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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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ssen: denn man hatte auch diesen Herrn von der an¬
dern Seite das Gehirn mit Schreckbildern angefüllt.
Sodann war auch dort, wie er sich selbst in der Ge¬
sellschaft einführte, ein grosser Philosoph, ungarischer
Hussarenunteroffizier, der hier den politischen Spion
zu machen schien. Er donnerte gewaltig über die
Revolution und brachte Anspielungen und indirekte
Drohungen gegen meine Person, als dieses Verbrechens
verdächtig. Der Wirth hat das Recht nach meinem
Pass zu fragen, mein Herr, versetzte ich, als mir die
Worte zu stark und zu deutsch wurden: wenn Sie
aber glauben, dass es nöthig ist, so führen Sie mich
vor die Behörde zur Untersuchung. Uebrigens erbitte
ich mir von ihrer Philosophie etwas Humanität. Das
wirkte: der Mann fing nun an ein halbes dutzend
Sprachen zu sprechen, und vorzüglich das Italiänische
und Ungarische mit einer horrenden Volubilität. So
bald wir nur lateinisch zusammen kamen, waren wir
Freunde, und er war sogleich von meiner politischen
Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends zu
meinem Wein mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehör¬
ten wir durchaus zu Einer Sekte. Er hielt sich an
den Wein, ich mich an die Pastetchen, und alle Co¬
neglianer, Trevisaner und Venetianer staunten den
Strom von Gelehrsamkeit an, den der Mann aus sei¬
nem Schatze hervorgoss.

Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf ei¬
nem eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten,
und gab zum ersten Mahl den Zudringlichkeiten eines
Vetturino nach, der mich für sechs Liren nach Mestre
bringen wollte. Mit der Bedingung, dass ich gleich

ſsen: denn man hatte auch diesen Herrn von der an¬
dern Seite das Gehirn mit Schreckbildern angefüllt.
Sodann war auch dort, wie er sich selbst in der Ge¬
sellschaft einführte, ein groſser Philosoph, ungarischer
Hussarenunteroffizier, der hier den politischen Spion
zu machen schien. Er donnerte gewaltig über die
Revolution und brachte Anspielungen und indirekte
Drohungen gegen meine Person, als dieses Verbrechens
verdächtig. Der Wirth hat das Recht nach meinem
Paſs zu fragen, mein Herr, versetzte ich, als mir die
Worte zu stark und zu deutsch wurden: wenn Sie
aber glauben, daſs es nöthig ist, so führen Sie mich
vor die Behörde zur Untersuchung. Uebrigens erbitte
ich mir von ihrer Philosophie etwas Humanität. Das
wirkte: der Mann fing nun an ein halbes dutzend
Sprachen zu sprechen, und vorzüglich das Italiänische
und Ungarische mit einer horrenden Volubilität. So
bald wir nur lateinisch zusammen kamen, waren wir
Freunde, und er war sogleich von meiner politischen
Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends zu
meinem Wein mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehör¬
ten wir durchaus zu Einer Sekte. Er hielt sich an
den Wein, ich mich an die Pastetchen, und alle Co¬
neglianer, Trevisaner und Venetianer staunten den
Strom von Gelehrsamkeit an, den der Mann aus sei¬
nem Schatze hervorgoſs.

Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf ei¬
nem eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten,
und gab zum ersten Mahl den Zudringlichkeiten eines
Vetturino nach, der mich für sechs Liren nach Mestre
bringen wollte. Mit der Bedingung, daſs ich gleich

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[92/0118] ſsen: denn man hatte auch diesen Herrn von der an¬ dern Seite das Gehirn mit Schreckbildern angefüllt. Sodann war auch dort, wie er sich selbst in der Ge¬ sellschaft einführte, ein groſser Philosoph, ungarischer Hussarenunteroffizier, der hier den politischen Spion zu machen schien. Er donnerte gewaltig über die Revolution und brachte Anspielungen und indirekte Drohungen gegen meine Person, als dieses Verbrechens verdächtig. Der Wirth hat das Recht nach meinem Paſs zu fragen, mein Herr, versetzte ich, als mir die Worte zu stark und zu deutsch wurden: wenn Sie aber glauben, daſs es nöthig ist, so führen Sie mich vor die Behörde zur Untersuchung. Uebrigens erbitte ich mir von ihrer Philosophie etwas Humanität. Das wirkte: der Mann fing nun an ein halbes dutzend Sprachen zu sprechen, und vorzüglich das Italiänische und Ungarische mit einer horrenden Volubilität. So bald wir nur lateinisch zusammen kamen, waren wir Freunde, und er war sogleich von meiner politischen Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends zu meinem Wein mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehör¬ ten wir durchaus zu Einer Sekte. Er hielt sich an den Wein, ich mich an die Pastetchen, und alle Co¬ neglianer, Trevisaner und Venetianer staunten den Strom von Gelehrsamkeit an, den der Mann aus sei¬ nem Schatze hervorgoſs. Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf ei¬ nem eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten, und gab zum ersten Mahl den Zudringlichkeiten eines Vetturino nach, der mich für sechs Liren nach Mestre bringen wollte. Mit der Bedingung, daſs ich gleich

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/118>, abgerufen am 25.04.2024.