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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Herr Wirth sich hinstellte und mir die patriarchali¬
sche Mahlzeit bereitete und ich ihm hülfreiche Hand
leistete. Er klagte mir ganz leise, dass die gottlosen
Franzosen viere der schönsten Gemählde von hier mit
weggenommen haben. Als ich den andern Morgen
im Kaffeehause sass und mein Frühstück verzehrte,
liessen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe,
bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte.
Dieser mein Vetturino war nun ein ächter Orthodox,
der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein Stossge¬
betchen sagte, seine Messe brummte und übrigens
fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen Dingen war
sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so
entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in
vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger ver¬
dammt wäre solche Melodien zu hören, würde ich
bald Materialismus und Vernichtung für das Konsequen¬
teste halten: denn solche Seelen können nicht fort leben.

Vor Pesaro und noch mehr bey Fano wird die
Gegend ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und De¬
fileen in den Höhen, und es wird leicht begreiflich,
wie die fremden Karthager sich hier verirrten und
den Römern leichtes Spiel machten. Der Metaurus
ist, wie fast alle Flüsse welche aus den Apenninen
kommen, ein gar schmutziger Fluss, und hat eben so
wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man
wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg
zeigen, wo Hasdrubal geschlagen worden seyn soll.
Ich kann darüber nichts bestimmen, da mir die Ge¬
schichte der Schlacht aus den alten Schriftstellern nicht
gegenwärtig war. So viel ist gewiss, dass sie hier in

Herr Wirth sich hinstellte und mir die patriarchali¬
sche Mahlzeit bereitete und ich ihm hülfreiche Hand
leistete. Er klagte mir ganz leise, daſs die gottlosen
Franzosen viere der schönsten Gemählde von hier mit
weggenommen haben. Als ich den andern Morgen
im Kaffeehause saſs und mein Frühstück verzehrte,
liessen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe,
bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte.
Dieser mein Vetturino war nun ein ächter Orthodox,
der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein Stoſsge¬
betchen sagte, seine Messe brummte und übrigens
fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen Dingen war
sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so
entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in
vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger ver¬
dammt wäre solche Melodien zu hören, würde ich
bald Materialismus und Vernichtung für das Konsequen¬
teste halten: denn solche Seelen können nicht fort leben.

Vor Pesaro und noch mehr bey Fano wird die
Gegend ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und De¬
fileen in den Höhen, und es wird leicht begreiflich,
wie die fremden Karthager sich hier verirrten und
den Römern leichtes Spiel machten. Der Metaurus
ist, wie fast alle Flüsse welche aus den Apenninen
kommen, ein gar schmutziger Fluſs, und hat eben so
wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man
wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg
zeigen, wo Hasdrubal geschlagen worden seyn soll.
Ich kann darüber nichts bestimmen, da mir die Ge¬
schichte der Schlacht aus den alten Schriftstellern nicht
gegenwärtig war. So viel ist gewiſs, daſs sie hier in

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[127/0153] Herr Wirth sich hinstellte und mir die patriarchali¬ sche Mahlzeit bereitete und ich ihm hülfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz leise, daſs die gottlosen Franzosen viere der schönsten Gemählde von hier mit weggenommen haben. Als ich den andern Morgen im Kaffeehause saſs und mein Frühstück verzehrte, liessen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein Vetturino war nun ein ächter Orthodox, der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein Stoſsge¬ betchen sagte, seine Messe brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger ver¬ dammt wäre solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und Vernichtung für das Konsequen¬ teste halten: denn solche Seelen können nicht fort leben. Vor Pesaro und noch mehr bey Fano wird die Gegend ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und De¬ fileen in den Höhen, und es wird leicht begreiflich, wie die fremden Karthager sich hier verirrten und den Römern leichtes Spiel machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse welche aus den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluſs, und hat eben so wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo Hasdrubal geschlagen worden seyn soll. Ich kann darüber nichts bestimmen, da mir die Ge¬ schichte der Schlacht aus den alten Schriftstellern nicht gegenwärtig war. So viel ist gewiſs, daſs sie hier in

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/153>, abgerufen am 23.04.2024.