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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Im Ararat-Gebiet.
Die Culturen verschwinden mehr und mehr, einzelne Bäume
nur kleben hin und wieder an den Felsabstürzen und zwischen
den riesigen Trachytblöcken sprießt spärliches Gras. Allenthalben
ist hier der Boden schlackig von uralten gestockten Lavamassen.
Hoch oben in unendlicher Bläue glitzern die Eis- und Schnee-
zinnen der beiden Riesengipfel und die Senkung zwischen beiden
wird wohl ein Paß genannt, doch wird er von Reisenden nie
betreten. In diesem Einschnitte liegt auch das, in Folge des
letzten großen Erdbebens verschüttete Kloster St. Jacob 1. Anders
verhält es sich aber mit jenem Paß-Einschnitte, der sich über
eine deutsche Meile lang zwischen dem großen Ararat und dem
Pambusch von Norden nach Süden zieht. Die Sattelhöhe dürfte
hier kaum 6000 Fuß übersteigen und der sonst so gefürchteten
Risse und Spalten gibt es hier verhältnißmäßig wenige. Immer-
hin bleibt eine Passage an dieser Stelle ein kühner Zug, doch
nicht ohne höhere Reize, im Angesicht des mächtigen Kegels,
dessen Scheitel unter ewigem Schnee und Eis begraben liegt.
Die Nordseite dieses Kegels, also jene, welche in die Araxes-
Ebene und gegen Eriwan hinblickt, war einst der Schauplatz
einer ganz wunderlichen Mission. Eine Anzahl Bergsteiger mit
schwerer Last hatte sich manchen Tag abgemüht, die Höhe des
Bergriesen zu gewinnen. Wiederholt mußte der Versuch eines
weiteren Emporkletterns eingestellt werden, aber die Kräfte wollten
nicht erlahmen und nach gefahrvollem Nachtlager auf dieser oder
jener Felsplatte, umgeben von gewaltigen Schneemassen, Eis-
und Felsblöcken, ging es immer wieder von Frischem an die
Arbeit. Endlich ward die Höhe unter entsetzlichem Schneegestöber
gewonnen und die mitgebrachte Bürde ihrer Bestimmung zuge-
führt. Es war ein riesiges schwarzes Kreuz, das so aufgerichtet
wurde, daß es durch die dahinterliegende weiße Schneewand ge-
hoben, vom Kloster Etschmiadsin oder von Eriwan aus gesehen
werden konnte. In ein zwei Fuß tief ins Eis eingehauenes
Loch wurde dasselbe eingefügt, mit Eisstücken befestigt, mit Schnee
ummauert. Die daran befestigte Bleiplatte enthielt die Inschrift:

1 An derselben Stelle wurde nach Mos. v. Chorene auch der frevel-
hafte König Artawast II. (reg. 129--136 n. Chr.) durch den sich öffnenden
Boden verschlungen, was wohl auf ein Naturereigniß zurückzuführen sein
dürfte. (Vgl. Hermann, "Das russische Armenien", 15.)

Im Ararat-Gebiet.
Die Culturen verſchwinden mehr und mehr, einzelne Bäume
nur kleben hin und wieder an den Felsabſtürzen und zwiſchen
den rieſigen Trachytblöcken ſprießt ſpärliches Gras. Allenthalben
iſt hier der Boden ſchlackig von uralten geſtockten Lavamaſſen.
Hoch oben in unendlicher Bläue glitzern die Eis- und Schnee-
zinnen der beiden Rieſengipfel und die Senkung zwiſchen beiden
wird wohl ein Paß genannt, doch wird er von Reiſenden nie
betreten. In dieſem Einſchnitte liegt auch das, in Folge des
letzten großen Erdbebens verſchüttete Kloſter St. Jacob 1. Anders
verhält es ſich aber mit jenem Paß-Einſchnitte, der ſich über
eine deutſche Meile lang zwiſchen dem großen Ararat und dem
Pambuſch von Norden nach Süden zieht. Die Sattelhöhe dürfte
hier kaum 6000 Fuß überſteigen und der ſonſt ſo gefürchteten
Riſſe und Spalten gibt es hier verhältnißmäßig wenige. Immer-
hin bleibt eine Paſſage an dieſer Stelle ein kühner Zug, doch
nicht ohne höhere Reize, im Angeſicht des mächtigen Kegels,
deſſen Scheitel unter ewigem Schnee und Eis begraben liegt.
Die Nordſeite dieſes Kegels, alſo jene, welche in die Araxes-
Ebene und gegen Eriwan hinblickt, war einſt der Schauplatz
einer ganz wunderlichen Miſſion. Eine Anzahl Bergſteiger mit
ſchwerer Laſt hatte ſich manchen Tag abgemüht, die Höhe des
Bergrieſen zu gewinnen. Wiederholt mußte der Verſuch eines
weiteren Emporkletterns eingeſtellt werden, aber die Kräfte wollten
nicht erlahmen und nach gefahrvollem Nachtlager auf dieſer oder
jener Felsplatte, umgeben von gewaltigen Schneemaſſen, Eis-
und Felsblöcken, ging es immer wieder von Friſchem an die
Arbeit. Endlich ward die Höhe unter entſetzlichem Schneegeſtöber
gewonnen und die mitgebrachte Bürde ihrer Beſtimmung zuge-
führt. Es war ein rieſiges ſchwarzes Kreuz, das ſo aufgerichtet
wurde, daß es durch die dahinterliegende weiße Schneewand ge-
hoben, vom Kloſter Etſchmiadſin oder von Eriwan aus geſehen
werden konnte. In ein zwei Fuß tief ins Eis eingehauenes
Loch wurde daſſelbe eingefügt, mit Eisſtücken befeſtigt, mit Schnee
ummauert. Die daran befeſtigte Bleiplatte enthielt die Inſchrift:

