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Schwappach, Adam: Forstpolitik, Jagd- und Fischereipolitik. Leipzig, 1894.

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I. Abschnitt. Forstwirtschaftspflege.

Im Gegensatz zur Freihandelsschule erkennt die neuere Richtung
der Volkswirtschaft an, dass die prinzipielle Verurteilung der Erwerbsein-
künfte als eine ungeeignete Form der Staatseinkünfte nicht angebracht
sei, sondern dass einzelne Objekte, namentlich Eisenbahnen und Forsten,
durchaus im Staatseigentum erhalten werden müssten (Wagener, Scheel).

Die moderne wirtschaftliche Strömung, welche eine Verstaat-
lichung aller Produktionsmittel, insbesondere aber von Grund und Boden
wünscht, ist auf diese Wandelung der Ansichten gewiss nicht ohne
Einfluss, noch mehr mag aber die Erkenntnis dazu beigetragen haben,
dass der Wald seine wichtigsten sozialpolitischen Funktionen nur oder
doch am sichersten in der Hand des Staates erfüllt.

In erster Linie gilt dieses bezüglich der später noch eingehender
zu behandelnden Schutzwaldungen, aber auch diejenigen Staats-
waldungen, welche nicht in diese Kategorie gehören, sind sozialpolitisch
von grosser Bedeutung.

Als ein überzeugendes Beispiel in dieser Richtung kann die Streu-
und Futternot des Jahres 1893 angeführt werden. Wie laut ertönten
damals die Rufe nach Waldweide, Waldgras und Streu!

Wenn auch die vielfach geäusserte Ansicht, dass hierin die einzige
Rettung der Existenz zu finden sei, wie es gewöhnlich in solchen kritischen
Lagen geschieht, übertrieben war, so bleibt die Thatsache bestehen, dass
der gut gepflegte und geschonte Staatswald der Landwirtschaft, faktisch
wenigstens unentgeltlich, eine äusserst wertvolle Hilfe leisten konnte.

Von Privatwaldbesitzern wäre eine so weitgehende Unterstützung
weder gefordert noch geleistet worden, trotz einzelner höchst aner-
kennenswerter Beispiele, wie jene des Fürsten von Wied, welcher seine
Waldungen den Bedürftigen unentgeltlich öffnete.

Wie hoch der volkswirtschaftliche Wert des aus dem Staatswalde
in ganz besonders liberaler Weise abgegebenen Leseholzes, der Beeren
und Pilze ist, ist bereits S. 43 hervorgehoben worden.

§ 3. Die praktische Handhabung der Veräusserungen und Neu-
erwerbungen von Staatswaldungen
. Wenn nun auch die Frage, ob der
Staatswaldbesitz überhaupt zweckmässig sei, unbedingt bejaht werden
muss, so liegt das Verhältnis anders bezüglich der weiteren Frage, ob
Änderungen in der gegenwärtigen Ausdehnung und Lage desselben
notwendig oder wünschenswert sind.

Die Abgrenzung des Waldes gegenüber anderen Formen der Boden-
benutzung ist nicht eine Folge sorgfältiger Überlegung, sondern hat sich
im Laufe der Zeit nach Zweckmässigkeitsrücksichten und zufälligen Ur-
sachen ergeben.

Ausserdem sind, wie früher bemerkt, die Verhältnisse, welche die
forstliche Benutzung einer bestimmten Fläche als rationell erscheinen
lassen, im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen.


I. Abschnitt. Forstwirtschaftspflege.

Im Gegensatz zur Freihandelsschule erkennt die neuere Richtung
der Volkswirtschaft an, daſs die prinzipielle Verurteilung der Erwerbsein-
künfte als eine ungeeignete Form der Staatseinkünfte nicht angebracht
sei, sondern daſs einzelne Objekte, namentlich Eisenbahnen und Forsten,
durchaus im Staatseigentum erhalten werden müſsten (Wagener, Scheel).

Die moderne wirtschaftliche Strömung, welche eine Verstaat-
lichung aller Produktionsmittel, insbesondere aber von Grund und Boden
wünscht, ist auf diese Wandelung der Ansichten gewiſs nicht ohne
Einfluſs, noch mehr mag aber die Erkenntnis dazu beigetragen haben,
daſs der Wald seine wichtigsten sozialpolitischen Funktionen nur oder
doch am sichersten in der Hand des Staates erfüllt.

In erster Linie gilt dieses bezüglich der später noch eingehender
zu behandelnden Schutzwaldungen, aber auch diejenigen Staats-
waldungen, welche nicht in diese Kategorie gehören, sind sozialpolitisch
von groſser Bedeutung.

Als ein überzeugendes Beispiel in dieser Richtung kann die Streu-
und Futternot des Jahres 1893 angeführt werden. Wie laut ertönten
damals die Rufe nach Waldweide, Waldgras und Streu!

Wenn auch die vielfach geäuſserte Ansicht, daſs hierin die einzige
Rettung der Existenz zu finden sei, wie es gewöhnlich in solchen kritischen
Lagen geschieht, übertrieben war, so bleibt die Thatsache bestehen, daſs
der gut gepflegte und geschonte Staatswald der Landwirtschaft, faktisch
wenigstens unentgeltlich, eine äuſserst wertvolle Hilfe leisten konnte.

