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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Einverständniss mit ihrer Parthey sogar die unterirdi¬
schen Gewölbe ausfindig zu machen wussten, um die
versteckten Reichthümer hervorzuziehen. Durch die
Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweyten hat
die Bibliothek wieder ausserordentlich gewonnen; aber
die aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben da¬
durch für die Literatur grösserer Gefahr ausgesetzt,
weil sie an einem einzigen Orte beysammen liegen.
Der letzte Vorfall hat die Besorgniss bestätigt und er¬
höht. Ein Glück war es, dass eben damahls mehr als
vierzig Menschen oben lasen, als durch die Nachläs¬
sigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer
arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die
liberale Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu
den musterhaftesten gehört, ihre Rettung.

Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und
finster, und ich blickte nur durch Schneegestöber nach
der Gegend hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin
fiel. Die Kathedrale hat für die Liebhaber der Ge¬
schichte manches Merkwürdige. Die Begräbnisse der
alten Herzoge von Böhmen gewähren, wenn man Musse
hat, eine eigene Art von Genuss; und das silberne
Monument eines Erzbischofs ist vielleicht auch für den
Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr es
betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser
Wenzel und Karls des Vierten, und fand, dass die
Zeiten der goldenen Bulle doch wohl nur für wenige
Fürsten golden und für die ganze übrige Menschheit
sehr bleyern waren. Schlicks des Ministers Grabmahl,
gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein verdor¬
bener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde.

Einverständniſs mit ihrer Parthey sogar die unterirdi¬
schen Gewölbe ausfindig zu machen wuſsten, um die
versteckten Reichthümer hervorzuziehen. Durch die
Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweyten hat
die Bibliothek wieder auſserordentlich gewonnen; aber
die aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben da¬
durch für die Literatur gröſserer Gefahr ausgesetzt,
weil sie an einem einzigen Orte beysammen liegen.
Der letzte Vorfall hat die Besorgniſs bestätigt und er¬
höht. Ein Glück war es, daſs eben damahls mehr als
vierzig Menschen oben lasen, als durch die Nachläs¬
sigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer
arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die
liberale Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu
den musterhaftesten gehört, ihre Rettung.

Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und
finster, und ich blickte nur durch Schneegestöber nach
der Gegend hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin
fiel. Die Kathedrale hat für die Liebhaber der Ge¬
schichte manches Merkwürdige. Die Begräbnisse der
alten Herzoge von Böhmen gewähren, wenn man Musse
hat, eine eigene Art von Genuſs; und das silberne
Monument eines Erzbischofs ist vielleicht auch für den
Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr es
betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser
Wenzel und Karls des Vierten, und fand, daſs die
Zeiten der goldenen Bulle doch wohl nur für wenige
Fürsten golden und für die ganze übrige Menschheit
sehr bleyern waren. Schlicks des Ministers Grabmahl,
gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein verdor¬
bener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde.

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[16/0042] Einverständniſs mit ihrer Parthey sogar die unterirdi¬ schen Gewölbe ausfindig zu machen wuſsten, um die versteckten Reichthümer hervorzuziehen. Durch die Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweyten hat die Bibliothek wieder auſserordentlich gewonnen; aber die aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben da¬ durch für die Literatur gröſserer Gefahr ausgesetzt, weil sie an einem einzigen Orte beysammen liegen. Der letzte Vorfall hat die Besorgniſs bestätigt und er¬ höht. Ein Glück war es, daſs eben damahls mehr als vierzig Menschen oben lasen, als durch die Nachläs¬ sigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die liberale Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu den musterhaftesten gehört, ihre Rettung. Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und finster, und ich blickte nur durch Schneegestöber nach der Gegend hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin fiel. Die Kathedrale hat für die Liebhaber der Ge¬ schichte manches Merkwürdige. Die Begräbnisse der alten Herzoge von Böhmen gewähren, wenn man Musse hat, eine eigene Art von Genuſs; und das silberne Monument eines Erzbischofs ist vielleicht auch für den Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr es betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser Wenzel und Karls des Vierten, und fand, daſs die Zeiten der goldenen Bulle doch wohl nur für wenige Fürsten golden und für die ganze übrige Menschheit sehr bleyern waren. Schlicks des Ministers Grabmahl, gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein verdor¬ bener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde.

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/42>, abgerufen am 24.04.2024.