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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
nichtung des Widersprechenden vorübergehend sein, insofern die un-
mittelbare Deckung der Widersprüche vorübergehend ist. Was in ver-
schiedenen Denkgebieten tief eingewurzelt ist, kann nicht so ohne
weiteres zerstört werden, wenn man durch blosse Folgerungen zeigt,
dass es widersprechend ist. Auf dem Punkte freilich, wo man die
Konsequenzen des einen und des andern Satzes unmittelbar zur Deckung
bringt, bleibt die Wirkung nicht aus, allein sie schlägt nicht immer
durch die ganze Reihe der Folgerungen hindurch bis in den Sitz der
ursprünglichen Widersprüche. Zweifel an der Bündigkeit der Schluss-
reihe, an der Identität des Gegenstandes der Folgerung schützen den
Irrtum häufig; aber auch wenn er für den Augenblick zerstört wird,
bildet er sich aus dem gewohnten Kreise der Vorstellungsverbindungen
wieder neu und behauptet sich, wenn er nicht endlich durch wieder-
holte Schläge zum Weichen gebracht wird.

Trotz dieser Zähigkeit des Irrtums muss gleichwol das psycho-
logische Gesetz der Unvereinbarkeit unmittelbarer Widersprüche im
Denken mit der Zeit eine grosse Wirkung ausüben. Es ist die scharfe
Schneide, mittelst welcher im Fortgang der Erfahrung allmälig die
unhaltbaren Vorstellungsverbindungen vernichtet werden, während die
besser haltbaren fortdauern.*) Es ist das vernichtende Prinzip im
natürlichen Fortschritt des menschlichen Denkens, welches, gleich dem
Fortschritt der Organismen darauf beruht, dass immer neue Ver-
bindungen von Vorstellungen erzeugt werden, von denen beständig die
grosse Masse wieder vernichtet wird, während die bessern überleben
und weiter wirken.

Dieses psychologische Gesetz des Widerspruchs bedarf natürlich zu seinem
Bestande und zu seiner Wirksamkeit keiner Anschauung. Es ist unmittelbar
durch unsre Organisation gegeben und wirkt vor jeder Erfahrung als Be-
dingung aller Erfahrung. Seine Wirksamkeit ist eine objektive und es braucht
nicht erst zum Bewusstsein gebracht zu werden, um thätig zu sein.

Sollen wir nun aber dasselbe Gesetz als Grundlage der Logik auffassen,
sollen wir es als Normalgesetz alles Denkens anerkennen, wie es als Natur-
gesetz
auch ohne unsre Anerkennung wirksam ist, dann allerdings bedürfen
wir hier so gut wie bei allen andern Axiomen der typischen Anschauung,
um uns zu überzeugen ... "**)

*) Auch hier ein "survival of the fittest", Überleben der Tauglichsten.
Der Verf.
**) Ich breche das Citat mit Absicht erst bei diesen Worten ab, welche zwar
von andern Seiten bestritten, doch jedenfalls für die der Lange'schen Schrift zu-
grunde liegende Gesamtauffassung bezeichnend sind.

Einleitung.
nichtung des Widersprechenden vorübergehend sein, insofern die un-
mittelbare Deckung der Widersprüche vorübergehend ist. Was in ver-
schiedenen Denkgebieten tief eingewurzelt ist, kann nicht so ohne
weiteres zerstört werden, wenn man durch blosse Folgerungen zeigt,
dass es widersprechend ist. Auf dem Punkte freilich, wo man die
Konsequenzen des einen und des andern Satzes unmittelbar zur Deckung
bringt, bleibt die Wirkung nicht aus, allein sie schlägt nicht immer
durch die ganze Reihe der Folgerungen hindurch bis in den Sitz der
ursprünglichen Widersprüche. Zweifel an der Bündigkeit der Schluss-
reihe, an der Identität des Gegenstandes der Folgerung schützen den
Irrtum häufig; aber auch wenn er für den Augenblick zerstört wird,
bildet er sich aus dem gewohnten Kreise der Vorstellungsverbindungen
wieder neu und behauptet sich, wenn er nicht endlich durch wieder-
holte Schläge zum Weichen gebracht wird.

Trotz dieser Zähigkeit des Irrtums muss gleichwol das psycho-
logische Gesetz der Unvereinbarkeit unmittelbarer Widersprüche im
Denken mit der Zeit eine grosse Wirkung ausüben. Es ist die scharfe
Schneide, mittelst welcher im Fortgang der Erfahrung allmälig die
unhaltbaren Vorstellungsverbindungen vernichtet werden, während die
besser haltbaren fortdauern.*) Es ist das vernichtende Prinzip im
natürlichen Fortschritt des menschlichen Denkens, welches, gleich dem
Fortschritt der Organismen darauf beruht, dass immer neue Ver-
bindungen von Vorstellungen erzeugt werden, von denen beständig die
grosse Masse wieder vernichtet wird, während die bessern überleben
und weiter wirken.

