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Schwappach, Adam: Forstpolitik, Jagd- und Fischereipolitik. Leipzig, 1894.

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I. Abschnitt. Forstwirtschaftspflege.

Unter Umständen können dagegen Rücksichten der Sozialpolitik
dazu veranlassen, für die Fortexistenz von Servituten einzutreten, wenn
sie nämlich allein die Sesshaftigkeit des Berechtigten ermöglichen, die
Besitzlosigkeit und das Zusammenströmen von Proletariat in den
Städten mindern. Immerhin kann es aber doch nicht als ein gesunder
und wünschenswerter Zustand gelten, wenn Wirtschaften, welche aus
eigenen Kräften nicht mehr bestehen können, in grösserer Zahl ledig-
lich durch Unterstützung auf Kosten der Gesamtheit erhalten werden.
Viel besser ist es, wenn die betreffenden Besitzer mit Hilfe des Ab-
lösungskapitales sich anderswo und unter günstigeren Bedingungen neue
Existenzen gründen. An der Staatsverwaltung liegt es, die einschlägigen
Verhältnisse sorgfältig abzuwägen und namentlich nicht zu schroff
vorzugehen.

Aus den vorstehenden Betrachtungen über die Bedeutung der
Forstberechtigungen in privatwirtschaftlicher und öffentlicher Beziehung
dürfte hervorgehen, dass bei dem gegenwärtigen Zustande der boden-
wirtschaftlichen und gewerblichen Entwicklung in Deutschland und
ebenso auch in dem grössten Teile von Oesterreich, die Befreiung der
Waldungen von Servituten in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
als eine berechtigte Forderung der Wirtschaftspolitik zu betrachten
ist. Im einzelnen ist aber zu erwägen, ob die Ablösung der Servituten
opportun, und in welcher Weise sie durchzuführen ist; insbesondere
muss dem Berechtigten Zeit und Gelegenheit geboten werden, die
nötigen Reformen in seiner Wirtschaft durchzuführen. Der einseitig
forsttechnische Standpunkt muss hierbei stets den agrarpolitischen und
sozialpolitischen Erwägungen untergeordnet werden, umgekehrt dürfen
aber die Verhältnisse der Servitutenablösung nicht zu allgemein politi-
schen Zwecken gebraucht oder wohl auch missbraucht werden. 1)
Eine unvorsichtige oder unrichtige Behandlung der Servitutenablösung
endigt nicht selten damit, dass die Berechtigten zwar sehr erhebliche
Abfindungsbeträge einziehen, aber ihre bisherigen Genüsse ohne
wesentliche Anderung nun nicht mehr als Berechtigte, sondern im
Wege der Vergünstigung aus dem Walde entnehmen. 2)

Vom Standpunkte des Waldbesitzers ist es ferner unzweckmässig,
mit grossen Opfern auf die Beseitigung solcher Servituten hinzudrängen,
welche für den Wald ganz bedeutungslos sind oder doch bei der Aus-
übung bis zur Unschädlichkeit eingeschränkt werden können (Leseholz-
recht, einzelne Weiderechte), und deren Fortbestehen dem Waldbesitzer

1) Gewährung unverhältnismässig hoher Ablösungssummen, Fortgewährung der
Bezüge im Wege der Begünstigung nach erfolgter Ablösung, um regierungsfreundliche
Wahlen zu erzielen, im entgegengesetzten Falle unberechtigte Schmälerung der Ab-
findung, unzulässiges Drängen auf Ablösung.
2) Bei den Streu- und Weideberechtigungen ein keineswegs seltener Fall.
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I. Abschnitt. Forstwirtschaftspflege.

Unter Umständen können dagegen Rücksichten der Sozialpolitik
dazu veranlassen, für die Fortexistenz von Servituten einzutreten, wenn
sie nämlich allein die Seſshaftigkeit des Berechtigten ermöglichen, die
Besitzlosigkeit und das Zusammenströmen von Proletariat in den
Städten mindern. Immerhin kann es aber doch nicht als ein gesunder
und wünschenswerter Zustand gelten, wenn Wirtschaften, welche aus
eigenen Kräften nicht mehr bestehen können, in gröſserer Zahl ledig-
lich durch Unterstützung auf Kosten der Gesamtheit erhalten werden.
Viel besser ist es, wenn die betreffenden Besitzer mit Hilfe des Ab-
lösungskapitales sich anderswo und unter günstigeren Bedingungen neue
Existenzen gründen. An der Staatsverwaltung liegt es, die einschlägigen
Verhältnisse sorgfältig abzuwägen und namentlich nicht zu schroff
vorzugehen.

