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Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885.

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o ia. i n. II. v oblasti sevierno-vielikorusskagho narechiia.
Petersb. 1877) sieht die Verwandelung des e in i als
einen ursprünglichen allgemeinen Zug des nowgorod-
schen Dialektes an; nun habe an manchen Orten e
dieses i gänzlich verdrängt, an anderen werde dies
nur von alten Leuten gewahrt, während den jungen
Leuten chlib, sino u. s. w. lächerlich erscheine, hier
wiederum finde sich ausnahmsweise i neben dem ge-
wöhnlichen e (so chlib, aber seno u. s. w.), und dort
das Umgekehrte. Dass in dem Worte für "Brod"
sich der alte Laut hält, begreifen wir leicht; Anderes
liegt nicht so zu Tage. Dialektische Mischung ist
freilich nicht in Abrede zu stellen, aber ich weiss nicht
wie sie hier, wo ja nicht einzelne Wörter entlehnt sind,
als nur scheinbare Ausnahme von der lautlichen Gesetz-
mässigkeit angesehen werden kann; es muss doch er-
klärt werden warum in dem einen Worte der her-
gebrachte, in dem anderen der neue Laut herrscht.
Was bei einer solchen Mischung möglich ist, ist über-
haupt möglich. Delbrück12 stimmt Brugmann2 darin
vollkommen bei dass eine Lautbewegung nicht bei
bestimmten Wörtern ihren Anfang nehme und dann
auf andere Wörter übertragen werde, und setzt hinzu:
"dass es sich wirklich so verhält, dürfte nicht bloss
die Erfahrung an Volksmundarten beweisen" -- da-
gegen sprechen die vorher angeführten Thatsachen --,
"sondern auch die Ueberlegung dass nur unter der
Voraussetzung einer gleichmässigen und consequenten
Aussprache der Laute die Aneignung einer fremden
Sprache erklärlich ist". Dieses Argument vermag ich
nicht zu widerlegen, da ich es nicht verstehe. -- Dass
sehr selten gebrauchte Wörter leicht eine alterthüm-
liche Gestalt aufweisen, ist ebenfalls bekannt. Es fragt

ο я. и н. II. въ области сѣверно-великорусскаго нарѣчія.
Petersb. 1877) sieht die Verwandelung des ĕ in i als
einen ursprünglichen allgemeinen Zug des nowgorod-
schen Dialektes an; nun habe an manchen Orten e
dieses i gänzlich verdrängt, an anderen werde dies
nur von alten Leuten gewahrt, während den jungen
Leuten chlib, sino u. s. w. lächerlich erscheine, hier
wiederum finde sich ausnahmsweise i neben dem ge-
wöhnlichen e (so chlib, aber seno u. s. w.), und dort
das Umgekehrte. Dass in dem Worte für „Brod“
sich der alte Laut hält, begreifen wir leicht; Anderes
liegt nicht so zu Tage. Dialektische Mischung ist
freilich nicht in Abrede zu stellen, aber ich weiss nicht
wie sie hier, wo ja nicht einzelne Wörter entlehnt sind,
als nur scheinbare Ausnahme von der lautlichen Gesetz-
mässigkeit angesehen werden kann; es muss doch er-
klärt werden warum in dem einen Worte der her-
gebrachte, in dem anderen der neue Laut herrscht.
Was bei einer solchen Mischung möglich ist, ist über-
haupt möglich. Delbrück₁2 stimmt Brugmann2 darin
vollkommen bei dass eine Lautbewegung nicht bei
bestimmten Wörtern ihren Anfang nehme und dann
auf andere Wörter übertragen werde, und setzt hinzu:
„dass es sich wirklich so verhält, dürfte nicht bloss
die Erfahrung an Volksmundarten beweisen“ — da-
gegen sprechen die vorher angeführten Thatsachen —,
„sondern auch die Ueberlegung dass nur unter der
Voraussetzung einer gleichmässigen und consequenten
Aussprache der Laute die Aneignung einer fremden
Sprache erklärlich ist“. Dieses Argument vermag ich
nicht zu widerlegen, da ich es nicht verstehe. — Dass
sehr selten gebrauchte Wörter leicht eine alterthüm-
liche Gestalt aufweisen, ist ebenfalls bekannt. Es fragt

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[28/0040] ο я. и н. II. въ области сѣверно-великорусскаго нарѣчія. Petersb. 1877) sieht die Verwandelung des ĕ in i als einen ursprünglichen allgemeinen Zug des nowgorod- schen Dialektes an; nun habe an manchen Orten e dieses i gänzlich verdrängt, an anderen werde dies nur von alten Leuten gewahrt, während den jungen Leuten chlib, sino u. s. w. lächerlich erscheine, hier wiederum finde sich ausnahmsweise i neben dem ge- wöhnlichen e (so chlib, aber seno u. s. w.), und dort das Umgekehrte. Dass in dem Worte für „Brod“ sich der alte Laut hält, begreifen wir leicht; Anderes liegt nicht so zu Tage. Dialektische Mischung ist freilich nicht in Abrede zu stellen, aber ich weiss nicht wie sie hier, wo ja nicht einzelne Wörter entlehnt sind, als nur scheinbare Ausnahme von der lautlichen Gesetz- mässigkeit angesehen werden kann; es muss doch er- klärt werden warum in dem einen Worte der her- gebrachte, in dem anderen der neue Laut herrscht. Was bei einer solchen Mischung möglich ist, ist über- haupt möglich. Delbrück₁2 stimmt Brugmann2 darin vollkommen bei dass eine Lautbewegung nicht bei bestimmten Wörtern ihren Anfang nehme und dann auf andere Wörter übertragen werde, und setzt hinzu: „dass es sich wirklich so verhält, dürfte nicht bloss die Erfahrung an Volksmundarten beweisen“ — da- gegen sprechen die vorher angeführten Thatsachen —, „sondern auch die Ueberlegung dass nur unter der Voraussetzung einer gleichmässigen und consequenten Aussprache der Laute die Aneignung einer fremden Sprache erklärlich ist“. Dieses Argument vermag ich nicht zu widerlegen, da ich es nicht verstehe. — Dass sehr selten gebrauchte Wörter leicht eine alterthüm- liche Gestalt aufweisen, ist ebenfalls bekannt. Es fragt

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Zitationshilfe: Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/40>, abgerufen am 18.04.2024.