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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Der Wind schaukelt uns ohne Fortkommen hin und
her, und fast schon den ganzen Tag tanzen wir hier
vor Massa, Kapri und Ischia herum. Den ein und
zwanzigsten April Abends gab das Kriegsschiff, wel¬
ches jetzt, glaube ich, die ganze Flotte des Königs von
Neapel ausmacht, das Signal, und wir arbeiteten uns
aus dem Hafen heraus. Den andern Morgen hatten
wir Sicilien und sogar Palermo noch ziemlich nah im
Gesichte; der Rosalienberg und die Spitzen von Ter¬
mini und Cefalu lagen ganz deutlich vor uns: das an¬
dere war von dem trüben Wetter gedeckt. Mehrere
Schiffe mit Orangen und Oel hatten sich angeschlossen,
um die sichere Fahrt mit dem Kriegsschiffe und dem
Paketboot zu machen. Das letztere hat auch zwanzig
Kanonen und ist zum Schlagen eingerichtet. Wir
sassen lange zwischen Ustika und den liparischen In¬
seln, und ich las, weiss der Himmel wie ich eben hier
auf diesen Artikel fiel, während der Windstille die
Georgika Virgils, die ich hier besser genoss als jemals.
Nur wollte mir die Schlussfabel von dem Bienenvater
nicht sonderlich gefallen: sie ist schön, aber hierher
gezwungen. Dann las ich, da der Wind noch nicht
kommen wollte, ob wir gleich in seinem mythologi¬
schen Vaterlande waren, ein grosses Stück in die Ae¬
neis hinein. Hier wollte mir nun, unter vielen Schön¬
heiten im 4. Buche die Beschreibung des Atlas wieder
nicht behagen, so herrlich sie auch klingt. Es ist, dünkt
mich, etwas Unordnung darin, die man dem Herrn Maro


Der Wind schaukelt uns ohne Fortkommen hin und
her, und fast schon den ganzen Tag tanzen wir hier
vor Massa, Kapri und Ischia herum. Den ein und
zwanzigsten April Abends gab das Kriegsschiff, wel¬
ches jetzt, glaube ich, die ganze Flotte des Königs von
Neapel ausmacht, das Signal, und wir arbeiteten uns
aus dem Hafen heraus. Den andern Morgen hatten
wir Sicilien und sogar Palermo noch ziemlich nah im
Gesichte; der Rosalienberg und die Spitzen von Ter¬
mini und Cefalu lagen ganz deutlich vor uns: das an¬
dere war von dem trüben Wetter gedeckt. Mehrere
Schiffe mit Orangen und Oel hatten sich angeschlossen,
um die sichere Fahrt mit dem Kriegsschiffe und dem
Paketboot zu machen. Das letztere hat auch zwanzig
Kanonen und ist zum Schlagen eingerichtet. Wir
saſsen lange zwischen Ustika und den liparischen In¬
seln, und ich las, weiſs der Himmel wie ich eben hier
auf diesen Artikel fiel, während der Windstille die
Georgika Virgils, die ich hier besser genoſs als jemals.
Nur wollte mir die Schluſsfabel von dem Bienenvater
nicht sonderlich gefallen: sie ist schön, aber hierher
gezwungen. Dann las ich, da der Wind noch nicht
kommen wollte, ob wir gleich in seinem mythologi¬
schen Vaterlande waren, ein groſses Stück in die Ae¬
neis hinein. Hier wollte mir nun, unter vielen Schön¬
heiten im 4. Buche die Beschreibung des Atlas wieder
nicht behagen, so herrlich sie auch klingt. Es ist, dünkt
mich, etwas Unordnung darin, die man dem Herrn Maro

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[[329]/0355] Bey Kapri. Der Wind schaukelt uns ohne Fortkommen hin und her, und fast schon den ganzen Tag tanzen wir hier vor Massa, Kapri und Ischia herum. Den ein und zwanzigsten April Abends gab das Kriegsschiff, wel¬ ches jetzt, glaube ich, die ganze Flotte des Königs von Neapel ausmacht, das Signal, und wir arbeiteten uns aus dem Hafen heraus. Den andern Morgen hatten wir Sicilien und sogar Palermo noch ziemlich nah im Gesichte; der Rosalienberg und die Spitzen von Ter¬ mini und Cefalu lagen ganz deutlich vor uns: das an¬ dere war von dem trüben Wetter gedeckt. Mehrere Schiffe mit Orangen und Oel hatten sich angeschlossen, um die sichere Fahrt mit dem Kriegsschiffe und dem Paketboot zu machen. Das letztere hat auch zwanzig Kanonen und ist zum Schlagen eingerichtet. Wir saſsen lange zwischen Ustika und den liparischen In¬ seln, und ich las, weiſs der Himmel wie ich eben hier auf diesen Artikel fiel, während der Windstille die Georgika Virgils, die ich hier besser genoſs als jemals. Nur wollte mir die Schluſsfabel von dem Bienenvater nicht sonderlich gefallen: sie ist schön, aber hierher gezwungen. Dann las ich, da der Wind noch nicht kommen wollte, ob wir gleich in seinem mythologi¬ schen Vaterlande waren, ein groſses Stück in die Ae¬ neis hinein. Hier wollte mir nun, unter vielen Schön¬ heiten im 4. Buche die Beschreibung des Atlas wieder nicht behagen, so herrlich sie auch klingt. Es ist, dünkt mich, etwas Unordnung darin, die man dem Herrn Maro

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. [329]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/355>, abgerufen am 18.04.2024.