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Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885.

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Sprachprincip innewohnt, mit anderen Worten, dass
beide zu coordiniren sind. Die Peripherieen ihrer
Machtkreise durchschneiden sich vielfach; welches über
das andere siegt, das hängt von den jedesmaligen Um-
ständen ab. Zur vollständigen Lösung des Problems
fehlt indessen noch Eines. Tobler2 weist darauf hin
dass "heterogene Kräfte sich nicht ausgleichen, ja
eigentlich überhaupt einander nirgends berühren kön-
nen". Es wird kaum von vornherein die Heterogenität
von Kräften sich bestimmen lassen; sie ergibt sich
eben erst aus der absoluten Getrenntheit ihrer Wir-
kungen. Der Wille vermag im eigenen Körper sub-
stantielle Veränderungen nicht zu hemmen, wohl aber
Reflexbewegungen, und das erklärt sich daraus dass
diese weiter nichts als mechanisch gewordene Willens-
handlungen sind. Der Fall der uns beschäftigt, ist
ein ähnlicher. Wo die rein physiologische Ursache
einer Lautvertretung ausser Zweifel steht, als eigen-
thümliche Gestaltung, als natürlicher oder künstlicher
Defect der Sprachwerkzeuge, da sind analogische Aus-
nahmen unmöglich; wo wir daher solche finden, da
haben wir den Gedanken an rein physiologische Wir-
kungen aufzugeben. Der psychologische Charakter des
einen der sich durchkreuzenden Factoren bezeugt gerade
den gleichartigen Charakter des anderen; hat das etwa
schon G. Curtius gemeint, wenn er Studien z. gr. u.
lat. Gr. IX, 232 (1876) sagt: "Unter allen Umständen
muss aber die Analogie bewirkende Macht der ihrem
Einfluss unterliegenden sehr ähnlich sehen"?

So verschwimmt die Antithese vor unseren Augen,
und das Problematische der äusseren Beziehung zwischen
den beiden Factoren klärt sich auf, indem wir ihre
innere Beziehung richtig erfassen. Mancher vor-

Sprachprincip innewohnt, mit anderen Worten, dass
beide zu coordiniren sind. Die Peripherieen ihrer
Machtkreise durchschneiden sich vielfach; welches über
das andere siegt, das hängt von den jedesmaligen Um-
ständen ab. Zur vollständigen Lösung des Problems
fehlt indessen noch Eines. Tobler2 weist darauf hin
dass „heterogene Kräfte sich nicht ausgleichen, ja
eigentlich überhaupt einander nirgends berühren kön-
nen“. Es wird kaum von vornherein die Heterogenität
von Kräften sich bestimmen lassen; sie ergibt sich
eben erst aus der absoluten Getrenntheit ihrer Wir-
kungen. Der Wille vermag im eigenen Körper sub-
stantielle Veränderungen nicht zu hemmen, wohl aber
Reflexbewegungen, und das erklärt sich daraus dass
diese weiter nichts als mechanisch gewordene Willens-
handlungen sind. Der Fall der uns beschäftigt, ist
ein ähnlicher. Wo die rein physiologische Ursache
einer Lautvertretung ausser Zweifel steht, als eigen-
thümliche Gestaltung, als natürlicher oder künstlicher
Defect der Sprachwerkzeuge, da sind analogische Aus-
nahmen unmöglich; wo wir daher solche finden, da
haben wir den Gedanken an rein physiologische Wir-
kungen aufzugeben. Der psychologische Charakter des
einen der sich durchkreuzenden Factoren bezeugt gerade
den gleichartigen Charakter des anderen; hat das etwa
schon G. Curtius gemeint, wenn er Studien z. gr. u.
lat. Gr. IX, 232 (1876) sagt: „Unter allen Umständen
muss aber die Analogie bewirkende Macht der ihrem
Einfluss unterliegenden sehr ähnlich sehen“?

So verschwimmt die Antithese vor unseren Augen,
und das Problematische der äusseren Beziehung zwischen
den beiden Factoren klärt sich auf, indem wir ihre
innere Beziehung richtig erfassen. Mancher vor-

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[5/0017] Sprachprincip innewohnt, mit anderen Worten, dass beide zu coordiniren sind. Die Peripherieen ihrer Machtkreise durchschneiden sich vielfach; welches über das andere siegt, das hängt von den jedesmaligen Um- ständen ab. Zur vollständigen Lösung des Problems fehlt indessen noch Eines. Tobler2 weist darauf hin dass „heterogene Kräfte sich nicht ausgleichen, ja eigentlich überhaupt einander nirgends berühren kön- nen“. Es wird kaum von vornherein die Heterogenität von Kräften sich bestimmen lassen; sie ergibt sich eben erst aus der absoluten Getrenntheit ihrer Wir- kungen. Der Wille vermag im eigenen Körper sub- stantielle Veränderungen nicht zu hemmen, wohl aber Reflexbewegungen, und das erklärt sich daraus dass diese weiter nichts als mechanisch gewordene Willens- handlungen sind. Der Fall der uns beschäftigt, ist ein ähnlicher. Wo die rein physiologische Ursache einer Lautvertretung ausser Zweifel steht, als eigen- thümliche Gestaltung, als natürlicher oder künstlicher Defect der Sprachwerkzeuge, da sind analogische Aus- nahmen unmöglich; wo wir daher solche finden, da haben wir den Gedanken an rein physiologische Wir- kungen aufzugeben. Der psychologische Charakter des einen der sich durchkreuzenden Factoren bezeugt gerade den gleichartigen Charakter des anderen; hat das etwa schon G. Curtius gemeint, wenn er Studien z. gr. u. lat. Gr. IX, 232 (1876) sagt: „Unter allen Umständen muss aber die Analogie bewirkende Macht der ihrem Einfluss unterliegenden sehr ähnlich sehen“? So verschwimmt die Antithese vor unseren Augen, und das Problematische der äusseren Beziehung zwischen den beiden Factoren klärt sich auf, indem wir ihre innere Beziehung richtig erfassen. Mancher vor-

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Zitationshilfe: Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/17>, abgerufen am 29.03.2024.