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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Einleitende Bemerkungen.
getragen. Er lebte später vergessen und verschollen auf einer
Insel des Persermeeres, nachdem er nach kaum zweijähriger Re-
gierung aus Maskat entfliehen mußte, um Schlimmerem zu ent-
gehen. Aus diesem Verschwinden des jungen Sultans wollte der
schon erwähnte Enkel Sayid Saids seinen Vortheil ziehen, und
so zog eines Tages Ibn Ghais mit seinen Nomaden-Horden und
Wüsten-Räubern in Maskat ein, um sich des Thrones zu be-
mächtigen. -- Bis hieher hatte England vom benachbarten Indien
aus stets den stummen, aber gleichwohl sehr aufmerksamen Beob-
achter abgegeben. Die turbulenten Ereignisse lagen ganz in
seinem Interesse, und es handelte sich nur um den richtigen Zeit-
punkt zum Einschreiten, der auch hereinbrach, als Ghais in seiner
tyrannisch-despotischen Art den englischen Consul von Maskat
sehr "von oben herab" behandelte, ja, sich nachgerade seiner ent-
ledigen wollte, um der ihm unbequemen, argusäugigen Controle
zu entgehen. Sein Schicksal war indeß in Bombay bereits
vorgezeichnet, wo der jüngste Sohn Sayid Saids -- Said Turki
für den Thron von Maskat präparirt wurde. Im Spätsommer
1870 eroberte Turki mit brittischem Gelde und brittischen Waffen
Maskat, und nachdem Ibn Ghais im Kampfe gefallen war,
bestieg er den Thron seiner Väter als -- Vasall Englands.
Lange scheint indeß die Herrlichkeit Turkis nicht gedauert zu haben,
denn neuerdings (1877) trafen Nachrichten aus Maskat ein,
welche ein getreues Abbild der früheren Zustände liefern. Im
abgelaufenen Jahre empörten sich nämlich die Bewohner Maskats,
angeblich wegen zu hohen Steuerdrucks und verjagten ihren
Sultan Abdul Aziz. Aus einem Verstecke im nahen Küstenge-
birge setzte sich dieser in Verbindung mit der Regierung in Cal-
cutta, die auch sofort das Kriegsschiff "Teazer" nach Maskat
absegeln ließ, um den Sultan wieder einzusetzen. Während dieser
Zeit herrschte in der Residenzstadt der größte Terrorismus und
die dortigen englischen Unterthanen flüchteten mit ihren Familien
theils nach Kuratschi, theils nach Bombay. Zwölf Tage nach
der Flucht des Sultans erschien nun das erwähnte Kriegsschiff
und stellte die alte Ordnung (nach vorangegangener Drohung,
die Stadt in einen Schutthaufen zu verwandeln) wieder her.
Das Ende vom Liede wird aber binnen Kurzem auch hier eine
-- englische Annexion sein.

Einleitende Bemerkungen.
getragen. Er lebte ſpäter vergeſſen und verſchollen auf einer
Inſel des Perſermeeres, nachdem er nach kaum zweijähriger Re-
gierung aus Maskat entfliehen mußte, um Schlimmerem zu ent-
gehen. Aus dieſem Verſchwinden des jungen Sultans wollte der
ſchon erwähnte Enkel Sayid Saids ſeinen Vortheil ziehen, und
ſo zog eines Tages Ibn Ghais mit ſeinen Nomaden-Horden und
Wüſten-Räubern in Maskat ein, um ſich des Thrones zu be-
mächtigen. — Bis hieher hatte England vom benachbarten Indien
aus ſtets den ſtummen, aber gleichwohl ſehr aufmerkſamen Beob-
achter abgegeben. Die turbulenten Ereigniſſe lagen ganz in
ſeinem Intereſſe, und es handelte ſich nur um den richtigen Zeit-
punkt zum Einſchreiten, der auch hereinbrach, als Ghais in ſeiner
tyranniſch-despotiſchen Art den engliſchen Conſul von Maskat
ſehr „von oben herab“ behandelte, ja, ſich nachgerade ſeiner ent-
ledigen wollte, um der ihm unbequemen, argusäugigen Controle
zu entgehen. Sein Schickſal war indeß in Bombay bereits
vorgezeichnet, wo der jüngſte Sohn Sayid Saids — Said Turki
für den Thron von Maskat präparirt wurde. Im Spätſommer
1870 eroberte Turki mit brittiſchem Gelde und brittiſchen Waffen
Maskat, und nachdem Ibn Ghais im Kampfe gefallen war,
beſtieg er den Thron ſeiner Väter als — Vaſall Englands.
