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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen
den Feind im Rücken, und liefen über Hals und Kopf
Dach Kajeta.

Itri war von den Franzosen hässlich mitgenom¬
men worden. Man hatte die Kirchen verwüstet und
Pferdeställe daraus gemacht. Das ist nun freylich
nicht sehr human; von Religiosität nichts zu sagen.
Der Ort liegt in einer Bergschlucht tief begraben. Es
standen hier nur wenige Soldaten zur Polizey, deren
Kommandant ein ehemahliger östreichischer Sergeant,
jetzt neapolitanischer Fähnrich war, der uns die Ehre
that mit uns einige Stunden Wein zu trinken. Mein
Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich musste ihm
also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf
konnte er nicht fort, weil seine Füsse nicht mehr in
baulichem Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben.
Er suchte mich überdiess zu überreden, ich möchte
mit ihm von Kajeta aus zur See gehen, weil er den
Landweg nicht aushalten würde. Das ging für mich
nun nicht; denn ich wollte über den Liris hinunter
nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem
Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittierte in
Gedanken schon, übergab ihn und mich dem Him¬
mel und wandelte allein ab. Fast hätte ich vergessen
Dir eine etwas ernsthafte Geschichte von Itri zu er¬
zählen, nehmlich ernsthaft für mich. Itri ist ein
Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere Wirthin
war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in
der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und
den übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen
hatte. Ich legte mich oben auf einem Saale zu Bette,

Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen
den Feind im Rücken, und liefen über Hals und Kopf
Dach Kajeta.

Itri war von den Franzosen häſslich mitgenom¬
men worden. Man hatte die Kirchen verwüstet und
Pferdeställe daraus gemacht. Das ist nun freylich
nicht sehr human; von Religiosität nichts zu sagen.
Der Ort liegt in einer Bergschlucht tief begraben. Es
standen hier nur wenige Soldaten zur Polizey, deren
Kommandant ein ehemahliger östreichischer Sergeant,
jetzt neapolitanischer Fähnrich war, der uns die Ehre
that mit uns einige Stunden Wein zu trinken. Mein
Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich muſste ihm
also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf
konnte er nicht fort, weil seine Füſse nicht mehr in
baulichem Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben.
Er suchte mich überdieſs zu überreden, ich möchte
mit ihm von Kajeta aus zur See gehen, weil er den
Landweg nicht aushalten würde. Das ging für mich
nun nicht; denn ich wollte über den Liris hinunter
nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem
Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittierte in
Gedanken schon, übergab ihn und mich dem Him¬
mel und wandelte allein ab. Fast hätte ich vergessen
Dir eine etwas ernsthafte Geschichte von Itri zu er¬
zählen, nehmlich ernsthaft für mich. Itri ist ein
Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere Wirthin
war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in
der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und
den übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen
hatte. Ich legte mich oben auf einem Saale zu Bette,

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[174/0200] Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen den Feind im Rücken, und liefen über Hals und Kopf Dach Kajeta. Itri war von den Franzosen häſslich mitgenom¬ men worden. Man hatte die Kirchen verwüstet und Pferdeställe daraus gemacht. Das ist nun freylich nicht sehr human; von Religiosität nichts zu sagen. Der Ort liegt in einer Bergschlucht tief begraben. Es standen hier nur wenige Soldaten zur Polizey, deren Kommandant ein ehemahliger östreichischer Sergeant, jetzt neapolitanischer Fähnrich war, der uns die Ehre that mit uns einige Stunden Wein zu trinken. Mein Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich muſste ihm also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf konnte er nicht fort, weil seine Füſse nicht mehr in baulichem Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben. Er suchte mich überdieſs zu überreden, ich möchte mit ihm von Kajeta aus zur See gehen, weil er den Landweg nicht aushalten würde. Das ging für mich nun nicht; denn ich wollte über den Liris hinunter nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittierte in Gedanken schon, übergab ihn und mich dem Him¬ mel und wandelte allein ab. Fast hätte ich vergessen Dir eine etwas ernsthafte Geschichte von Itri zu er¬ zählen, nehmlich ernsthaft für mich. Itri ist ein Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere Wirthin war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und den übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen hatte. Ich legte mich oben auf einem Saale zu Bette,

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/200>, abgerufen am 28.03.2024.