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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

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§ 28. Zum Aussagenkalkul.
keitsdauern durch die entsprechenden Buchstaben des kleinen, wo eine
Verwechselung beider irgend zu besorgen stünde.

Eine dem Sinne nach vollkommen bestimmte Aussage ist entweder wahr
(richtig, gültig, berechtigt) oder nicht wahr (falsch, ungültig, unzulässig).

Ist die Aussage sinnlos, oder bestehen Zweifel über den Sinn, die
Auslegung derselben, so lässt sich dies keineswegs behaupten; im letztern
Falle kann sie z. B. wahr sein im einen und falsch in einem andern Sinne.

Viel Streit entspringt aus mangelhafter Verständigung über den Sinn
der strittigen Aussagen, und schon darum ist es wichtig, über die Schwächen
unsres Verständigungsmittels, der Wortsprache, zu klarem Bewusstsein zu
kommen, indem man an sie anlegt den unveränderlichen Maasstab eines abso-
lut konsequenten, bestimmten und exakten Ausdrucksmittels, zu welchem
wir die Formelsprache unsres Kalkuls auszubilden haben. Wer einmal
jene Schwächen erkannt hat, wird auch weniger leicht durch die Ungeduld
sich abhalten lassen, bevor er in Streit eintritt, jene erforderliche Ver-
ständigung anzustreben.

Eine Aussage kann z. B. wohl Subjekt einer andern sein, oder --
noch allgemeiner -- überhaupt ein Objekt, auf welches die gedachte zweite
Aussage sich irgendwie bezieht; aber sie darf nicht sich selbst zum Gegen-
stande haben, sie darf insbesondre nicht als ihr eigenes Subjekt auftreten.

Von dieser Beschaffenheit wäre z. B. der isolirt hingestellte Satz:
"Gegenwärtige Aussage ist unrichtig", die von jemand ohne allen Bezug
auf vorangegangene oder nachfolgende Aussagen für sich hingestellte Be-
hauptung: "Ich sage hiermit eine Unwahrheit".*) Solche Aussage kann
nicht wahr sein, weil es dann eben keine Unwahrheit, sondern eine Wahr-
heit wäre, die gesagt worden, und sie kann auch nicht unwahr sein, weil
es dann eben zur Wahrheit würde, dass sie unwahr ist.

Diese Aussage ist also in der That weder wahr noch falsch; dieselbe
ist aber sinnlos, indem sie sich auf einen Sinn beruft, solchen als bekannt
voraussetzt, den sie selbst erst geben, erklären sollte, aber, wie erkannt,
unmöglich haben kann. Die Aussage stempelt hier überdies mit Denk-
notwendigkeit sich zu einer solchen. -- Ebenso sinnlos würde auch die andre
Aussage (isolirt hingestellt) sein: "Ich sage hiermit die Wahrheit". Nur
würde die letztere in beregter Hinsicht sich sozusagen indifferent verhalten,
den Sinn blos ewig vermissen lassen.

Im Zusammenhang hiermit steht es, dass wenn etwa jemand wetten
wollte, dass er die eben damit eingegangene Wette verlieren (desgleichen,
falls man es vorzieht, dass er sie gewinnen) würde, solche Wette als eine
gegenstandslose niemals zum Austrag gebracht werden könnte.

Wir streifen hierbei auch den Fall des Sophisten Euathlos, der seinem
Rechtslehrer Protagoras das Unterrichtshonorar zu bezahlen versprach, nach-
dem er seinen ersten Prozess gewonnen haben würde, dann aber überhaupt

*) "Ich lüge jetzt" -- bei Lotze -- in Vereinfachung des alten Sophisma's
von dem Kretenser, welcher behauptet haben sollte, dass alle Kretenser beständig
lögen -- was nur möglich und wahr zugleich sein konnte, wenn er es selbst
nicht glaubte.

§ 28. Zum Aussagenkalkul.
keitsdauern durch die entsprechenden Buchstaben des kleinen, wo eine
Verwechselung beider irgend zu besorgen stünde.

Eine dem Sinne nach vollkommen bestimmte Aussage ist entweder wahr
(richtig, gültig, berechtigt) oder nicht wahr (falsch, ungültig, unzulässig).

Ist die Aussage sinnlos, oder bestehen Zweifel über den Sinn, die
Auslegung derselben, so lässt sich dies keineswegs behaupten; im letztern
Falle kann sie z. B. wahr sein im einen und falsch in einem andern Sinne.

Viel Streit entspringt aus mangelhafter Verständigung über den Sinn
der strittigen Aussagen, und schon darum ist es wichtig, über die Schwächen
unsres Verständigungsmittels, der Wortsprache, zu klarem Bewusstsein zu
kommen, indem man an sie anlegt den unveränderlichen Maasstab eines abso-
lut konsequenten, bestimmten und exakten Ausdrucksmittels, zu welchem
wir die Formelsprache unsres Kalkuls auszubilden haben. Wer einmal
jene Schwächen erkannt hat, wird auch weniger leicht durch die Ungeduld
sich abhalten lassen, bevor er in Streit eintritt, jene erforderliche Ver-
ständigung anzustreben.

Eine Aussage kann z. B. wohl Subjekt einer andern sein, oder —
noch allgemeiner — überhaupt ein Objekt, auf welches die gedachte zweite
Aussage sich irgendwie bezieht; aber sie darf nicht sich selbst zum Gegen-
stande haben, sie darf insbesondre nicht als ihr eigenes Subjekt auftreten.

Von dieser Beschaffenheit wäre z. B. der isolirt hingestellte Satz:
„Gegenwärtige Aussage ist unrichtig“, die von jemand ohne allen Bezug
auf vorangegangene oder nachfolgende Aussagen für sich hingestellte Be-
hauptung: „Ich sage hiermit eine Unwahrheit“.*) Solche Aussage kann
nicht wahr sein, weil es dann eben keine Unwahrheit, sondern eine Wahr-
heit wäre, die gesagt worden, und sie kann auch nicht unwahr sein, weil
es dann eben zur Wahrheit würde, dass sie unwahr ist.

Diese Aussage ist also in der That weder wahr noch falsch; dieselbe
ist aber sinnlos, indem sie sich auf einen Sinn beruft, solchen als bekannt
voraussetzt, den sie selbst erst geben, erklären sollte, aber, wie erkannt,
unmöglich haben kann. Die Aussage stempelt hier überdies mit Denk-
notwendigkeit sich zu einer solchen. — Ebenso sinnlos würde auch die andre
Aussage (isolirt hingestellt) sein: „Ich sage hiermit die Wahrheit“. Nur
würde die letztere in beregter Hinsicht sich sozusagen indifferent verhalten,
den Sinn blos ewig vermissen lassen.

Im Zusammenhang hiermit steht es, dass wenn etwa jemand wetten
wollte, dass er die eben damit eingegangene Wette verlieren (desgleichen,
falls man es vorzieht, dass er sie gewinnen) würde, solche Wette als eine
gegenstandslose niemals zum Austrag gebracht werden könnte.

Wir streifen hierbei auch den Fall des Sophisten Euathlos, der seinem
Rechtslehrer Protagoras das Unterrichtshonorar zu bezahlen versprach, nach-
dem er seinen ersten Prozess gewonnen haben würde, dann aber überhaupt

*) „Ich lüge jetzt“ — bei Lotze — in Vereinfachung des alten Sophisma’s
von dem Kretenser, welcher behauptet haben sollte, dass alle Kretenser beständig
lögen — was nur möglich und wahr zugleich sein konnte, wenn er es selbst
nicht glaubte.
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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/31>, abgerufen am 28.03.2024.