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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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sie die Preussen zurückschlagen. Sie brachten eine
Menge speciöse Gründe, warum sie lieber russische
Unterthanen zu seyn wünschten; aber die wahren ver¬
bargen sie gewiss. Sie dachten unstreitig, bleiben wir
beysammen, so können wir durch irgend eine Kon¬
junktur bald wieder politische Existenz gewinnen. Der
General fand die Schlussfolge ziemlich bündig, sagte
aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache
Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav
und edel.

Die Pohlen haben hier noch ganz ihre alte Orga¬
nisation und tragen ihre alten Abzeichen, so dass man
die alten Offiziere noch für Sachsen halten könnte,
Der Mangel im Kriege muss in Italien zuweilen hoch
gestiegen seyn; denn es wurde erzählt, dass einmal
die Portion des Soldaten auf acht Kastanien und vier
Frösche reduciret gewesen sey. Die Zufriedenheit wird
gegenseitig mit einer ganz eigenen Art militärisch
drolliger Vertraulichkeit geäussert. So sagten die Fran¬
zosen von den Pohlen: Ah ce sont de braves coquins;
ils mangent comme les loups, boivent diablement, et se
battent comme les lions
. Die Pohlnischen Offiziere
konnten den französischen Soldaten nicht Lob genug
ertheilen über ihren Muth, ihre Unverdrossenheit und
ihren pünktlichen Gehorsam. Wo die Franzosen nicht
durchdrangen, waren gewiss alle Mal ihre Anführer
Schuld daran. Es wurde behauptet, dass das Pohlni¬
sche Corps bey der letzten Musterung noch 15000 Mann
stark gewesen sey; und jetzt wird eben in Livorno
ein Theil davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es
hat das Ansehen, als ob Bonaparte alle Truppen, die

sie die Preuſsen zurückschlagen. Sie brachten eine
Menge speciöse Gründe, warum sie lieber russische
Unterthanen zu seyn wünschten; aber die wahren ver¬
bargen sie gewiſs. Sie dachten unstreitig, bleiben wir
beysammen, so können wir durch irgend eine Kon¬
junktur bald wieder politische Existenz gewinnen. Der
General fand die Schluſsfolge ziemlich bündig, sagte
aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache
Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav
und edel.

Die Pohlen haben hier noch ganz ihre alte Orga¬
nisation und tragen ihre alten Abzeichen, so daſs man
die alten Offiziere noch für Sachsen halten könnte,
Der Mangel im Kriege muſs in Italien zuweilen hoch
gestiegen seyn; denn es wurde erzählt, daſs einmal
die Portion des Soldaten auf acht Kastanien und vier
Frösche reduciret gewesen sey. Die Zufriedenheit wird
gegenseitig mit einer ganz eigenen Art militärisch
drolliger Vertraulichkeit geäuſsert. So sagten die Fran¬
zosen von den Pohlen: Ah ce sont de braves coquins;
ils mangent comme les loups, boivent diablement, et se
battent comme les lions
. Die Pohlnischen Offiziere
konnten den französischen Soldaten nicht Lob genug
ertheilen über ihren Muth, ihre Unverdrossenheit und
ihren pünktlichen Gehorsam. Wo die Franzosen nicht
durchdrangen, waren gewiſs alle Mal ihre Anführer
Schuld daran. Es wurde behauptet, daſs das Pohlni¬
sche Corps bey der letzten Musterung noch 15000 Mann
stark gewesen sey; und jetzt wird eben in Livorno
ein Theil davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es
hat das Ansehen, als ob Bonaparte alle Truppen, die

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[409 /0437] sie die Preuſsen zurückschlagen. Sie brachten eine Menge speciöse Gründe, warum sie lieber russische Unterthanen zu seyn wünschten; aber die wahren ver¬ bargen sie gewiſs. Sie dachten unstreitig, bleiben wir beysammen, so können wir durch irgend eine Kon¬ junktur bald wieder politische Existenz gewinnen. Der General fand die Schluſsfolge ziemlich bündig, sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav und edel. Die Pohlen haben hier noch ganz ihre alte Orga¬ nisation und tragen ihre alten Abzeichen, so daſs man die alten Offiziere noch für Sachsen halten könnte, Der Mangel im Kriege muſs in Italien zuweilen hoch gestiegen seyn; denn es wurde erzählt, daſs einmal die Portion des Soldaten auf acht Kastanien und vier Frösche reduciret gewesen sey. Die Zufriedenheit wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art militärisch drolliger Vertraulichkeit geäuſsert. So sagten die Fran¬ zosen von den Pohlen: Ah ce sont de braves coquins; ils mangent comme les loups, boivent diablement, et se battent comme les lions. Die Pohlnischen Offiziere konnten den französischen Soldaten nicht Lob genug ertheilen über ihren Muth, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam. Wo die Franzosen nicht durchdrangen, waren gewiſs alle Mal ihre Anführer Schuld daran. Es wurde behauptet, daſs das Pohlni¬ sche Corps bey der letzten Musterung noch 15000 Mann stark gewesen sey; und jetzt wird eben in Livorno ein Theil davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das Ansehen, als ob Bonaparte alle Truppen, die

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 409 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/437>, abgerufen am 20.04.2024.