Lange ſcheint indeß die Herrlichkeit Turkis nicht gedauert zu haben,
denn neuerdings (1877) trafen Nachrichten aus Maskat ein,
welche ein getreues Abbild der früheren Zuſtände liefern. Im
abgelaufenen Jahre empörten ſich nämlich die Bewohner Maskats,
angeblich wegen zu hohen Steuerdrucks und verjagten ihren
Sultan Abdul Aziz. Aus einem Verſtecke im nahen Küſtenge-
birge ſetzte ſich dieſer in Verbindung mit der Regierung in Cal-
cutta, die auch ſofort das Kriegsſchiff „Teazer“ nach Maskat
abſegeln ließ, um den Sultan wieder einzuſetzen. Während dieſer
Zeit herrſchte in der Reſidenzſtadt der größte Terrorismus und
die dortigen engliſchen Unterthanen flüchteten mit ihren Familien
theils nach Kuratſchi, theils nach Bombay. Zwölf Tage nach
der Flucht des Sultans erſchien nun das erwähnte Kriegsſchiff
und ſtellte die alte Ordnung (nach vorangegangener Drohung,
die Stadt in einen Schutthaufen zu verwandeln) wieder her.
Das Ende vom Liede wird aber binnen Kurzem auch hier eine
— engliſche Annexion ſein.

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[XVIII/0022] Einleitende Bemerkungen. getragen. Er lebte ſpäter vergeſſen und verſchollen auf einer Inſel des Perſermeeres, nachdem er nach kaum zweijähriger Re- gierung aus Maskat entfliehen mußte, um Schlimmerem zu ent- gehen. Aus dieſem Verſchwinden des jungen Sultans wollte der ſchon erwähnte Enkel Sayid Saids ſeinen Vortheil ziehen, und ſo zog eines Tages Ibn Ghais mit ſeinen Nomaden-Horden und Wüſten-Räubern in Maskat ein, um ſich des Thrones zu be- mächtigen. — Bis hieher hatte England vom benachbarten Indien aus ſtets den ſtummen, aber gleichwohl ſehr aufmerkſamen Beob- achter abgegeben. Die turbulenten Ereigniſſe lagen ganz in ſeinem Intereſſe, und es handelte ſich nur um den richtigen Zeit- punkt zum Einſchreiten, der auch hereinbrach, als Ghais in ſeiner tyranniſch-despotiſchen Art den engliſchen Conſul von Maskat ſehr „von oben herab“ behandelte, ja, ſich nachgerade ſeiner ent- ledigen wollte, um der ihm unbequemen, argusäugigen Controle zu entgehen. Sein Schickſal war indeß in Bombay bereits vorgezeichnet, wo der jüngſte Sohn Sayid Saids — Said Turki für den Thron von Maskat präparirt wurde. Im Spätſommer 1870 eroberte Turki mit brittiſchem Gelde und brittiſchen Waffen Maskat, und nachdem Ibn Ghais im Kampfe gefallen war, beſtieg er den Thron ſeiner Väter als — Vaſall Englands. Lange ſcheint indeß die Herrlichkeit Turkis nicht gedauert zu haben, denn neuerdings (1877) trafen Nachrichten aus Maskat ein, welche ein getreues Abbild der früheren Zuſtände liefern. Im abgelaufenen Jahre empörten ſich nämlich die Bewohner Maskats, angeblich wegen zu hohen Steuerdrucks und verjagten ihren Sultan Abdul Aziz. Aus einem Verſtecke im nahen Küſtenge- birge ſetzte ſich dieſer in Verbindung mit der Regierung in Cal- cutta, die auch ſofort das Kriegsſchiff „Teazer“ nach Maskat abſegeln ließ, um den Sultan wieder einzuſetzen. Während dieſer Zeit herrſchte in der Reſidenzſtadt der größte Terrorismus und die dortigen engliſchen Unterthanen flüchteten mit ihren Familien theils nach Kuratſchi, theils nach Bombay. Zwölf Tage nach der Flucht des Sultans erſchien nun das erwähnte Kriegsſchiff und ſtellte die alte Ordnung (nach vorangegangener Drohung, die Stadt in einen Schutthaufen zu verwandeln) wieder her. Das Ende vom Liede wird aber binnen Kurzem auch hier eine — engliſche Annexion ſein.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/22>, abgerufen am 29.03.2024.