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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795.

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Jahren denselben Weg machte, wurde ich, un-
geachtet eines ansehnlichen Trinkgeldes, scharf
durchsucht, vermuthlich, weil es die Zollbe-
dienten nicht ungestraft unterlassen konnten;
dießmal sahe man, für die Hälfte jenes Trink-
geldes, nur meinen Reisekasten an und ließ
den Jnhalt auf sich beruhen. Jn der That,
es ist auch jetzt niemand da, der strafen könnte,
da alle Gewalten im Polnischen Staate theils
ausgesetzt, theils gar vernichtet sind. Was
noch geschieht, geschieht nach gewohnter Vor-
schrift, die man befolgt, weil man noch keine
andere Ordnung hat. Zu Kalm ist auch der
Postwechsel. Alles ist anders, als eine halbe
Meile vorher. Christusbilder kündigen das
römische Bekenntniß an; förmliche Dörfer eine
andere bürgerliche Verfassung; die Sprache
ein andres Volk; sein Aeusseres einen ganz
andern Charakter; die Postverfassung und deren
Bediente hatten eine ganz andere Weise in
Treibung ihrer Geschäfte. Der Kurländische
Postknecht war wohlgekleidet, seine Pferde

Jahren denſelben Weg machte, wurde ich, un-
geachtet eines anſehnlichen Trinkgeldes, ſcharf
durchſucht, vermuthlich, weil es die Zollbe-
dienten nicht ungeſtraft unterlaſſen konnten;
dießmal ſahe man, fuͤr die Haͤlfte jenes Trink-
geldes, nur meinen Reiſekaſten an und ließ
den Jnhalt auf ſich beruhen. Jn der That,
es iſt auch jetzt niemand da, der ſtrafen koͤnnte,
da alle Gewalten im Polniſchen Staate theils
ausgeſetzt, theils gar vernichtet ſind. Was
noch geſchieht, geſchieht nach gewohnter Vor-
ſchrift, die man befolgt, weil man noch keine
andere Ordnung hat. Zu Kalm iſt auch der
Poſtwechſel. Alles iſt anders, als eine halbe
Meile vorher. Chriſtusbilder kuͤndigen das
roͤmiſche Bekenntniß an; foͤrmliche Doͤrfer eine
andere buͤrgerliche Verfaſſung; die Sprache
ein andres Volk; ſein Aeuſſeres einen ganz
andern Charakter; die Poſtverfaſſung und deren
Bediente hatten eine ganz andere Weiſe in
Treibung ihrer Geſchaͤfte. Der Kurlaͤndiſche
Poſtknecht war wohlgekleidet, ſeine Pferde

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[6/0024] Jahren denſelben Weg machte, wurde ich, un- geachtet eines anſehnlichen Trinkgeldes, ſcharf durchſucht, vermuthlich, weil es die Zollbe- dienten nicht ungeſtraft unterlaſſen konnten; dießmal ſahe man, fuͤr die Haͤlfte jenes Trink- geldes, nur meinen Reiſekaſten an und ließ den Jnhalt auf ſich beruhen. Jn der That, es iſt auch jetzt niemand da, der ſtrafen koͤnnte, da alle Gewalten im Polniſchen Staate theils ausgeſetzt, theils gar vernichtet ſind. Was noch geſchieht, geſchieht nach gewohnter Vor- ſchrift, die man befolgt, weil man noch keine andere Ordnung hat. Zu Kalm iſt auch der Poſtwechſel. Alles iſt anders, als eine halbe Meile vorher. Chriſtusbilder kuͤndigen das roͤmiſche Bekenntniß an; foͤrmliche Doͤrfer eine andere buͤrgerliche Verfaſſung; die Sprache ein andres Volk; ſein Aeuſſeres einen ganz andern Charakter; die Poſtverfaſſung und deren Bediente hatten eine ganz andere Weiſe in Treibung ihrer Geſchaͤfte. Der Kurlaͤndiſche Poſtknecht war wohlgekleidet, ſeine Pferde

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795/24>, abgerufen am 29.03.2024.