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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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kantilisches Talent habe und gewöhnlich gleich zu¬
schlage. Nun wollte der Mensch die ganze Summe
voraus haben; das fand ich etwas sonderbar und
meinte, wenn er mir nicht traute, so müssten wir
theilen, und ich würde ihm die Hälfte voraus zahlen.
Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch
drolliger war sein Grund. Er meinte, wenn ich ge¬
plündert oder erschlagen würde, wie sollte er dann zu
seinem Gelde kommen? Das war mir zu arg; ich
schickte ihn ärgerlich fort und ging mit meinem
Schnappsack allein.

Von hier wollte ich nach Syrakus; aber ich ging in
den Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen
und Thäler abermals irre, und kam anstatt nach Sy¬
rakus nach Augusta. Das erste Stündchen Weg war
schön und ziemlich gut bebaut; aber sodann waren
einige Stunden nichts als Wildniss, wo rund umher
Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen.
Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wie¬
der an, und hier ist sie vielleicht am besten auf der
ganzen Insel. Der Wein, den ich hier sah, wird ganz
dicht am Boden alle Jahre weggeschnitten, und die
einzige Rebe des Jahres giebt die Ernte. Das kann
nun wohl nur hier in diesem Boden und unter die¬
sem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnü¬
gen die Verschiedenheit des Weinbaues von Meissen
bis nach Syrakus zu sehen; und wenn ich ein wein¬
gelehrter Mann wäre, hätte ich viel lernen können.
Die Landzunge auf welcher Augusta liegt, mit der
Gegend einige Stunden umher, gehört zu dem üppig¬
sten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man Salz

kantilisches Talent habe und gewöhnlich gleich zu¬
schlage. Nun wollte der Mensch die ganze Summe
voraus haben; das fand ich etwas sonderbar und
meinte, wenn er mir nicht traute, so müſsten wir
theilen, und ich würde ihm die Hälfte voraus zahlen.
Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch
drolliger war sein Grund. Er meinte, wenn ich ge¬
plündert oder erschlagen würde, wie sollte er dann zu
seinem Gelde kommen? Das war mir zu arg; ich
schickte ihn ärgerlich fort und ging mit meinem
Schnappsack allein.

Von hier wollte ich nach Syrakus; aber ich ging in
den Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen
und Thäler abermals irre, und kam anstatt nach Sy¬
rakus nach Augusta. Das erste Stündchen Weg war
schön und ziemlich gut bebaut; aber sodann waren
einige Stunden nichts als Wildniſs, wo rund umher
Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen.
Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wie¬
der an, und hier ist sie vielleicht am besten auf der
ganzen Insel. Der Wein, den ich hier sah, wird ganz
dicht am Boden alle Jahre weggeschnitten, und die
einzige Rebe des Jahres giebt die Ernte. Das kann
nun wohl nur hier in diesem Boden und unter die¬
sem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnü¬
gen die Verschiedenheit des Weinbaues von Meiſsen
bis nach Syrakus zu sehen; und wenn ich ein wein¬
gelehrter Mann wäre, hätte ich viel lernen können.
Die Landzunge auf welcher Augusta liegt, mit der
Gegend einige Stunden umher, gehört zu dem üppig¬
sten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man Salz

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[238/0264] kantilisches Talent habe und gewöhnlich gleich zu¬ schlage. Nun wollte der Mensch die ganze Summe voraus haben; das fand ich etwas sonderbar und meinte, wenn er mir nicht traute, so müſsten wir theilen, und ich würde ihm die Hälfte voraus zahlen. Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch drolliger war sein Grund. Er meinte, wenn ich ge¬ plündert oder erschlagen würde, wie sollte er dann zu seinem Gelde kommen? Das war mir zu arg; ich schickte ihn ärgerlich fort und ging mit meinem Schnappsack allein. Von hier wollte ich nach Syrakus; aber ich ging in den Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen und Thäler abermals irre, und kam anstatt nach Sy¬ rakus nach Augusta. Das erste Stündchen Weg war schön und ziemlich gut bebaut; aber sodann waren einige Stunden nichts als Wildniſs, wo rund umher Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen. Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wie¬ der an, und hier ist sie vielleicht am besten auf der ganzen Insel. Der Wein, den ich hier sah, wird ganz dicht am Boden alle Jahre weggeschnitten, und die einzige Rebe des Jahres giebt die Ernte. Das kann nun wohl nur hier in diesem Boden und unter die¬ sem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnü¬ gen die Verschiedenheit des Weinbaues von Meiſsen bis nach Syrakus zu sehen; und wenn ich ein wein¬ gelehrter Mann wäre, hätte ich viel lernen können. Die Landzunge auf welcher Augusta liegt, mit der Gegend einige Stunden umher, gehört zu dem üppig¬ sten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man Salz

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/264>, abgerufen am 25.04.2024.