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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

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§ 28. Aussagen nach der Klasse ihrer Anwendungsgelegenheiten betrachtet.

Bedeutete ferner a die Aussage: "Die Ecken des Vierecks A B C D
liegen auf einem Kreise", b die Aussage: "die Gegenwinkel des Vier-
ecks A B C D sind Supplemente", so wäre a = b, denn eines bedingt
immer das andere nach bekannten geometrischen Sätzen. Die beiden
äquivalenten Aussagen a, b dürften hier gleichwol nicht "äquipollente"
genannt werden, weil sie erst auf Grund der Axiome Euklid'scher
Geometrie denknotwendig auseinander folgen -- diese Axiome aber an-
zunehmen erwiesenermassen keine Denknotwendigkeit gebietet.

Mit der Subsumtion nun, mit ihrer Deutungs- und Anwendungs-
fähigkeit, haben wir wiederum die Grundlage des ganzen identischen
Kalkuls gewonnen. Es stellt sich der Aussagenkalkul dergestalt als
eine spezielle Anwendungsweise des Klassenkalkuls dar.

Auch die früher aufgestellte "Gültigkeitsdauer" bei denjenigen
Aussagen, bei welchen ungezwungen von einer solchen sich sprechen
lässt, kann jetzt ohne weiteres aufgefasst (oder umgedeutet) werden
als die Klasse derjenigen Gelegenheiten, bei welchen die betreffende
Aussage als eine zutreffende anwendbar ist, indem hier eben nur diese
Gelegenheiten an bestimmte Zeiten sich gebunden erwiesen. Ist die
Aussage z. B. "Es regnet soeben am hiesigen Platze" im gegen-
wärtigen Zeitpunkt richtig, weil es wirklich draussen regnet, so ist
jetzt auch eine Gelegenheit, die Aussage als eine gültige zu machen,
und vice versa.

Es wird demnach das Gebäude unsres Aussagenkalkuls auf einer
völlig einheitlichen Grundlage ruhen.

Die Nullaussage entspricht wiederum einer leeren Klasse, die
keine einzige Gelegenheit berechtigter Anwendung der Aussage in sich
schliesst. Und die i, der wir auch jetzt noch den Punkt belassen
wollen, mag man auffassen als die Gesamtklasse aller Gelegenheiten,
bei welchen überhaupt Aussagen zu machen sind -- bei allen diesen
wird z. B. die Behauptung, dass 2 x 2 = 4, auch berechtigt erscheinen.

Es versteht sich, dass man die formalen Abmachungen des gegen-
wärtigen Paragraphen auch rein konventionell hätte hinstellen können. Ohne
jede Bezugnahme auf einen vorangehenden Klassenkalkul und ohne eigent-
liche Motivirung hätte einfach "ausgemacht" werden können, was wir re-
kapitulirend zusammenstellen:

a = i, oder a, solle heissen: die Aussage a gilt,
a = 0: sie gilt nicht; a b: wenn a gilt, so gilt b; a = b: wenn a gilt
so gilt b, und umgekehrt; a b: es gilt zugleich a und b; a + b: es
gilt a oder b; (a1 solle bedeuten die Verneinung der Aussage a, so-
nach dasselbe, wie der Ansatz: a = 0).

Man könnte darnach die ersten Sätze des Aussagenkalkuls in Formeln
hinstellen, indem man einfach an den gesunden Verstand, das Gefühl der

§ 28. Aussagen nach der Klasse ihrer Anwendungsgelegenheiten betrachtet.

Bedeutete ferner a die Aussage: „Die Ecken des Vierecks A B C D
liegen auf einem Kreise“, b die Aussage: „die Gegenwinkel des Vier-
ecks A B C D sind Supplemente“, so wäre a = b, denn eines bedingt
immer das andere nach bekannten geometrischen Sätzen. Die beiden
äquivalenten Aussagen a, b dürften hier gleichwol nicht „äquipollente“
genannt werden, weil sie erst auf Grund der Axiome Euklid’scher
Geometrie denknotwendig auseinander folgen — diese Axiome aber an-
zunehmen erwiesenermassen keine Denknotwendigkeit gebietet.

Mit der Subsumtion nun, mit ihrer Deutungs- und Anwendungs-
fähigkeit, haben wir wiederum die Grundlage des ganzen identischen
Kalkuls gewonnen. Es stellt sich der Aussagenkalkul dergestalt als
eine spezielle Anwendungsweise des Klassenkalkuls dar.

Auch die früher aufgestellte „Gültigkeitsdauer“ bei denjenigen
Aussagen, bei welchen ungezwungen von einer solchen sich sprechen
lässt, kann jetzt ohne weiteres aufgefasst (oder umgedeutet) werden
als die Klasse derjenigen Gelegenheiten, bei welchen die betreffende
Aussage als eine zutreffende anwendbar ist, indem hier eben nur diese
Gelegenheiten an bestimmte Zeiten sich gebunden erwiesen. Ist die
Aussage z. B. „Es regnet soeben am hiesigen Platze“ im gegen-
wärtigen Zeitpunkt richtig, weil es wirklich draussen regnet, so ist
jetzt auch eine Gelegenheit, die Aussage als eine gültige zu machen,
und vice versā.

