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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Einleitende Bemerkungen.
einer Sicherung des Eufrat-Thales in Erwägung zog (unter dem
Vorsitze des jetzigen Schatzkanzlers Sir Stafford Northcote), und
sich dahin schlüssig gemacht: daß die politischen, wie die Handels-
vortheile, welche die Sicherung jener Straße gewähren, zu jeder
Zeit beträchtlich und unter möglichen Verhältnissen außerordentlich
groß sein würden. In der Denkschrift selbst (Report from the
Select Committee on Euphrates Valley Railway etc. ...)

wurden drei Varianten eines Schienenweges durch Vorder-Asien
nach Indien discutirt, und zwar: erstens, von einem nordsyrischen
Küstenpunkt aus (Suwedje oder Skanderun) über Aleppo zum
Eufrat und diesem thalab folgend bis zum Persischen Meerbusen;
zweitens, von denselben Ausgangspunkten ab durchs mesopotamische
Binnenland, also entweder am linken Eufrat- oder rechten Tigris-
Ufer, mit dem gleichen Endpunkt (Kuweit, Korna oder Basra);
drittens endlich, eine Linie über Djarbekr und Mossul, also
längs der Südgrenze Kurdistans nach Bagdad und weiter zum
Persischen Golfe. Für das erste Project wurde überdies auch
noch die Wahl des Küstenpunktes Tripolis (Tarabulus) in Mittel-
Syrien anempfohlen, wodurch eine große Strecke der Eufrat-Bahn
in die syrisch-eufratensische Wüste (Palmyra-Deir) fallen würde.
Auch gibt es ein Project (durch den Assyriologen und Präsi-
denten der Londoner "Geogr. Soc.", Sir Henry Rawlinson ver-
treten), nach welchem die Bahn von Scutari ab ganz Klein-
Asien und Armenien, weiterhin Persien und Afghanistan durch-
schneiden soll, um entweder bei Peschawer oder Schikarpur ans
indische Netz anzuschließen. Hiebei handelt es sich selbstverständlich
keineswegs um ein russisches Armenien, wie überhaupt alle Pro-
jecte sich möglichst fern von den russischen Reichsgrenzen halten.
Die Vorzüge nun, welche die Eufratbahn der Theorie nach auf-
wies, wurden in der Praxis stark paralysirt. Von Tripolis di
Siria bis Bagdad allein beträgt diese Linie nicht weniger als
1200 Kilometer, längs der es keine Städte, keine Hilfsquellen,
kein Holz und in den Wüstenstrecken selbstverständlich auch kein
Wasser gibt. Daß bei solch ungünstigen Vorbedingungen das
Comite die Kosten des Baues der Eufratbahn auf nur zehn
Millionen Pfund Sterling veranschlagte, ist eine Illusion; der
Bau würde mindestens die doppelte Summe beanspruchen. Außer-
dem ist die Bahn auch technisch kaum ausführbar, da der Strom

Einleitende Bemerkungen.
einer Sicherung des Eufrat-Thales in Erwägung zog (unter dem
Vorſitze des jetzigen Schatzkanzlers Sir Stafford Northcote), und
ſich dahin ſchlüſſig gemacht: daß die politiſchen, wie die Handels-
vortheile, welche die Sicherung jener Straße gewähren, zu jeder
Zeit beträchtlich und unter möglichen Verhältniſſen außerordentlich
groß ſein würden. In der Denkſchrift ſelbſt (Report from the
Select Committee on Euphrates Valley Railway etc. …)

