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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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züglich die Sammlung des Hauses Kolonna. Aus den
Gärten Borghese ist kein einziges Stück entfernt. Bloss
der Fechter und der Silen daselbst haben einen so
klassischen Werth, wie ihn mehrere der nach Paris
geschafften Stücke nicht haben. Die grösste Sottise,
die vielleicht je die Antiquare gemacht haben, ist dass
sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen Bacchus für
einen Saturnus hielten, der eben auch diese Geburt
fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung aus¬
kramte, muss vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt
haben. Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Kna¬
benstatue mit der Bulle, die man für einen jungen
Britannikus hält. Sey es wer man wolle, es ist ein
römischer Knabe, der sich der männlichen Toga nä¬
hert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit und An¬
muth dargestellt. Ich habe nichts ähnliches in dieser
Art mehr gefunden.

In der Galerie Doria zog meine Aufmerksamkeit
vornehmlich ein weibliches Gemälde von Leonardo
da Vinci auf sich, das man für die Königin Johanna
von Neapel ausgab. Darüber erschrak ich. Das kann
Johanna nicht seyn, sagte ich, unmöglich; ich wäre
für das Original von Leukade gesprungen: das kann
die Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat
die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine
Falschspielerin. Man behauptete, es wär' ihr Bild, und
ich genoss in der Träumerey über den Kopf die schö¬
nen Salvator Rosa im andern Flügel nur halb. Als
ich nach Hause kam, fragte ich Fernow; und dieser
sagte mir, ich habe Recht; es sey nun ausgemacht,
dass es eine gewisse Gräfin aus Oberitalien sey. Ich

züglich die Sammlung des Hauses Kolonna. Aus den
Gärten Borghese ist kein einziges Stück entfernt. Bloſs
der Fechter und der Silen daselbst haben einen so
klassischen Werth, wie ihn mehrere der nach Paris
geschafften Stücke nicht haben. Die gröſste Sottise,
die vielleicht je die Antiquare gemacht haben, ist daſs
sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen Bacchus für
einen Saturnus hielten, der eben auch diese Geburt
fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung aus¬
kramte, muſs vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt
haben. Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Kna¬
benstatue mit der Bulle, die man für einen jungen
Britannikus hält. Sey es wer man wolle, es ist ein
römischer Knabe, der sich der männlichen Toga nä¬
hert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit und An¬
muth dargestellt. Ich habe nichts ähnliches in dieser
Art mehr gefunden.

In der Galerie Doria zog meine Aufmerksamkeit
vornehmlich ein weibliches Gemälde von Leonardo
da Vinci auf sich, das man für die Königin Johanna
von Neapel ausgab. Darüber erschrak ich. Das kann
Johanna nicht seyn, sagte ich, unmöglich; ich wäre
für das Original von Leukade gesprungen: das kann
die Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat
die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine
Falschspielerin. Man behauptete, es wär' ihr Bild, und
ich genoſs in der Träumerey über den Kopf die schö¬
nen Salvator Rosa im andern Flügel nur halb. Als
ich nach Hause kam, fragte ich Fernow; und dieser
sagte mir, ich habe Recht; es sey nun ausgemacht,
daſs es eine gewisse Gräfin aus Oberitalien sey. Ich

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[370 /0398] züglich die Sammlung des Hauses Kolonna. Aus den Gärten Borghese ist kein einziges Stück entfernt. Bloſs der Fechter und der Silen daselbst haben einen so klassischen Werth, wie ihn mehrere der nach Paris geschafften Stücke nicht haben. Die gröſste Sottise, die vielleicht je die Antiquare gemacht haben, ist daſs sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen Bacchus für einen Saturnus hielten, der eben auch diese Geburt fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung aus¬ kramte, muſs vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt haben. Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Kna¬ benstatue mit der Bulle, die man für einen jungen Britannikus hält. Sey es wer man wolle, es ist ein römischer Knabe, der sich der männlichen Toga nä¬ hert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit und An¬ muth dargestellt. Ich habe nichts ähnliches in dieser Art mehr gefunden. In der Galerie Doria zog meine Aufmerksamkeit vornehmlich ein weibliches Gemälde von Leonardo da Vinci auf sich, das man für die Königin Johanna von Neapel ausgab. Darüber erschrak ich. Das kann Johanna nicht seyn, sagte ich, unmöglich; ich wäre für das Original von Leukade gesprungen: das kann die Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine Falschspielerin. Man behauptete, es wär' ihr Bild, und ich genoſs in der Träumerey über den Kopf die schö¬ nen Salvator Rosa im andern Flügel nur halb. Als ich nach Hause kam, fragte ich Fernow; und dieser sagte mir, ich habe Recht; es sey nun ausgemacht, daſs es eine gewisse Gräfin aus Oberitalien sey. Ich

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 370 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/398>, abgerufen am 16.04.2024.