Es wird demnach das Gebäude unsres Aussagenkalkuls auf einer
völlig einheitlichen Grundlage ruhen.

Die Nullaussage entspricht wiederum einer leeren Klasse, die
keine einzige Gelegenheit berechtigter Anwendung der Aussage in sich
schliesst. Und die i, der wir auch jetzt noch den Punkt belassen
wollen, mag man auffassen als die Gesamtklasse aller Gelegenheiten,
bei welchen überhaupt Aussagen zu machen sind — bei allen diesen
wird z. B. die Behauptung, dass 2 × 2 = 4, auch berechtigt erscheinen.

Es versteht sich, dass man die formalen Abmachungen des gegen-
wärtigen Paragraphen auch rein konventionell hätte hinstellen können. Ohne
jede Bezugnahme auf einen vorangehenden Klassenkalkul und ohne eigent-
liche Motivirung hätte einfach „ausgemacht“ werden können, was wir re-
kapitulirend zusammenstellen:

a = i, oder a, solle heissen: die Aussage a gilt,
a = 0: sie gilt nicht; a b: wenn a gilt, so gilt b; a = b: wenn a gilt
so gilt b, und umgekehrt; a b: es gilt zugleich a und b; a + b: es
gilt a oder b; (a1 solle bedeuten die Verneinung der Aussage a, so-
nach dasselbe, wie der Ansatz: a = 0).

Man könnte darnach die ersten Sätze des Aussagenkalkuls in Formeln
hinstellen, indem man einfach an den gesunden Verstand, das Gefühl der

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[23/0047] § 28. Aussagen nach der Klasse ihrer Anwendungsgelegenheiten betrachtet. Bedeutete ferner a die Aussage: „Die Ecken des Vierecks A B C D liegen auf einem Kreise“, b die Aussage: „die Gegenwinkel des Vier- ecks A B C D sind Supplemente“, so wäre a = b, denn eines bedingt immer das andere nach bekannten geometrischen Sätzen. Die beiden äquivalenten Aussagen a, b dürften hier gleichwol nicht „äquipollente“ genannt werden, weil sie erst auf Grund der Axiome Euklid’scher Geometrie denknotwendig auseinander folgen — diese Axiome aber an- zunehmen erwiesenermassen keine Denknotwendigkeit gebietet. Mit der Subsumtion nun, mit ihrer Deutungs- und Anwendungs- fähigkeit, haben wir wiederum die Grundlage des ganzen identischen Kalkuls gewonnen. Es stellt sich der Aussagenkalkul dergestalt als eine spezielle Anwendungsweise des Klassenkalkuls dar. Auch die früher aufgestellte „Gültigkeitsdauer“ bei denjenigen Aussagen, bei welchen ungezwungen von einer solchen sich sprechen lässt, kann jetzt ohne weiteres aufgefasst (oder umgedeutet) werden als die Klasse derjenigen Gelegenheiten, bei welchen die betreffende Aussage als eine zutreffende anwendbar ist, indem hier eben nur diese Gelegenheiten an bestimmte Zeiten sich gebunden erwiesen. Ist die Aussage z. B. „Es regnet soeben am hiesigen Platze“ im gegen- wärtigen Zeitpunkt richtig, weil es wirklich draussen regnet, so ist jetzt auch eine Gelegenheit, die Aussage als eine gültige zu machen, und vice versā. Es wird demnach das Gebäude unsres Aussagenkalkuls auf einer völlig einheitlichen Grundlage ruhen. Die Nullaussage entspricht wiederum einer leeren Klasse, die keine einzige Gelegenheit berechtigter Anwendung der Aussage in sich schliesst. Und die i, der wir auch jetzt noch den Punkt belassen wollen, mag man auffassen als die Gesamtklasse aller Gelegenheiten, bei welchen überhaupt Aussagen zu machen sind — bei allen diesen wird z. B. die Behauptung, dass 2 × 2 = 4, auch berechtigt erscheinen. Es versteht sich, dass man die formalen Abmachungen des gegen- wärtigen Paragraphen auch rein konventionell hätte hinstellen können. Ohne jede Bezugnahme auf einen vorangehenden Klassenkalkul und ohne eigent- liche Motivirung hätte einfach „ausgemacht“ werden können, was wir re- kapitulirend zusammenstellen: a = i, oder a, solle heissen: die Aussage a gilt, a = 0: sie gilt nicht; a  b: wenn a gilt, so gilt b; a = b: wenn a gilt so gilt b, und umgekehrt; a b: es gilt zugleich a und b; a + b: es gilt a oder b; (a1 solle bedeuten die Verneinung der Aussage a, so- nach dasselbe, wie der Ansatz: a = 0). Man könnte darnach die ersten Sätze des Aussagenkalkuls in Formeln hinstellen, indem man einfach an den gesunden Verstand, das Gefühl der

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/47>, abgerufen am 18.04.2024.