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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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das durch den Willen des heiligen Vaters und das An¬
sehen der Kirche ipso jure null ist. Du kannst den¬
ken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie
schwach man die am Arno halten muss, dass man ei¬
ne solche Sprache wagt. Aber sie wissen, dass sie mit
dem Herrn in Paris zusammen gehen; das erklärt und
rechtfertigt vielleicht ihre Kühnheit. Die grösste An¬
zahl seufzt hier nach der alten Regierung; Neuerungs¬
süchtige hoffen auf Verbindung mit den Herren jen¬
seit des Berges, oder gar mit den Franzosen; die jez¬
zige Regierung hat den kleinsten Anhang. Der Kö¬
nig ist nicht gemacht ihn zu vergrössern: das hat man
sehr wohl gewusst, sonst hätte man ihn nicht zum
Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die
Anekdote sehr laut herum, dass er in seinem Privat¬
theater den Balordo vortrefflich macht, und niemand
wundert sich darüber.

Es wurde hier von Meyers Nachrichten von Bo¬
napartes Privatleben gesprochen; und Leclerk, der ihn
doch wohl etwas näher kennen muss, soll darüber
ganz eigene Berichtigungen gemacht haben. Die Fein¬
heit der Kardinäle zeigte sich vorzüglich in der Papst¬
wahl. Pius der Siebente war als Bischof von Imola
Bonapartes Gastfreund gewesen: auf diesen Umstand
und den individuellen Charakter des korsischen Fran¬
zosen liess sich schon etwas bauen. Du siehst es ist
gegangen. In Imola kann man gut Maskerade spie¬
len. Der Papst und seine Gesellen vergessen das Ge¬
bot des heiligen Anchises noch nicht, das er seinem
frommen Sohne beym Abschied aus der Hölle gab;
und wo Ein Mittel nicht hilft, hilft das andere. In

das durch den Willen des heiligen Vaters und das An¬
sehen der Kirche ipso jure null ist. Du kannst den¬
ken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie
schwach man die am Arno halten muſs, daſs man ei¬
ne solche Sprache wagt. Aber sie wissen, daſs sie mit
dem Herrn in Paris zusammen gehen; das erklärt und
rechtfertigt vielleicht ihre Kühnheit. Die gröſste An¬
zahl seufzt hier nach der alten Regierung; Neuerungs¬
süchtige hoffen auf Verbindung mit den Herren jen¬
seit des Berges, oder gar mit den Franzosen; die jez¬
zige Regierung hat den kleinsten Anhang. Der Kö¬
nig ist nicht gemacht ihn zu vergröſsern: das hat man
sehr wohl gewuſst, sonst hätte man ihn nicht zum
Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die
Anekdote sehr laut herum, daſs er in seinem Privat¬
theater den Balordo vortrefflich macht, und niemand
wundert sich darüber.

Es wurde hier von Meyers Nachrichten von Bo¬
napartes Privatleben gesprochen; und Leclerk, der ihn
doch wohl etwas näher kennen muſs, soll darüber
ganz eigene Berichtigungen gemacht haben. Die Fein¬
heit der Kardinäle zeigte sich vorzüglich in der Papst¬
wahl. Pius der Siebente war als Bischof von Imola
Bonapartes Gastfreund gewesen: auf diesen Umstand
und den individuellen Charakter des korsischen Fran¬
zosen lieſs sich schon etwas bauen. Du siehst es ist
gegangen. In Imola kann man gut Maskerade spie¬
len. Der Papst und seine Gesellen vergessen das Ge¬
bot des heiligen Anchises noch nicht, das er seinem
frommen Sohne beym Abschied aus der Hölle gab;
und wo Ein Mittel nicht hilft, hilft das andere. In

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[388 /0416] das durch den Willen des heiligen Vaters und das An¬ sehen der Kirche ipso jure null ist. Du kannst den¬ ken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie schwach man die am Arno halten muſs, daſs man ei¬ ne solche Sprache wagt. Aber sie wissen, daſs sie mit dem Herrn in Paris zusammen gehen; das erklärt und rechtfertigt vielleicht ihre Kühnheit. Die gröſste An¬ zahl seufzt hier nach der alten Regierung; Neuerungs¬ süchtige hoffen auf Verbindung mit den Herren jen¬ seit des Berges, oder gar mit den Franzosen; die jez¬ zige Regierung hat den kleinsten Anhang. Der Kö¬ nig ist nicht gemacht ihn zu vergröſsern: das hat man sehr wohl gewuſst, sonst hätte man ihn nicht zum Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die Anekdote sehr laut herum, daſs er in seinem Privat¬ theater den Balordo vortrefflich macht, und niemand wundert sich darüber. Es wurde hier von Meyers Nachrichten von Bo¬ napartes Privatleben gesprochen; und Leclerk, der ihn doch wohl etwas näher kennen muſs, soll darüber ganz eigene Berichtigungen gemacht haben. Die Fein¬ heit der Kardinäle zeigte sich vorzüglich in der Papst¬ wahl. Pius der Siebente war als Bischof von Imola Bonapartes Gastfreund gewesen: auf diesen Umstand und den individuellen Charakter des korsischen Fran¬ zosen lieſs sich schon etwas bauen. Du siehst es ist gegangen. In Imola kann man gut Maskerade spie¬ len. Der Papst und seine Gesellen vergessen das Ge¬ bot des heiligen Anchises noch nicht, das er seinem frommen Sohne beym Abschied aus der Hölle gab; und wo Ein Mittel nicht hilft, hilft das andere. In

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 388 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/416>, abgerufen am 23.04.2024.