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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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len, recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die
Quelle ist so vernachlässiget, dass mir der Wein sehr
willkommen war. Ich musste hier für ein Paar junge
Tauben, das einzige was man finden konnte, acht
Karlin, ungefähr einen Thaler nach unserm Gelde,
bezahlen; da ich doch mit den ewigen Makkaronen
mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das
beste war hier ein grosser schöner herrlicher Orangen¬
garten, wo ich aussuchen und pflücken konnte, so
viel ich Lust hatte, ohne dass es die Rechnung ver¬
mehrt hätte, und wo ich die köstlichsten hochglühen¬
den Früchte von der Grösse einer kleinen Melone
fand. Gegen über hängt das alte Sutera traurig an
einem Felsen, und Kampo franco von der andern
Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und
die Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor
denen ich keinen Fuss vor die Thür setzen kann:
denn ich kann nicht helfen, wenn ich auch alle Ta¬
schen leerte und mich ihnen gleich machte.

Der Fluss ohne Brücke, über den ich in einem
Strich von ungefähr drey deutschen Meilen wohl funf¬
zehn Mahl hatte reiten müssen, weil der Weg bald
diesseits bald jenseits gehet, ward diesen Morgen ziem¬
lich gross; und das letzte Mahl kamen zwey starke
cyklopische Kerle, die mich mit Gewalt auf den
Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus bis aufs
Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme, tru¬
gen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen,
und suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Ver¬
dienst recht gross zu machen: ich hätte gerade zu
Fusse durchgehen wollen, und wäre nicht schlimmer

len, recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die
Quelle ist so vernachlässiget, daſs mir der Wein sehr
willkommen war. Ich muſste hier für ein Paar junge
Tauben, das einzige was man finden konnte, acht
Karlin, ungefähr einen Thaler nach unserm Gelde,
bezahlen; da ich doch mit den ewigen Makkaronen
mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das
beste war hier ein groſser schöner herrlicher Orangen¬
garten, wo ich aussuchen und pflücken konnte, so
viel ich Lust hatte, ohne daſs es die Rechnung ver¬
mehrt hätte, und wo ich die köstlichsten hochglühen¬
den Früchte von der Gröſse einer kleinen Melone
fand. Gegen über hängt das alte Sutera traurig an
einem Felsen, und Kampo franco von der andern
Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und
die Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor
denen ich keinen Fuſs vor die Thür setzen kann:
denn ich kann nicht helfen, wenn ich auch alle Ta¬
schen leerte und mich ihnen gleich machte.

Der Fluſs ohne Brücke, über den ich in einem
Strich von ungefähr drey deutschen Meilen wohl funf¬
zehn Mahl hatte reiten müssen, weil der Weg bald
diesseits bald jenseits gehet, ward diesen Morgen ziem¬
lich groſs; und das letzte Mahl kamen zwey starke
cyklopische Kerle, die mich mit Gewalt auf den
Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus bis aufs
Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme, tru¬
gen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen,
und suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Ver¬
dienst recht groſs zu machen: ich hätte gerade zu
Fuſse durchgehen wollen, und wäre nicht schlimmer

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[212/0238] len, recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die Quelle ist so vernachlässiget, daſs mir der Wein sehr willkommen war. Ich muſste hier für ein Paar junge Tauben, das einzige was man finden konnte, acht Karlin, ungefähr einen Thaler nach unserm Gelde, bezahlen; da ich doch mit den ewigen Makkaronen mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das beste war hier ein groſser schöner herrlicher Orangen¬ garten, wo ich aussuchen und pflücken konnte, so viel ich Lust hatte, ohne daſs es die Rechnung ver¬ mehrt hätte, und wo ich die köstlichsten hochglühen¬ den Früchte von der Gröſse einer kleinen Melone fand. Gegen über hängt das alte Sutera traurig an einem Felsen, und Kampo franco von der andern Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und die Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor denen ich keinen Fuſs vor die Thür setzen kann: denn ich kann nicht helfen, wenn ich auch alle Ta¬ schen leerte und mich ihnen gleich machte. Der Fluſs ohne Brücke, über den ich in einem Strich von ungefähr drey deutschen Meilen wohl funf¬ zehn Mahl hatte reiten müssen, weil der Weg bald diesseits bald jenseits gehet, ward diesen Morgen ziem¬ lich groſs; und das letzte Mahl kamen zwey starke cyklopische Kerle, die mich mit Gewalt auf den Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus bis aufs Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme, tru¬ gen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen, und suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Ver¬ dienst recht groſs zu machen: ich hätte gerade zu Fuſse durchgehen wollen, und wäre nicht schlimmer

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/238>, abgerufen am 29.03.2024.