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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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poetischen oder bildlichen Ausdruck. Ein Weg der
durch Dornen oder steil über Berge geht, bedeutet im
Traume, wie im gemein poetischen Ausdruck, Unan-
nehmlichkeiten und Hindernisse in unserm Lebensschick-
sal; ein Weg über Glatteis, drückt in beyden Arten zu
sprechen, eine peinliche, gefährliche Lage aus; Finster-
niß bezeichnet in beyden Betrübniß und Melancholie;
den Ring empfangen: verlobt werden. In demselben
Sprachgebrauch bedeuten Blumen: Heiterkeit, ein ver-
trockneter Bach: Mangel, das Eingesperrtseyn in ei-
ne Festung: Bettlägrigkeit; der Besuch des Arztes:
Krankheit, Advokaten Unkosten; einen reisen oder übers
Wasser gehen sehen: scheiden von ihm fürs ganze Leben.

Eine ganz vorzügliche Aufmerksamkeit verdient
indeß jener aus den Traumbüchern *) und aus der
gemeinen Erfahrung sehr bekannte Sprachgebrauch des
Traumes, nach welchem die Seele durch irgend ein
Bild gerade das Gegentheil von dem bezeichnet, was
dieses im gemeinen Leben bedeutet; nach welchem sie
fröhliche Bilder für traurige, und umgekehrt traurige
Bilder für fröhliche Begebenheiten braucht. **) Dem

selt-
*) Z. B. das alte Frankfurter Traumbuch.
**) Der Traum selber ist schon bey vielen Menschen eine
sonderbare Kehrseite des wachen Zustandes; sanfte,
friedfertige Menschen, sind im Traume öfters über al-
les Maaß jähzornig und streitsüchtig, Feigherzige träu-
men am häufigsten von kühnen Thaten, und wer z. B.
Augustins Selbstbekenntnisse gelesen, der wird sich noch
an andere Widersprüche erinnern, worinn der Traum
mit dem Wachen steht.

poetiſchen oder bildlichen Ausdruck. Ein Weg der
durch Dornen oder ſteil uͤber Berge geht, bedeutet im
Traume, wie im gemein poetiſchen Ausdruck, Unan-
nehmlichkeiten und Hinderniſſe in unſerm Lebensſchick-
ſal; ein Weg uͤber Glatteis, druͤckt in beyden Arten zu
ſprechen, eine peinliche, gefaͤhrliche Lage aus; Finſter-
niß bezeichnet in beyden Betruͤbniß und Melancholie;
den Ring empfangen: verlobt werden. In demſelben
Sprachgebrauch bedeuten Blumen: Heiterkeit, ein ver-
trockneter Bach: Mangel, das Eingeſperrtſeyn in ei-
ne Feſtung: Bettlaͤgrigkeit; der Beſuch des Arztes:
Krankheit, Advokaten Unkoſten; einen reiſen oder uͤbers
Waſſer gehen ſehen: ſcheiden von ihm fuͤrs ganze Leben.

Eine ganz vorzuͤgliche Aufmerkſamkeit verdient
indeß jener aus den Traumbuͤchern *) und aus der
gemeinen Erfahrung ſehr bekannte Sprachgebrauch des
Traumes, nach welchem die Seele durch irgend ein
Bild gerade das Gegentheil von dem bezeichnet, was
dieſes im gemeinen Leben bedeutet; nach welchem ſie
froͤhliche Bilder fuͤr traurige, und umgekehrt traurige
Bilder fuͤr froͤhliche Begebenheiten braucht. **) Dem

ſelt-
*) Z. B. das alte Frankfurter Traumbuch.
**) Der Traum ſelber iſt ſchon bey vielen Menſchen eine
ſonderbare Kehrſeite des wachen Zuſtandes; ſanfte,
friedfertige Menſchen, ſind im Traume oͤfters uͤber al-
les Maaß jaͤhzornig und ſtreitſuͤchtig, Feigherzige traͤu-
men am haͤufigſten von kuͤhnen Thaten, und wer z. B.
Auguſtins Selbſtbekenntniſſe geleſen, der wird ſich noch
an andere Widerſpruͤche erinnern, worinn der Traum
mit dem Wachen ſteht.
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[7/0017] poetiſchen oder bildlichen Ausdruck. Ein Weg der durch Dornen oder ſteil uͤber Berge geht, bedeutet im Traume, wie im gemein poetiſchen Ausdruck, Unan- nehmlichkeiten und Hinderniſſe in unſerm Lebensſchick- ſal; ein Weg uͤber Glatteis, druͤckt in beyden Arten zu ſprechen, eine peinliche, gefaͤhrliche Lage aus; Finſter- niß bezeichnet in beyden Betruͤbniß und Melancholie; den Ring empfangen: verlobt werden. In demſelben Sprachgebrauch bedeuten Blumen: Heiterkeit, ein ver- trockneter Bach: Mangel, das Eingeſperrtſeyn in ei- ne Feſtung: Bettlaͤgrigkeit; der Beſuch des Arztes: Krankheit, Advokaten Unkoſten; einen reiſen oder uͤbers Waſſer gehen ſehen: ſcheiden von ihm fuͤrs ganze Leben. Eine ganz vorzuͤgliche Aufmerkſamkeit verdient indeß jener aus den Traumbuͤchern *) und aus der gemeinen Erfahrung ſehr bekannte Sprachgebrauch des Traumes, nach welchem die Seele durch irgend ein Bild gerade das Gegentheil von dem bezeichnet, was dieſes im gemeinen Leben bedeutet; nach welchem ſie froͤhliche Bilder fuͤr traurige, und umgekehrt traurige Bilder fuͤr froͤhliche Begebenheiten braucht. **) Dem ſelt- *) Z. B. das alte Frankfurter Traumbuch. **) Der Traum ſelber iſt ſchon bey vielen Menſchen eine ſonderbare Kehrſeite des wachen Zuſtandes; ſanfte, friedfertige Menſchen, ſind im Traume oͤfters uͤber al- les Maaß jaͤhzornig und ſtreitſuͤchtig, Feigherzige traͤu- men am haͤufigſten von kuͤhnen Thaten, und wer z. B. Auguſtins Selbſtbekenntniſſe geleſen, der wird ſich noch an andere Widerſpruͤche erinnern, worinn der Traum mit dem Wachen ſteht.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/17>, abgerufen am 28.03.2024.