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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

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§. 28. Aussagen, nach Gültigkeitsdauer geschätzt.
bald, falls) hier die Sonne scheint, ist Carnot Präsident der französi-
schen Republik, (er ist es freilich auch, wenn sie nicht scheint) --
mit einer gewissen Gültigkeitsdauer (gleichwie der beiden Teilaussagen,
so auch) der ganzen Aussage.

Hier nun zu sagen: aus dem Scheinen der Sonne an hiesigem
Platze folge (zur Zeit), dass Carnot Präsident der französischen Repu-
blik sei, oder auch: der letztere Umstand sei von dem ersteren bedingt,
wäre allerdings nicht angemessen!

Wenn wir gleichwol -- zwar nicht in solch konkreten Beispielen
wo ihre Unangemessenheit auf der Hand liegt, jedoch bei den Unter-
suchungen von allgemeinem Charakter -- diese Redensarten gebrauchen, so
geschieht es, weil unsre Abmachungen auch die Fälle wirklichen Folgens
sämtlich mit umfassen, weil beabsichtigt ist, sie auf solche vorzugs-
weise anzuwenden (ohne dass es jedoch nötig fällt, die andern auszu-
schliessen), und vor allem, weil die Wortsprache uns Redewendungen
nicht zur Verfügung stellt, die für alle Fälle zutreffend genannt werden
könnten und demnach einer solchen Allgemeinheit gerecht zu werden
vermöchten, wie sie unsre Untersuchungen beanspruchen werden.

Man wird sich im Vorstehenden auch den Unterschied in der Bedeutung
der Konjunktionen "wenn" (if) und "wann" (englisch annähernd: when) zum
Bewusstsein gebracht haben. Während letztere als reine Zeitpartikel er-
scheint, pflegt erstere den versteckten Hinweis auf ein Prinzip zu enthalten,
das den Zusammenhang zwischen Bedingungssatz und Folgesatz des hypo-
thetischen Urteils beherrscht -- bestehe dieses Prinzip nun als ein rein
logisches aus den Gesetzen des gewissen oder wahrscheinlichen Folgerns
unter Berufung auf die Evidenz, oder gründe es sich ausserdem auf irgend-
welche Satzungen, dogmatische Glaubenssätze oder auch Naturgesetze -- in
welch' letzterem Falle wir von einem kausalen Zusammenhange reden.

Jenes "wann" kann unter Umständen auch durch "während" (engl.
whilst) vertreten werden; es entspricht auch dem lateinischen "dum", "so-
lange". Z. B. "Dum spiro, spero": solange ich atme (scilicet: und bei Be-
wusstsein bin), höre ich nicht auf zu hoffen. Dies gibt die Subsumtion
a b, wo a die Aussage bedeutet: ich atme, und b die: ich hoffe.

Betrachten wir dagegen den Satz: "Dolor, si longus, levis, si gravis,
brevis" (ergo omnino fortiter sustinendus -- vergl. Jevons9 p. 174), so
weist die konditionale Partikel "si" in der That auf einen verborgenen ur-
sächlichen Zusammenhang, einen Grund hin: weil eben ein sehr heftiger
Schmerz bald Bewusstlosigkeit oder Tod herbeiführt und damit aufhört in
die Empfindung zu treten, als solcher zu existiren, so kann ein lang an-
haltender Schmerz nur ein minder heftiger, ein sehr heftiger nur von kurzer
Dauer sein -- zum Trost für die von ihm Befallenen.

Das Beispiel ist instruktiv, insofern es im Bedingungssatze des einen
Urteils sowie im Folgesatze des andern als Prädikat selbst schon eine Zeit-
bestimmung, als da ist "von langer, resp. kurzer, Dauer zu sein" enthält.

§. 28. Aussagen, nach Gültigkeitsdauer geschätzt.
bald, falls) hier die Sonne scheint, ist Carnot Präsident der französi-
schen Republik, (er ist es freilich auch, wenn sie nicht scheint) —
mit einer gewissen Gültigkeitsdauer (gleichwie der beiden Teilaussagen,
so auch) der ganzen Aussage.

Hier nun zu sagen: aus dem Scheinen der Sonne an hiesigem
Platze folge (zur Zeit), dass Carnot Präsident der französischen Repu-
blik sei, oder auch: der letztere Umstand sei von dem ersteren bedingt,
wäre allerdings nicht angemessen!

Wenn wir gleichwol — zwar nicht in solch konkreten Beispielen
wo ihre Unangemessenheit auf der Hand liegt, jedoch bei den Unter-
suchungen von allgemeinem Charakter — diese Redensarten gebrauchen, so
geschieht es, weil unsre Abmachungen auch die Fälle wirklichen Folgens
sämtlich mit umfassen, weil beabsichtigt ist, sie auf solche vorzugs-
weise anzuwenden (ohne dass es jedoch nötig fällt, die andern auszu-
schliessen), und vor allem, weil die Wortsprache uns Redewendungen
nicht zur Verfügung stellt, die für alle Fälle zutreffend genannt werden
könnten und demnach einer solchen Allgemeinheit gerecht zu werden
vermöchten, wie sie unsre Untersuchungen beanspruchen werden.