wurden drei Varianten eines Schienenweges durch Vorder-Aſien
nach Indien discutirt, und zwar: erſtens, von einem nordſyriſchen
Küſtenpunkt aus (Suwedje oder Skanderun) über Aleppo zum
Eufrat und dieſem thalab folgend bis zum Perſiſchen Meerbuſen;
zweitens, von denſelben Ausgangspunkten ab durchs meſopotamiſche
Binnenland, alſo entweder am linken Eufrat- oder rechten Tigris-
Ufer, mit dem gleichen Endpunkt (Kuweit, Korna oder Basra);
drittens endlich, eine Linie über Djarbekr und Moſſul, alſo
längs der Südgrenze Kurdiſtans nach Bagdad und weiter zum
Perſiſchen Golfe. Für das erſte Project wurde überdies auch
noch die Wahl des Küſtenpunktes Tripolis (Tarabulus) in Mittel-
Syrien anempfohlen, wodurch eine große Strecke der Eufrat-Bahn
in die ſyriſch-eufratenſiſche Wüſte (Palmyra-Deïr) fallen würde.
Auch gibt es ein Project (durch den Aſſyriologen und Präſi-
denten der Londoner „Geogr. Soc.“, Sir Henry Rawlinſon ver-
treten), nach welchem die Bahn von Scutari ab ganz Klein-
Aſien und Armenien, weiterhin Perſien und Afghaniſtan durch-
ſchneiden ſoll, um entweder bei Peſchawer oder Schikarpur ans
indiſche Netz anzuſchließen. Hiebei handelt es ſich ſelbſtverſtändlich
keineswegs um ein ruſſiſches Armenien, wie überhaupt alle Pro-
jecte ſich möglichſt fern von den ruſſiſchen Reichsgrenzen halten.
Die Vorzüge nun, welche die Eufratbahn der Theorie nach auf-
wies, wurden in der Praxis ſtark paralyſirt. Von Tripolis di
Siria bis Bagdad allein beträgt dieſe Linie nicht weniger als
1200 Kilometer, längs der es keine Städte, keine Hilfsquellen,
kein Holz und in den Wüſtenſtrecken ſelbſtverſtändlich auch kein
Waſſer gibt. Daß bei ſolch ungünſtigen Vorbedingungen das
Comité die Koſten des Baues der Eufratbahn auf nur zehn
Millionen Pfund Sterling veranſchlagte, iſt eine Illuſion; der
Bau würde mindeſtens die doppelte Summe beanſpruchen. Außer-
dem iſt die Bahn auch techniſch kaum ausführbar, da der Strom

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[XIV/0018] Einleitende Bemerkungen. einer Sicherung des Eufrat-Thales in Erwägung zog (unter dem Vorſitze des jetzigen Schatzkanzlers Sir Stafford Northcote), und ſich dahin ſchlüſſig gemacht: daß die politiſchen, wie die Handels- vortheile, welche die Sicherung jener Straße gewähren, zu jeder Zeit beträchtlich und unter möglichen Verhältniſſen außerordentlich groß ſein würden. In der Denkſchrift ſelbſt (Report from the Select Committee on Euphrates Valley Railway etc. …) wurden drei Varianten eines Schienenweges durch Vorder-Aſien nach Indien discutirt, und zwar: erſtens, von einem nordſyriſchen Küſtenpunkt aus (Suwedje oder Skanderun) über Aleppo zum Eufrat und dieſem thalab folgend bis zum Perſiſchen Meerbuſen; zweitens, von denſelben Ausgangspunkten ab durchs meſopotamiſche Binnenland, alſo entweder am linken Eufrat- oder rechten Tigris- Ufer, mit dem gleichen Endpunkt (Kuweit, Korna oder Basra); drittens endlich, eine Linie über Djarbekr und Moſſul, alſo längs der Südgrenze Kurdiſtans nach Bagdad und weiter zum Perſiſchen Golfe. Für das erſte Project wurde überdies auch noch die Wahl des Küſtenpunktes Tripolis (Tarabulus) in Mittel- Syrien anempfohlen, wodurch eine große Strecke der Eufrat-Bahn in die ſyriſch-eufratenſiſche Wüſte (Palmyra-Deïr) fallen würde. Auch gibt es ein Project (durch den Aſſyriologen und Präſi- denten der Londoner „Geogr. Soc.“, Sir Henry Rawlinſon ver- treten), nach welchem die Bahn von Scutari ab ganz Klein- Aſien und Armenien, weiterhin Perſien und Afghaniſtan durch- ſchneiden ſoll, um entweder bei Peſchawer oder Schikarpur ans indiſche Netz anzuſchließen. Hiebei handelt es ſich ſelbſtverſtändlich keineswegs um ein ruſſiſches Armenien, wie überhaupt alle Pro- jecte ſich möglichſt fern von den ruſſiſchen Reichsgrenzen halten. Die Vorzüge nun, welche die Eufratbahn der Theorie nach auf- wies, wurden in der Praxis ſtark paralyſirt. Von Tripolis di Siria bis Bagdad allein beträgt dieſe Linie nicht weniger als 1200 Kilometer, längs der es keine Städte, keine Hilfsquellen, kein Holz und in den Wüſtenſtrecken ſelbſtverſtändlich auch kein Waſſer gibt. Daß bei ſolch ungünſtigen Vorbedingungen das Comité die Koſten des Baues der Eufratbahn auf nur zehn Millionen Pfund Sterling veranſchlagte, iſt eine Illuſion; der Bau würde mindeſtens die doppelte Summe beanſpruchen. Außer- dem iſt die Bahn auch techniſch kaum ausführbar, da der Strom

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/18>, abgerufen am 29.03.2024.