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[419 /0447] wieder zurück, und ich trug kein Bedenken, ihn mei¬ nen Tornister umhängen zu lassen. Wir stiegen also den kommenden Morgen, den achtzehnten Juny rüstig den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern Schluchten konnte man vor dem Nebel und noch weiter hinauf vor dem Schneegestöber durchaus nichts sehen; links und rechts blickten die beschneyten Gipfel aus der Dunkelheit des Sturms drohend herunter. Nach zwey starken Stunden hatten wir uns auf die obere Fläche hinauf gearbeitet, wo das Kloster und das Wirthshaus steht, und wo man im vorigen Kriege geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst und der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufge¬ schichtet; das Wirthshaus ist ziemlich wieder herge¬ stellt und man hat schon wieder leidliche Bequemlich¬ keit. Es muſs eine herkulische Arbeit gewesen seyn hier nur kleine Artilleriestücke herauf zu bringen, und war wohl nur in den wärmsten Sommermonaten möglich. Der Schnee liegt noch jetzt auf dem Wege sehr hoch und ich fiel einigemal bis an die Brust durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen würde mir zu nichts gefrommt haben, da man vor den Nebel kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es ist vielleicht in den Annalen der Menschheit aus die¬ sem Kriege ein neues Phänomen, daſs man ihn hier zuerst über Wolken und Ungewitter herauf trug: coe¬ lum ipsum petimus stultitia. Das Wasser auf der ober¬ sten Fläche des Berges hat einen ziemlichen Umfang, denn es gieſst sich rund umher die Ausbeute des Re¬ gens und Schnee von den höchsten Felsen in den See,

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 419 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/447>, abgerufen am 28.03.2024.