Man wird sich im Vorstehenden auch den Unterschied in der Bedeutung
der Konjunktionen „wenn“ (if) und „wann“ (englisch annähernd: when) zum
Bewusstsein gebracht haben. Während letztere als reine Zeitpartikel er-
scheint, pflegt erstere den versteckten Hinweis auf ein Prinzip zu enthalten,
das den Zusammenhang zwischen Bedingungssatz und Folgesatz des hypo-
thetischen Urteils beherrscht — bestehe dieses Prinzip nun als ein rein
logisches aus den Gesetzen des gewissen oder wahrscheinlichen Folgerns
unter Berufung auf die Evidenz, oder gründe es sich ausserdem auf irgend-
welche Satzungen, dogmatische Glaubenssätze oder auch Naturgesetze — in
welch’ letzterem Falle wir von einem kausalen Zusammenhange reden.

Jenes „wann“ kann unter Umständen auch durch „während“ (engl.
whilst) vertreten werden; es entspricht auch dem lateinischen „dum“, „so-
lange“. Z. B. „Dum spiro, spero“: solange ich atme (scilicet: und bei Be-
wusstsein bin), höre ich nicht auf zu hoffen. Dies gibt die Subsumtion
a b, wo a die Aussage bedeutet: ich atme, und b die: ich hoffe.

Betrachten wir dagegen den Satz: „Dolor, si longus, levis, si gravis,
brevis“ (ergo omnino fortiter sustinendus — vergl. Jevons9 p. 174), so
weist die konditionale Partikel „si“ in der That auf einen verborgenen ur-
sächlichen Zusammenhang, einen Grund hin: weil eben ein sehr heftiger
Schmerz bald Bewusstlosigkeit oder Tod herbeiführt und damit aufhört in
die Empfindung zu treten, als solcher zu existiren, so kann ein lang an-
haltender Schmerz nur ein minder heftiger, ein sehr heftiger nur von kurzer
Dauer sein — zum Trost für die von ihm Befallenen.

Das Beispiel ist instruktiv, insofern es im Bedingungssatze des einen
Urteils sowie im Folgesatze des andern als Prädikat selbst schon eine Zeit-
bestimmung, als da ist „von langer, resp. kurzer, Dauer zu sein“ enthält.

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[15/0039] §. 28. Aussagen, nach Gültigkeitsdauer geschätzt. bald, falls) hier die Sonne scheint, ist Carnot Präsident der französi- schen Republik, (er ist es freilich auch, wenn sie nicht scheint) — mit einer gewissen Gültigkeitsdauer (gleichwie der beiden Teilaussagen, so auch) der ganzen Aussage. Hier nun zu sagen: aus dem Scheinen der Sonne an hiesigem Platze folge (zur Zeit), dass Carnot Präsident der französischen Repu- blik sei, oder auch: der letztere Umstand sei von dem ersteren bedingt, wäre allerdings nicht angemessen! Wenn wir gleichwol — zwar nicht in solch konkreten Beispielen wo ihre Unangemessenheit auf der Hand liegt, jedoch bei den Unter- suchungen von allgemeinem Charakter — diese Redensarten gebrauchen, so geschieht es, weil unsre Abmachungen auch die Fälle wirklichen Folgens sämtlich mit umfassen, weil beabsichtigt ist, sie auf solche vorzugs- weise anzuwenden (ohne dass es jedoch nötig fällt, die andern auszu- schliessen), und vor allem, weil die Wortsprache uns Redewendungen nicht zur Verfügung stellt, die für alle Fälle zutreffend genannt werden könnten und demnach einer solchen Allgemeinheit gerecht zu werden vermöchten, wie sie unsre Untersuchungen beanspruchen werden. Man wird sich im Vorstehenden auch den Unterschied in der Bedeutung der Konjunktionen „wenn“ (if) und „wann“ (englisch annähernd: when) zum Bewusstsein gebracht haben. Während letztere als reine Zeitpartikel er- scheint, pflegt erstere den versteckten Hinweis auf ein Prinzip zu enthalten, das den Zusammenhang zwischen Bedingungssatz und Folgesatz des hypo- thetischen Urteils beherrscht — bestehe dieses Prinzip nun als ein rein logisches aus den Gesetzen des gewissen oder wahrscheinlichen Folgerns unter Berufung auf die Evidenz, oder gründe es sich ausserdem auf irgend- welche Satzungen, dogmatische Glaubenssätze oder auch Naturgesetze — in welch’ letzterem Falle wir von einem kausalen Zusammenhange reden. Jenes „wann“ kann unter Umständen auch durch „während“ (engl. whilst) vertreten werden; es entspricht auch dem lateinischen „dum“, „so- lange“. Z. B. „Dum spiro, spero“: solange ich atme (scilicet: und bei Be- wusstsein bin), höre ich nicht auf zu hoffen. Dies gibt die Subsumtion a  b, wo a die Aussage bedeutet: ich atme, und b die: ich hoffe. Betrachten wir dagegen den Satz: „Dolor, si longus, levis, si gravis, brevis“ (ergo omnino fortiter sustinendus — vergl. Jevons9 p. 174), so weist die konditionale Partikel „si“ in der That auf einen verborgenen ur- sächlichen Zusammenhang, einen Grund hin: weil eben ein sehr heftiger Schmerz bald Bewusstlosigkeit oder Tod herbeiführt und damit aufhört in die Empfindung zu treten, als solcher zu existiren, so kann ein lang an- haltender Schmerz nur ein minder heftiger, ein sehr heftiger nur von kurzer Dauer sein — zum Trost für die von ihm Befallenen. Das Beispiel ist instruktiv, insofern es im Bedingungssatze des einen Urteils sowie im Folgesatze des andern als Prädikat selbst schon eine Zeit- bestimmung, als da ist „von langer, resp. kurzer, Dauer zu sein“ enthält.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/39>, abgerufen am 18.04.2024.