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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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war, und sagte dabey, ich würde in der ganzen Stadt
kein besseres finden. Ich warf mich auf einen Hau¬
fen Haferspreu, die in einem Winkel aufgeschüttet
war, und schlief ein. Ich mochte vielleicht ein Stünd¬
chen geschlafen haben und es war gegen Abend, da
wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das
Loch so nennen kann, war voll Leute aller Art, eini¬
ge stattlich gekleidet, andere in Lumpen. Vor mir
stand ein Mann im Matrosenhabit, der eine förmliche
lange Inquisition mit mir anhob. Er war ganz höf¬
lich, so viel Höflichkeit nehmlich bey so einem Beneh¬
men Statt finden kann, fragte erst italiänisch, sprach
dann etwas Tyrolerdeutsch, da er hörte, dass ich ein
Deutscher sey; dann französisch, dann englisch und
endlich Latein. Die Anwesenden machten Ohren,
Maul und Nase auf, um so viel als möglich zu kapie¬
ren. Man war geneigt mich für einen Franzosen zu
halten, fragte, ob ich der Republik gedient habe, und
so weiter: aber über ihre Stimmung gegen die Fran¬
zosen gaben sie nicht das geringste Merkzeichen. Der
Mann im Matrosenkleide sagte, ich müsste Franzose
seyn, weil ich das Französische so gut spräche. Das
konnte nur ihm so vorkommen, weil er es sehr
schlecht sprach. Das Examen ward mir endlich sehr
penibel, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen und mich
auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen;
ich sagte also bestimmt: Wenn ich verdächtig bin,
mein Herr, so bringen Sie mich vor die Behörde, wo
ich mich legitimieren werde; oder wenn Sie selbst
von der Polizey sind, so sprechen Sie offen, damit ich
mich darnach benehmen kann. Erlauben Sie mir übri¬

war, und sagte dabey, ich würde in der ganzen Stadt
kein besseres finden. Ich warf mich auf einen Hau¬
fen Haferspreu, die in einem Winkel aufgeschüttet
war, und schlief ein. Ich mochte vielleicht ein Stünd¬
chen geschlafen haben und es war gegen Abend, da
wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das
Loch so nennen kann, war voll Leute aller Art, eini¬
ge stattlich gekleidet, andere in Lumpen. Vor mir
stand ein Mann im Matrosenhabit, der eine förmliche
lange Inquisition mit mir anhob. Er war ganz höf¬
lich, so viel Höflichkeit nehmlich bey so einem Beneh¬
men Statt finden kann, fragte erst italiänisch, sprach
dann etwas Tyrolerdeutsch, da er hörte, daſs ich ein
Deutscher sey; dann französisch, dann englisch und
endlich Latein. Die Anwesenden machten Ohren,
Maul und Nase auf, um so viel als möglich zu kapie¬
ren. Man war geneigt mich für einen Franzosen zu
halten, fragte, ob ich der Republik gedient habe, und
so weiter: aber über ihre Stimmung gegen die Fran¬
zosen gaben sie nicht das geringste Merkzeichen. Der
Mann im Matrosenkleide sagte, ich müſste Franzose
seyn, weil ich das Französische so gut spräche. Das
konnte nur ihm so vorkommen, weil er es sehr
schlecht sprach. Das Examen ward mir endlich sehr
penibel, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen und mich
auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen;
ich sagte also bestimmt: Wenn ich verdächtig bin,
mein Herr, so bringen Sie mich vor die Behörde, wo
ich mich legitimieren werde; oder wenn Sie selbst
von der Polizey sind, so sprechen Sie offen, damit ich
mich darnach benehmen kann. Erlauben Sie mir übri¬

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[232/0258] war, und sagte dabey, ich würde in der ganzen Stadt kein besseres finden. Ich warf mich auf einen Hau¬ fen Haferspreu, die in einem Winkel aufgeschüttet war, und schlief ein. Ich mochte vielleicht ein Stünd¬ chen geschlafen haben und es war gegen Abend, da wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das Loch so nennen kann, war voll Leute aller Art, eini¬ ge stattlich gekleidet, andere in Lumpen. Vor mir stand ein Mann im Matrosenhabit, der eine förmliche lange Inquisition mit mir anhob. Er war ganz höf¬ lich, so viel Höflichkeit nehmlich bey so einem Beneh¬ men Statt finden kann, fragte erst italiänisch, sprach dann etwas Tyrolerdeutsch, da er hörte, daſs ich ein Deutscher sey; dann französisch, dann englisch und endlich Latein. Die Anwesenden machten Ohren, Maul und Nase auf, um so viel als möglich zu kapie¬ ren. Man war geneigt mich für einen Franzosen zu halten, fragte, ob ich der Republik gedient habe, und so weiter: aber über ihre Stimmung gegen die Fran¬ zosen gaben sie nicht das geringste Merkzeichen. Der Mann im Matrosenkleide sagte, ich müſste Franzose seyn, weil ich das Französische so gut spräche. Das konnte nur ihm so vorkommen, weil er es sehr schlecht sprach. Das Examen ward mir endlich sehr penibel, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen und mich auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen; ich sagte also bestimmt: Wenn ich verdächtig bin, mein Herr, so bringen Sie mich vor die Behörde, wo ich mich legitimieren werde; oder wenn Sie selbst von der Polizey sind, so sprechen Sie offen, damit ich mich darnach benehmen kann. Erlauben Sie mir übri¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/258>, abgerufen am 29.03.2024.