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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Mann, der durch schöne Humanität und Grazie des
Lebens immer seinen Charakter hätte empfehlen kön¬
nen. Seines Werths sich bewusst, fest rechtlicher Mann,
aber eisern konsequenter Soldat, war er voll Eigenhei¬
ten, von denen viele wie Bizarrerien und Marotten
aussahen; war äusserst strenge gegen sich und dann
auch in seinen Forderungen gegen andere, und sprach
skoptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie
war sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so ta¬
delhaft als sie an der Seine gewesen wäre: aber auch
in diesem Stücke verläugnete ihn sein eigener Charak¬
ter nicht und gab ihr ein Ansehen von Possierlichkeit.
Er soll in Prag eine schmutzige Filzerey gezeigt haben,
weggefahren seyn ohne einen Kreuzer zu bezahlen,
und nichts als einen alten Nachttopf zurückgelassen
haben, den man als eine Reliquie ganz eigener Art
aufbewahrt. Diess ist nun gewiss wieder ein barockes
Quidproquo: denn Geitz war so wenig in seinem
Charakter als prahlerische Verschwendung. Wenn ich
diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte, wür¬
de ich nur den Kopf schütteln und sie zu den lächer¬
lichen Erfindungen des Tages setzen. Aber man muss
auch den Teufel nicht schwärzer machen als er ist,
und ich bin fest überzeugt, dass Suworow durchaus
ein ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er
auch eine starke Dose Excentricität hatte und mit der
Welt im Privatleben oft Komödie spielte, so wie man
seine Energie im öffentlichen zu lauter Trauerspielen
brauchte. Du weisst, dass ich dem Manne durchaus
nichts zu danken habe und kannst also in meinen
Aeusserungen nichts als meine ehrliche Meinung fin¬

Mann, der durch schöne Humanität und Grazie des
Lebens immer seinen Charakter hätte empfehlen kön¬
nen. Seines Werths sich bewuſst, fest rechtlicher Mann,
aber eisern konsequenter Soldat, war er voll Eigenhei¬
ten, von denen viele wie Bizarrerien und Marotten
aussahen; war äuſserst strenge gegen sich und dann
auch in seinen Forderungen gegen andere, und sprach
skoptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie
war sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so ta¬
delhaft als sie an der Seine gewesen wäre: aber auch
in diesem Stücke verläugnete ihn sein eigener Charak¬
ter nicht und gab ihr ein Ansehen von Possierlichkeit.
Er soll in Prag eine schmutzige Filzerey gezeigt haben,
weggefahren seyn ohne einen Kreuzer zu bezahlen,
und nichts als einen alten Nachttopf zurückgelassen
haben, den man als eine Reliquie ganz eigener Art
aufbewahrt. Dieſs ist nun gewiſs wieder ein barockes
Quidproquo: denn Geitz war so wenig in seinem
Charakter als prahlerische Verschwendung. Wenn ich
diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte, wür¬
de ich nur den Kopf schütteln und sie zu den lächer¬
lichen Erfindungen des Tages setzen. Aber man muſs
auch den Teufel nicht schwärzer machen als er ist,
und ich bin fest überzeugt, daſs Suworow durchaus
ein ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er
auch eine starke Dose Excentricität hatte und mit der
Welt im Privatleben oft Komödie spielte, so wie man
seine Energie im öffentlichen zu lauter Trauerspielen
brauchte. Du weiſst, daſs ich dem Manne durchaus
nichts zu danken habe und kannst also in meinen
Aeuſserungen nichts als meine ehrliche Meinung fin¬

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[416 /0444] Mann, der durch schöne Humanität und Grazie des Lebens immer seinen Charakter hätte empfehlen kön¬ nen. Seines Werths sich bewuſst, fest rechtlicher Mann, aber eisern konsequenter Soldat, war er voll Eigenhei¬ ten, von denen viele wie Bizarrerien und Marotten aussahen; war äuſserst strenge gegen sich und dann auch in seinen Forderungen gegen andere, und sprach skoptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie war sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so ta¬ delhaft als sie an der Seine gewesen wäre: aber auch in diesem Stücke verläugnete ihn sein eigener Charak¬ ter nicht und gab ihr ein Ansehen von Possierlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige Filzerey gezeigt haben, weggefahren seyn ohne einen Kreuzer zu bezahlen, und nichts als einen alten Nachttopf zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener Art aufbewahrt. Dieſs ist nun gewiſs wieder ein barockes Quidproquo: denn Geitz war so wenig in seinem Charakter als prahlerische Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte, wür¬ de ich nur den Kopf schütteln und sie zu den lächer¬ lichen Erfindungen des Tages setzen. Aber man muſs auch den Teufel nicht schwärzer machen als er ist, und ich bin fest überzeugt, daſs Suworow durchaus ein ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er auch eine starke Dose Excentricität hatte und mit der Welt im Privatleben oft Komödie spielte, so wie man seine Energie im öffentlichen zu lauter Trauerspielen brauchte. Du weiſst, daſs ich dem Manne durchaus nichts zu danken habe und kannst also in meinen Aeuſserungen nichts als meine ehrliche Meinung fin¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 416 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/444>, abgerufen am 24.04.2024.