1 An derſelben Stelle wurde nach Moſ. v. Chorene auch der frevel-
hafte König Artawaſt II. (reg. 129—136 n. Chr.) durch den ſich öffnenden
Boden verſchlungen, was wohl auf ein Naturereigniß zurückzuführen ſein
dürfte. (Vgl. Hermann, „Das ruſſiſche Armenien“, 15.)
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[2/0034] Im Ararat-Gebiet. Die Culturen verſchwinden mehr und mehr, einzelne Bäume nur kleben hin und wieder an den Felsabſtürzen und zwiſchen den rieſigen Trachytblöcken ſprießt ſpärliches Gras. Allenthalben iſt hier der Boden ſchlackig von uralten geſtockten Lavamaſſen. Hoch oben in unendlicher Bläue glitzern die Eis- und Schnee- zinnen der beiden Rieſengipfel und die Senkung zwiſchen beiden wird wohl ein Paß genannt, doch wird er von Reiſenden nie betreten. In dieſem Einſchnitte liegt auch das, in Folge des letzten großen Erdbebens verſchüttete Kloſter St. Jacob 1. Anders verhält es ſich aber mit jenem Paß-Einſchnitte, der ſich über eine deutſche Meile lang zwiſchen dem großen Ararat und dem Pambuſch von Norden nach Süden zieht. Die Sattelhöhe dürfte hier kaum 6000 Fuß überſteigen und der ſonſt ſo gefürchteten Riſſe und Spalten gibt es hier verhältnißmäßig wenige. Immer- hin bleibt eine Paſſage an dieſer Stelle ein kühner Zug, doch nicht ohne höhere Reize, im Angeſicht des mächtigen Kegels, deſſen Scheitel unter ewigem Schnee und Eis begraben liegt. Die Nordſeite dieſes Kegels, alſo jene, welche in die Araxes- Ebene und gegen Eriwan hinblickt, war einſt der Schauplatz einer ganz wunderlichen Miſſion. Eine Anzahl Bergſteiger mit ſchwerer Laſt hatte ſich manchen Tag abgemüht, die Höhe des Bergrieſen zu gewinnen. Wiederholt mußte der Verſuch eines weiteren Emporkletterns eingeſtellt werden, aber die Kräfte wollten nicht erlahmen und nach gefahrvollem Nachtlager auf dieſer oder jener Felsplatte, umgeben von gewaltigen Schneemaſſen, Eis- und Felsblöcken, ging es immer wieder von Friſchem an die Arbeit. Endlich ward die Höhe unter entſetzlichem Schneegeſtöber gewonnen und die mitgebrachte Bürde ihrer Beſtimmung zuge- führt. Es war ein rieſiges ſchwarzes Kreuz, das ſo aufgerichtet wurde, daß es durch die dahinterliegende weiße Schneewand ge- hoben, vom Kloſter Etſchmiadſin oder von Eriwan aus geſehen werden konnte. In ein zwei Fuß tief ins Eis eingehauenes Loch wurde daſſelbe eingefügt, mit Eisſtücken befeſtigt, mit Schnee ummauert. Die daran befeſtigte Bleiplatte enthielt die Inſchrift: 1 An derſelben Stelle wurde nach Moſ. v. Chorene auch der frevel- hafte König Artawaſt II. (reg. 129—136 n. Chr.) durch den ſich öffnenden Boden verſchlungen, was wohl auf ein Naturereigniß zurückzuführen ſein dürfte. (Vgl. Hermann, „Das ruſſiſche Armenien“, 15.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/34>, abgerufen am 29.03.2024.