Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Harlekins noch länger vielleicht nicht unlieb gewesen.
Aber ich eilte zur Ruhe und liess die Leutchen lär¬
men. Als ich den andern Morgen aufstand und fort
wollte, fand ich in dem ganzen, grossen, nicht übel
eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig. Die
Thüren waren nur von innen verriegelt und also für
mich offen: aber wenn ich auch Schuft genug wär
so schlechte Sottisen zu begehen, so könnte ich doch
das Vertrauen so gutherziger Leutchen nicht missbrau¬
chen. Ich trabte mit meinen schweren Stiefeln einige
Mahl über den Saal weg; niemand kam, nirgends eine
Bewegung. Ich klopfte an einige Zimmer; keine Ant¬
wort. Endlich kam ich an ein Zimmer das nicht ver¬
schlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das hüb¬
sche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem
Bette und entschuldigte sich freundlich, dass noch nie¬
mand im Hause wach sey. Weiss der Himmel, ob
ich armes Menschenkind nicht in grosse Verlegenheit
würde gerathen seyn, wenn sie nicht um ihre Schul¬
tern den Mantel geworfen hätte, den gestern Abend
der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der Man¬
tel gab mir sogleich eine gehörige Portion Stoicismus;
ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tem¬
pel hinaus.

Du musst wissen, dass ich entweder gar nicht
frühstücke, oder erst wenn ich zuvor einige Stunden
gegangen bin, versteht sich wenn ich etwas finde. Seit
diesem Tage machte ich mirs zum Gesetz, meine
Rechnung alle Mahl den Tag vorher zu bezahlen, da¬
mit ich den Morgen auf keine Weise aufgehalten wer¬
de. In Prewald gab man mir zuerst Görzer Wein,

Harlekins noch länger vielleicht nicht unlieb gewesen.
Aber ich eilte zur Ruhe und lieſs die Leutchen lär¬
men. Als ich den andern Morgen aufstand und fort
wollte, fand ich in dem ganzen, groſsen, nicht übel
eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig. Die
Thüren waren nur von innen verriegelt und also für
mich offen: aber wenn ich auch Schuft genug wär
so schlechte Sottisen zu begehen, so könnte ich doch
das Vertrauen so gutherziger Leutchen nicht miſsbrau¬
chen. Ich trabte mit meinen schweren Stiefeln einige
Mahl über den Saal weg; niemand kam, nirgends eine
Bewegung. Ich klopfte an einige Zimmer; keine Ant¬
wort. Endlich kam ich an ein Zimmer das nicht ver¬
schlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das hüb¬
sche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem
Bette und entschuldigte sich freundlich, daſs noch nie¬
mand im Hause wach sey. Weiſs der Himmel, ob
ich armes Menschenkind nicht in groſse Verlegenheit
würde gerathen seyn, wenn sie nicht um ihre Schul¬
tern den Mantel geworfen hätte, den gestern Abend
der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der Man¬
tel gab mir sogleich eine gehörige Portion Stoicismus;
ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tem¬
pel hinaus.

Du muſst wissen, daſs ich entweder gar nicht
frühstücke, oder erst wenn ich zuvor einige Stunden
gegangen bin, versteht sich wenn ich etwas finde. Seit
diesem Tage machte ich mirs zum Gesetz, meine
Rechnung alle Mahl den Tag vorher zu bezahlen, da¬
mit ich den Morgen auf keine Weise aufgehalten wer¬
de. In Prewald gab man mir zuerst Görzer Wein,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0105" n="79"/>
Harlekins noch länger vielleicht nicht unlieb gewesen.<lb/>
Aber ich eilte zur Ruhe und lie&#x017F;s die Leutchen lär¬<lb/>
men. Als ich den andern Morgen aufstand und fort<lb/>
wollte, fand ich in dem ganzen, gro&#x017F;sen, nicht übel<lb/>
eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig. Die<lb/>
Thüren waren nur von innen verriegelt und also für<lb/>
mich offen: aber wenn ich auch Schuft genug wär<lb/>
so schlechte Sottisen zu begehen, so könnte ich doch<lb/>
das Vertrauen so gutherziger Leutchen nicht mi&#x017F;sbrau¬<lb/>
chen. Ich trabte mit meinen schweren Stiefeln einige<lb/>
Mahl über den Saal weg; niemand kam, nirgends eine<lb/>
Bewegung. Ich klopfte an einige Zimmer; keine Ant¬<lb/>
wort. Endlich kam ich an ein Zimmer das nicht ver¬<lb/>
schlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das hüb¬<lb/>
sche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem<lb/>
Bette und entschuldigte sich freundlich, da&#x017F;s noch nie¬<lb/>
mand im Hause wach sey. Wei&#x017F;s der Himmel, ob<lb/>
ich armes Menschenkind nicht in gro&#x017F;se Verlegenheit<lb/>
würde gerathen seyn, wenn sie nicht um ihre Schul¬<lb/>
tern den Mantel geworfen hätte, den gestern Abend<lb/>
der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der Man¬<lb/>
tel gab mir sogleich eine gehörige Portion Stoicismus;<lb/>
ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tem¬<lb/>
pel hinaus.</p><lb/>
        <p>Du mu&#x017F;st wissen, da&#x017F;s ich entweder gar nicht<lb/>
frühstücke, oder erst wenn ich zuvor einige Stunden<lb/>
gegangen bin, versteht sich wenn ich etwas finde. Seit<lb/>
diesem Tage machte ich mirs zum Gesetz, meine<lb/>
Rechnung alle Mahl den Tag vorher zu bezahlen, da¬<lb/>
mit ich den Morgen auf keine Weise aufgehalten wer¬<lb/>
de. In Prewald gab man mir zuerst Görzer Wein,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0105] Harlekins noch länger vielleicht nicht unlieb gewesen. Aber ich eilte zur Ruhe und lieſs die Leutchen lär¬ men. Als ich den andern Morgen aufstand und fort wollte, fand ich in dem ganzen, groſsen, nicht übel eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig. Die Thüren waren nur von innen verriegelt und also für mich offen: aber wenn ich auch Schuft genug wär so schlechte Sottisen zu begehen, so könnte ich doch das Vertrauen so gutherziger Leutchen nicht miſsbrau¬ chen. Ich trabte mit meinen schweren Stiefeln einige Mahl über den Saal weg; niemand kam, nirgends eine Bewegung. Ich klopfte an einige Zimmer; keine Ant¬ wort. Endlich kam ich an ein Zimmer das nicht ver¬ schlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das hüb¬ sche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem Bette und entschuldigte sich freundlich, daſs noch nie¬ mand im Hause wach sey. Weiſs der Himmel, ob ich armes Menschenkind nicht in groſse Verlegenheit würde gerathen seyn, wenn sie nicht um ihre Schul¬ tern den Mantel geworfen hätte, den gestern Abend der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der Man¬ tel gab mir sogleich eine gehörige Portion Stoicismus; ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tem¬ pel hinaus. Du muſst wissen, daſs ich entweder gar nicht frühstücke, oder erst wenn ich zuvor einige Stunden gegangen bin, versteht sich wenn ich etwas finde. Seit diesem Tage machte ich mirs zum Gesetz, meine Rechnung alle Mahl den Tag vorher zu bezahlen, da¬ mit ich den Morgen auf keine Weise aufgehalten wer¬ de. In Prewald gab man mir zuerst Görzer Wein,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/105
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/105>, abgerufen am 23.04.2024.