Von Privatwaldbesitzern wäre eine so weitgehende Unterstützung
weder gefordert noch geleistet worden, trotz einzelner höchst aner-
kennenswerter Beispiele, wie jene des Fürsten von Wied, welcher seine
Waldungen den Bedürftigen unentgeltlich öffnete.

Wie hoch der volkswirtschaftliche Wert des aus dem Staatswalde
in ganz besonders liberaler Weise abgegebenen Leseholzes, der Beeren
und Pilze ist, ist bereits S. 43 hervorgehoben worden.

§ 3. Die praktische Handhabung der Veräuſserungen und Neu-
erwerbungen von Staatswaldungen
. Wenn nun auch die Frage, ob der
Staatswaldbesitz überhaupt zweckmäſsig sei, unbedingt bejaht werden
muſs, so liegt das Verhältnis anders bezüglich der weiteren Frage, ob
Änderungen in der gegenwärtigen Ausdehnung und Lage desselben
notwendig oder wünschenswert sind.

Die Abgrenzung des Waldes gegenüber anderen Formen der Boden-
benutzung ist nicht eine Folge sorgfältiger Überlegung, sondern hat sich
im Laufe der Zeit nach Zweckmäſsigkeitsrücksichten und zufälligen Ur-
sachen ergeben.

Auſserdem sind, wie früher bemerkt, die Verhältnisse, welche die
forstliche Benutzung einer bestimmten Fläche als rationell erscheinen
lassen, im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen.


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[85/0103] I. Abschnitt. Forstwirtschaftspflege. Im Gegensatz zur Freihandelsschule erkennt die neuere Richtung der Volkswirtschaft an, daſs die prinzipielle Verurteilung der Erwerbsein- künfte als eine ungeeignete Form der Staatseinkünfte nicht angebracht sei, sondern daſs einzelne Objekte, namentlich Eisenbahnen und Forsten, durchaus im Staatseigentum erhalten werden müſsten (Wagener, Scheel). Die moderne wirtschaftliche Strömung, welche eine Verstaat- lichung aller Produktionsmittel, insbesondere aber von Grund und Boden wünscht, ist auf diese Wandelung der Ansichten gewiſs nicht ohne Einfluſs, noch mehr mag aber die Erkenntnis dazu beigetragen haben, daſs der Wald seine wichtigsten sozialpolitischen Funktionen nur oder doch am sichersten in der Hand des Staates erfüllt. In erster Linie gilt dieses bezüglich der später noch eingehender zu behandelnden Schutzwaldungen, aber auch diejenigen Staats- waldungen, welche nicht in diese Kategorie gehören, sind sozialpolitisch von groſser Bedeutung. Als ein überzeugendes Beispiel in dieser Richtung kann die Streu- und Futternot des Jahres 1893 angeführt werden. Wie laut ertönten damals die Rufe nach Waldweide, Waldgras und Streu! Wenn auch die vielfach geäuſserte Ansicht, daſs hierin die einzige Rettung der Existenz zu finden sei, wie es gewöhnlich in solchen kritischen Lagen geschieht, übertrieben war, so bleibt die Thatsache bestehen, daſs der gut gepflegte und geschonte Staatswald der Landwirtschaft, faktisch wenigstens unentgeltlich, eine äuſserst wertvolle Hilfe leisten konnte. Von Privatwaldbesitzern wäre eine so weitgehende Unterstützung weder gefordert noch geleistet worden, trotz einzelner höchst aner- kennenswerter Beispiele, wie jene des Fürsten von Wied, welcher seine Waldungen den Bedürftigen unentgeltlich öffnete. Wie hoch der volkswirtschaftliche Wert des aus dem Staatswalde in ganz besonders liberaler Weise abgegebenen Leseholzes, der Beeren und Pilze ist, ist bereits S. 43 hervorgehoben worden. § 3. Die praktische Handhabung der Veräuſserungen und Neu- erwerbungen von Staatswaldungen. Wenn nun auch die Frage, ob der Staatswaldbesitz überhaupt zweckmäſsig sei, unbedingt bejaht werden muſs, so liegt das Verhältnis anders bezüglich der weiteren Frage, ob Änderungen in der gegenwärtigen Ausdehnung und Lage desselben notwendig oder wünschenswert sind. Die Abgrenzung des Waldes gegenüber anderen Formen der Boden- benutzung ist nicht eine Folge sorgfältiger Überlegung, sondern hat sich im Laufe der Zeit nach Zweckmäſsigkeitsrücksichten und zufälligen Ur- sachen ergeben. Auſserdem sind, wie früher bemerkt, die Verhältnisse, welche die forstliche Benutzung einer bestimmten Fläche als rationell erscheinen lassen, im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen.

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Zitationshilfe: Schwappach, Adam: Forstpolitik, Jagd- und Fischereipolitik. Leipzig, 1894, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwappach_forstpolitik_1894/103>, abgerufen am 19.04.2024.