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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob
man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken
wollte.

Der gute Nepomuck auf der Brücke mit seiner
ehrwürdigen Gesellschaft gewährt den frommen See¬
len noch viel Trost. Es scheint überhaupt in Prag,
sowohl unter Katholiken als unter Protestanten, noch
eine grosse Anzahl Zeloten zu geben: nur nicht unter
den höhern Ständen, die in dieser Rücksicht die To¬
leranz selbst sind.

Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böh¬
men auf die Ebenen kam, und hoffte nun einen be¬
trächtlichen Grad von Wohlstand und Kultur zu fin¬
den, da der Boden rund umher ausserordentlich
fruchtbar zu seyn schien. Aber meine Erwartung
wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn, und
waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man
drosch in den Herrenhöfen auf vielen Tennen und
die Bauernhäuser waren leer; die Einwohner schli¬
chen so niedergedrückt herum, als ob sie noch an
dem härtesten Joche der Sklaverey zögen. Mich
däucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten
wenig gebessert worden, und höchst wahrscheinlich
sind sie hier noch schwerer durch die Frohnen ge¬
drückt als irgendwo. Wo die Sklaverey systematisch
ist, machen die Städte oft den Anhang des grossen
und kleinen Adels und theilen den Raub. Das schien
hier der Fall. Alles war in Furcht als sich die Fran¬
zosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten,
sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon
ihre Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in

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Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob
man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken
wollte.

Der gute Nepomuck auf der Brücke mit seiner
ehrwürdigen Gesellschaft gewährt den frommen See¬
len noch viel Trost. Es scheint überhaupt in Prag,
sowohl unter Katholiken als unter Protestanten, noch
eine groſse Anzahl Zeloten zu geben: nur nicht unter
den höhern Ständen, die in dieser Rücksicht die To¬
leranz selbst sind.

Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böh¬
men auf die Ebenen kam, und hoffte nun einen be¬
trächtlichen Grad von Wohlstand und Kultur zu fin¬
den, da der Boden rund umher auſserordentlich
fruchtbar zu seyn schien. Aber meine Erwartung
wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn, und
waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man
drosch in den Herrenhöfen auf vielen Tennen und
die Bauernhäuser waren leer; die Einwohner schli¬
chen so niedergedrückt herum, als ob sie noch an
dem härtesten Joche der Sklaverey zögen. Mich
däucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten
wenig gebessert worden, und höchst wahrscheinlich
sind sie hier noch schwerer durch die Frohnen ge¬
drückt als irgendwo. Wo die Sklaverey systematisch
ist, machen die Städte oft den Anhang des groſsen
und kleinen Adels und theilen den Raub. Das schien
hier der Fall. Alles war in Furcht als sich die Fran¬
zosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten,
sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon
ihre Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in

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[17/0043] Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken wollte. Der gute Nepomuck auf der Brücke mit seiner ehrwürdigen Gesellschaft gewährt den frommen See¬ len noch viel Trost. Es scheint überhaupt in Prag, sowohl unter Katholiken als unter Protestanten, noch eine groſse Anzahl Zeloten zu geben: nur nicht unter den höhern Ständen, die in dieser Rücksicht die To¬ leranz selbst sind. Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böh¬ men auf die Ebenen kam, und hoffte nun einen be¬ trächtlichen Grad von Wohlstand und Kultur zu fin¬ den, da der Boden rund umher auſserordentlich fruchtbar zu seyn schien. Aber meine Erwartung wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn, und waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man drosch in den Herrenhöfen auf vielen Tennen und die Bauernhäuser waren leer; die Einwohner schli¬ chen so niedergedrückt herum, als ob sie noch an dem härtesten Joche der Sklaverey zögen. Mich däucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten wenig gebessert worden, und höchst wahrscheinlich sind sie hier noch schwerer durch die Frohnen ge¬ drückt als irgendwo. Wo die Sklaverey systematisch ist, machen die Städte oft den Anhang des groſsen und kleinen Adels und theilen den Raub. Das schien hier der Fall. Alles war in Furcht als sich die Fran¬ zosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten, sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon ihre Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in 2

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/43>, abgerufen am 28.03.2024.