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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Namen ich vergessen habe, nicht weit von dem alten
Kamerinum, dessen Livius im punischen Kriege sehr
ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man mich sehr gast¬
freundlich und ich erhielt den bedungenen Wagen
nach Foligno. Serrevalle ist ein grosses langes Dorf
in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluss,
nicht weit von der grössten Höhe des Apennins; und
ich wunderte mich, dass man hier so gut und so
wohlfeil zu essen fand. Von dem See bey Colfiorito,
einem Kessel in den höchsten Bergwänden, geht es
bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg win¬
det sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke
hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Ab¬
hange des Berges, fast eben so zwischen Felsen wie
Seerevalle auf der andern Seite. Die Leute hier ver¬
stehen sich sehr gut zu nähren, indem sie die Sympa¬
thie der Reisenden in Kontribution setzen. Sie über¬
theuern den Fremden nicht, sondern appellieren bey
der Bezahlung mit Resignation an seine Grossmuth.
Wenn man nun einen Blick auf die hohen, furchtba¬
ren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man
müsste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tie¬
fer in die Tasche griffe und den gutmüthigen Men¬
schen leben hülfe.

Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie,
wie es vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so
schön und romantisch ist sie. Man erhebt sich wie¬
der auf eine ansehnliche Höhe des Apennins, und hat
über eine sehr reiche Gegend eine der grössten Aus¬
sichten. Unten rechts, tief in der Schlucht, sind in
einem sich nach und nach erweiternden Thale die

Namen ich vergessen habe, nicht weit von dem alten
Kamerinum, dessen Livius im punischen Kriege sehr
ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man mich sehr gast¬
freundlich und ich erhielt den bedungenen Wagen
nach Foligno. Serrevalle ist ein groſses langes Dorf
in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluſs,
nicht weit von der gröſsten Höhe des Apennins; und
ich wunderte mich, daſs man hier so gut und so
wohlfeil zu essen fand. Von dem See bey Colfiorito,
einem Kessel in den höchsten Bergwänden, geht es
bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg win¬
det sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke
hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Ab¬
hange des Berges, fast eben so zwischen Felsen wie
Seerevalle auf der andern Seite. Die Leute hier ver¬
stehen sich sehr gut zu nähren, indem sie die Sympa¬
thie der Reisenden in Kontribution setzen. Sie über¬
theuern den Fremden nicht, sondern appellieren bey
der Bezahlung mit Resignation an seine Groſsmuth.
Wenn man nun einen Blick auf die hohen, furchtba¬
ren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man
müſste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tie¬
fer in die Tasche griffe und den gutmüthigen Men¬
schen leben hülfe.

Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie,
wie es vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so
schön und romantisch ist sie. Man erhebt sich wie¬
der auf eine ansehnliche Höhe des Apennins, und hat
über eine sehr reiche Gegend eine der gröſsten Aus¬
sichten. Unten rechts, tief in der Schlucht, sind in
einem sich nach und nach erweiternden Thale die

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[141/0167] Namen ich vergessen habe, nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man mich sehr gast¬ freundlich und ich erhielt den bedungenen Wagen nach Foligno. Serrevalle ist ein groſses langes Dorf in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluſs, nicht weit von der gröſsten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich, daſs man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem See bey Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden, geht es bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg win¬ det sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Ab¬ hange des Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Seerevalle auf der andern Seite. Die Leute hier ver¬ stehen sich sehr gut zu nähren, indem sie die Sympa¬ thie der Reisenden in Kontribution setzen. Sie über¬ theuern den Fremden nicht, sondern appellieren bey der Bezahlung mit Resignation an seine Groſsmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen, furchtba¬ ren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man müſste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tie¬ fer in die Tasche griffe und den gutmüthigen Men¬ schen leben hülfe. Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie, wie es vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so schön und romantisch ist sie. Man erhebt sich wie¬ der auf eine ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche Gegend eine der gröſsten Aus¬ sichten. Unten rechts, tief in der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden Thale die

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/167>, abgerufen am 28.03.2024.