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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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war hier gewesen und hatte nach der Natur gearbei¬
tet und ein Meisterstück der Perspektive gemacht.
Jetzt suchte ich mich zu orientieren. Der Ort ist sehr
leer und öde, aber der Fluss macht schöne Parthien.

In Lodi ass ich wohl ruhiger zu Mittage als Bo¬
naparte, wenn ich mir gleich nicht so viel Ruhm er¬
warb, und konnte gemächlich den Posten besehen, wo
man geschlagen hatte. Unter andern guten Sachen
traf ich hier die schönsten Kirschen, die ich vielleicht
je gegessen habe. Wenn gleich das alte Laus Pom¬
peji nicht gerade hier lag, so ist doch wohl der Name
daraus gemacht und der Ort daraus entstanden: we¬
nigstens wird das hier auf einem Marmor am Rath¬
hause behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein
sinnreiches Geschlecht seyn; das sahe man an ihren
Schildern. Unter andern hatte ein Schuhmacher auf
dem seinigen einen Genius, der sehr geistreich das
Mass nahm.

Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz,
und bin schon längst nicht mehr in dem Lande, wo
die Ziteronen blühn. In Rom sagt man, dass das
Erdbeben vorigen Monat den Dom von Mailand sehr
beschädigt habe; es ist aber kein Stein herunter ge¬
worfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet
vielleicht mit dem Münster in Strassburg um den Vor¬
zug, ob es gleich nicht vollendet ist, und es vielleicht
auch nie werden wird. In der Kapitale der italischen
Republik geht alles nach gallischen Gesetzen; und hier
und dort, wie Du weisst, alles nach dem Willen des
korsischen Avtokrators. Wenn es nur gut ginge, wäre
vielleicht nicht viel dawider zu sagen. Man scheint

war hier gewesen und hatte nach der Natur gearbei¬
tet und ein Meisterstück der Perspektive gemacht.
Jetzt suchte ich mich zu orientieren. Der Ort ist sehr
leer und öde, aber der Fluſs macht schöne Parthien.

In Lodi aſs ich wohl ruhiger zu Mittage als Bo¬
naparte, wenn ich mir gleich nicht so viel Ruhm er¬
warb, und konnte gemächlich den Posten besehen, wo
man geschlagen hatte. Unter andern guten Sachen
traf ich hier die schönsten Kirschen, die ich vielleicht
je gegessen habe. Wenn gleich das alte Laus Pom¬
peji nicht gerade hier lag, so ist doch wohl der Name
daraus gemacht und der Ort daraus entstanden: we¬
nigstens wird das hier auf einem Marmor am Rath¬
hause behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein
sinnreiches Geschlecht seyn; das sahe man an ihren
Schildern. Unter andern hatte ein Schuhmacher auf
dem seinigen einen Genius, der sehr geistreich das
Maſs nahm.

Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz,
und bin schon längst nicht mehr in dem Lande, wo
die Ziteronen blühn. In Rom sagt man, daſs das
Erdbeben vorigen Monat den Dom von Mailand sehr
beschädigt habe; es ist aber kein Stein herunter ge¬
worfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet
vielleicht mit dem Münster in Straſsburg um den Vor¬
zug, ob es gleich nicht vollendet ist, und es vielleicht
auch nie werden wird. In der Kapitale der italischen
Republik geht alles nach gallischen Gesetzen; und hier
und dort, wie Du weiſst, alles nach dem Willen des
korsischen Avtokrators. Wenn es nur gut ginge, wäre
vielleicht nicht viel dawider zu sagen. Man scheint

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[403 /0431] war hier gewesen und hatte nach der Natur gearbei¬ tet und ein Meisterstück der Perspektive gemacht. Jetzt suchte ich mich zu orientieren. Der Ort ist sehr leer und öde, aber der Fluſs macht schöne Parthien. In Lodi aſs ich wohl ruhiger zu Mittage als Bo¬ naparte, wenn ich mir gleich nicht so viel Ruhm er¬ warb, und konnte gemächlich den Posten besehen, wo man geschlagen hatte. Unter andern guten Sachen traf ich hier die schönsten Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenn gleich das alte Laus Pom¬ peji nicht gerade hier lag, so ist doch wohl der Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden: we¬ nigstens wird das hier auf einem Marmor am Rath¬ hause behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein sinnreiches Geschlecht seyn; das sahe man an ihren Schildern. Unter andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius, der sehr geistreich das Maſs nahm. Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz, und bin schon längst nicht mehr in dem Lande, wo die Ziteronen blühn. In Rom sagt man, daſs das Erdbeben vorigen Monat den Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist aber kein Stein herunter ge¬ worfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet vielleicht mit dem Münster in Straſsburg um den Vor¬ zug, ob es gleich nicht vollendet ist, und es vielleicht auch nie werden wird. In der Kapitale der italischen Republik geht alles nach gallischen Gesetzen; und hier und dort, wie Du weiſst, alles nach dem Willen des korsischen Avtokrators. Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht viel dawider zu sagen. Man scheint

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 403 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/431>, abgerufen am 28.03.2024.