Ayrolles oben am Gotthardt bestimmen sollte, eine Sache zu sagen, die er nicht sah. Suworovv war nicht der einzige General, der ihm im Kriege die Ehre an¬ gethan hatte bey ihm zu seyn: er zeichnete sie alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon sind allge¬ mein bekannt. Ich habe das zweydeutige Glück ge¬ habt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu gelten, und ich suchte nun seinen wahren Charakter zu retten und einige Phänomene zu erklären, die ihn zur Last gelegt werden. In Prag hatte er zu einem hässlichen Gemälde gesessen. Der Löwe ist todt und nun wird zugeschlagen. Ich weiss sehr wohl, dass das ganze Leben dieses Mannes eine Kette von Eigenhei¬ ten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter mür¬ rischer Geck von einem weggeworfenen Charakter ge¬ wesen; und der war er doch gewiss nicht. Sonderbar¬ keit war überhaupt sein Stempel: und in Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen jedermann und jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuthen, in welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich befand. Weder sein eigener Monarch noch der östreichische Hof waren mit seinem Betragen zufrie¬ den. Er hatte ohne Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Person gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen Umstän¬ den sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten ei¬ niger seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm zur Last gelegt; und er selbst war freylich nicht der
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Ayrolles oben am Gotthardt bestimmen sollte, eine Sache zu sagen, die er nicht sah. Suworovv war nicht der einzige General, der ihm im Kriege die Ehre an¬ gethan hatte bey ihm zu seyn: er zeichnete sie alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon sind allge¬ mein bekannt. Ich habe das zweydeutige Glück ge¬ habt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu gelten, und ich suchte nun seinen wahren Charakter zu retten und einige Phänomene zu erklären, die ihn zur Last gelegt werden. In Prag hatte er zu einem häſslichen Gemälde gesessen. Der Löwe ist todt und nun wird zugeschlagen. Ich weiſs sehr wohl, daſs das ganze Leben dieses Mannes eine Kette von Eigenhei¬ ten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter mür¬ rischer Geck von einem weggeworfenen Charakter ge¬ wesen; und der war er doch gewiſs nicht. Sonderbar¬ keit war überhaupt sein Stempel: und in Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen jedermann und jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuthen, in welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich befand. Weder sein eigener Monarch noch der östreichische Hof waren mit seinem Betragen zufrie¬ den. Er hatte ohne Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Person gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen Umstän¬ den sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten ei¬ niger seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm zur Last gelegt; und er selbst war freylich nicht der
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Ayrolles oben am Gotthardt bestimmen sollte, eine
Sache zu sagen, die er nicht sah. Suworovv war nicht
der einzige General, der ihm im Kriege die Ehre an¬
gethan hatte bey ihm zu seyn: er zeichnete sie alle,
wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon sind allge¬
mein bekannt. Ich habe das zweydeutige Glück ge¬
habt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu
gelten, und ich suchte nun seinen wahren Charakter
zu retten und einige Phänomene zu erklären, die ihn
zur Last gelegt werden. In Prag hatte er zu einem
häſslichen Gemälde gesessen. Der Löwe ist todt und
nun wird zugeschlagen. Ich weiſs sehr wohl, daſs das
ganze Leben dieses Mannes eine Kette von Eigenhei¬
ten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag
und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter mür¬
rischer Geck von einem weggeworfenen Charakter ge¬
wesen; und der war er doch gewiſs nicht. Sonderbar¬
keit war überhaupt sein Stempel: und in Prag war
er in einer eigenen Stimmung gegen jedermann und
jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen
ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuthen,
in welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten
sich befand. Weder sein eigener Monarch noch der
östreichische Hof waren mit seinem Betragen zufrie¬
den. Er hatte ohne Schonung über Fehler aller Art
und ohne Rücksicht der Person gesprochen. Er war
alt und kränklich und sah dem Ende seines Lebens
entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen Umstän¬
den sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten ei¬
niger seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm
zur Last gelegt; und er selbst war freylich nicht der
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 415 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/443>, abgerufen am 18.04.2024.
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