Aus den vorstehenden Betrachtungen über die Bedeutung der
Forstberechtigungen in privatwirtschaftlicher und öffentlicher Beziehung
dürfte hervorgehen, daſs bei dem gegenwärtigen Zustande der boden-
wirtschaftlichen und gewerblichen Entwicklung in Deutschland und
ebenso auch in dem gröſsten Teile von Oesterreich, die Befreiung der
Waldungen von Servituten in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
als eine berechtigte Forderung der Wirtschaftspolitik zu betrachten
ist. Im einzelnen ist aber zu erwägen, ob die Ablösung der Servituten
opportun, und in welcher Weise sie durchzuführen ist; insbesondere
muſs dem Berechtigten Zeit und Gelegenheit geboten werden, die
nötigen Reformen in seiner Wirtschaft durchzuführen. Der einseitig
forsttechnische Standpunkt muſs hierbei stets den agrarpolitischen und
sozialpolitischen Erwägungen untergeordnet werden, umgekehrt dürfen
aber die Verhältnisse der Servitutenablösung nicht zu allgemein politi-
schen Zwecken gebraucht oder wohl auch miſsbraucht werden. 1)
Eine unvorsichtige oder unrichtige Behandlung der Servitutenablösung
endigt nicht selten damit, daſs die Berechtigten zwar sehr erhebliche
Abfindungsbeträge einziehen, aber ihre bisherigen Genüsse ohne
wesentliche Anderung nun nicht mehr als Berechtigte, sondern im
Wege der Vergünstigung aus dem Walde entnehmen. 2)

Vom Standpunkte des Waldbesitzers ist es ferner unzweckmäſsig,
mit groſsen Opfern auf die Beseitigung solcher Servituten hinzudrängen,
welche für den Wald ganz bedeutungslos sind oder doch bei der Aus-
übung bis zur Unschädlichkeit eingeschränkt werden können (Leseholz-
recht, einzelne Weiderechte), und deren Fortbestehen dem Waldbesitzer

1) Gewährung unverhältnismäſsig hoher Ablösungssummen, Fortgewährung der
Bezüge im Wege der Begünstigung nach erfolgter Ablösung, um regierungsfreundliche
Wahlen zu erzielen, im entgegengesetzten Falle unberechtigte Schmälerung der Ab-
findung, unzulässiges Drängen auf Ablösung.
2) Bei den Streu- und Weideberechtigungen ein keineswegs seltener Fall.
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[179/0197] I. Abschnitt. Forstwirtschaftspflege. Unter Umständen können dagegen Rücksichten der Sozialpolitik dazu veranlassen, für die Fortexistenz von Servituten einzutreten, wenn sie nämlich allein die Seſshaftigkeit des Berechtigten ermöglichen, die Besitzlosigkeit und das Zusammenströmen von Proletariat in den Städten mindern. Immerhin kann es aber doch nicht als ein gesunder und wünschenswerter Zustand gelten, wenn Wirtschaften, welche aus eigenen Kräften nicht mehr bestehen können, in gröſserer Zahl ledig- lich durch Unterstützung auf Kosten der Gesamtheit erhalten werden. Viel besser ist es, wenn die betreffenden Besitzer mit Hilfe des Ab- lösungskapitales sich anderswo und unter günstigeren Bedingungen neue Existenzen gründen. An der Staatsverwaltung liegt es, die einschlägigen Verhältnisse sorgfältig abzuwägen und namentlich nicht zu schroff vorzugehen. Aus den vorstehenden Betrachtungen über die Bedeutung der Forstberechtigungen in privatwirtschaftlicher und öffentlicher Beziehung dürfte hervorgehen, daſs bei dem gegenwärtigen Zustande der boden- wirtschaftlichen und gewerblichen Entwicklung in Deutschland und ebenso auch in dem gröſsten Teile von Oesterreich, die Befreiung der Waldungen von Servituten in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle als eine berechtigte Forderung der Wirtschaftspolitik zu betrachten ist. Im einzelnen ist aber zu erwägen, ob die Ablösung der Servituten opportun, und in welcher Weise sie durchzuführen ist; insbesondere muſs dem Berechtigten Zeit und Gelegenheit geboten werden, die nötigen Reformen in seiner Wirtschaft durchzuführen. Der einseitig forsttechnische Standpunkt muſs hierbei stets den agrarpolitischen und sozialpolitischen Erwägungen untergeordnet werden, umgekehrt dürfen aber die Verhältnisse der Servitutenablösung nicht zu allgemein politi- schen Zwecken gebraucht oder wohl auch miſsbraucht werden. 1) Eine unvorsichtige oder unrichtige Behandlung der Servitutenablösung endigt nicht selten damit, daſs die Berechtigten zwar sehr erhebliche Abfindungsbeträge einziehen, aber ihre bisherigen Genüsse ohne wesentliche Anderung nun nicht mehr als Berechtigte, sondern im Wege der Vergünstigung aus dem Walde entnehmen. 2) Vom Standpunkte des Waldbesitzers ist es ferner unzweckmäſsig, mit groſsen Opfern auf die Beseitigung solcher Servituten hinzudrängen, welche für den Wald ganz bedeutungslos sind oder doch bei der Aus- übung bis zur Unschädlichkeit eingeschränkt werden können (Leseholz- recht, einzelne Weiderechte), und deren Fortbestehen dem Waldbesitzer 1) Gewährung unverhältnismäſsig hoher Ablösungssummen, Fortgewährung der Bezüge im Wege der Begünstigung nach erfolgter Ablösung, um regierungsfreundliche Wahlen zu erzielen, im entgegengesetzten Falle unberechtigte Schmälerung der Ab- findung, unzulässiges Drängen auf Ablösung. 2) Bei den Streu- und Weideberechtigungen ein keineswegs seltener Fall. 12*

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Zitationshilfe: Schwappach, Adam: Forstpolitik, Jagd- und Fischereipolitik. Leipzig, 1894, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwappach_forstpolitik_1894/197>, abgerufen am 24.04.2024.