Dieses psychologische Gesetz des Widerspruchs bedarf natürlich zu seinem
Bestande und zu seiner Wirksamkeit keiner Anschauung. Es ist unmittelbar
durch unsre Organisation gegeben und wirkt vor jeder Erfahrung als Be-
dingung aller Erfahrung. Seine Wirksamkeit ist eine objektive und es braucht
nicht erst zum Bewusstsein gebracht zu werden, um thätig zu sein.

Sollen wir nun aber dasselbe Gesetz als Grundlage der Logik auffassen,
sollen wir es als Normalgesetz alles Denkens anerkennen, wie es als Natur-
gesetz
auch ohne unsre Anerkennung wirksam ist, dann allerdings bedürfen
wir hier so gut wie bei allen andern Axiomen der typischen Anschauung,
um uns zu überzeugen … „**)

*) Auch hier ein „survival of the fittest“, Überleben der Tauglichsten.
Der Verf.
**) Ich breche das Citat mit Absicht erst bei diesen Worten ab, welche zwar
von andern Seiten bestritten, doch jedenfalls für die der Lange'schen Schrift zu-
grunde liegende Gesamtauffassung bezeichnend sind.
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[14/0034] Einleitung. nichtung des Widersprechenden vorübergehend sein, insofern die un- mittelbare Deckung der Widersprüche vorübergehend ist. Was in ver- schiedenen Denkgebieten tief eingewurzelt ist, kann nicht so ohne weiteres zerstört werden, wenn man durch blosse Folgerungen zeigt, dass es widersprechend ist. Auf dem Punkte freilich, wo man die Konsequenzen des einen und des andern Satzes unmittelbar zur Deckung bringt, bleibt die Wirkung nicht aus, allein sie schlägt nicht immer durch die ganze Reihe der Folgerungen hindurch bis in den Sitz der ursprünglichen Widersprüche. Zweifel an der Bündigkeit der Schluss- reihe, an der Identität des Gegenstandes der Folgerung schützen den Irrtum häufig; aber auch wenn er für den Augenblick zerstört wird, bildet er sich aus dem gewohnten Kreise der Vorstellungsverbindungen wieder neu und behauptet sich, wenn er nicht endlich durch wieder- holte Schläge zum Weichen gebracht wird. Trotz dieser Zähigkeit des Irrtums muss gleichwol das psycho- logische Gesetz der Unvereinbarkeit unmittelbarer Widersprüche im Denken mit der Zeit eine grosse Wirkung ausüben. Es ist die scharfe Schneide, mittelst welcher im Fortgang der Erfahrung allmälig die unhaltbaren Vorstellungsverbindungen vernichtet werden, während die besser haltbaren fortdauern. *) Es ist das vernichtende Prinzip im natürlichen Fortschritt des menschlichen Denkens, welches, gleich dem Fortschritt der Organismen darauf beruht, dass immer neue Ver- bindungen von Vorstellungen erzeugt werden, von denen beständig die grosse Masse wieder vernichtet wird, während die bessern überleben und weiter wirken. Dieses psychologische Gesetz des Widerspruchs bedarf natürlich zu seinem Bestande und zu seiner Wirksamkeit keiner Anschauung. Es ist unmittelbar durch unsre Organisation gegeben und wirkt vor jeder Erfahrung als Be- dingung aller Erfahrung. Seine Wirksamkeit ist eine objektive und es braucht nicht erst zum Bewusstsein gebracht zu werden, um thätig zu sein. Sollen wir nun aber dasselbe Gesetz als Grundlage der Logik auffassen, sollen wir es als Normalgesetz alles Denkens anerkennen, wie es als Natur- gesetz auch ohne unsre Anerkennung wirksam ist, dann allerdings bedürfen wir hier so gut wie bei allen andern Axiomen der typischen Anschauung, um uns zu überzeugen … „ **) *) Auch hier ein „survival of the fittest“, Überleben der Tauglichsten. Der Verf. **) Ich breche das Citat mit Absicht erst bei diesen Worten ab, welche zwar von andern Seiten bestritten, doch jedenfalls für die der Lange'schen Schrift zu- grunde liegende Gesamtauffassung bezeichnend sind.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/34>, abgerufen am 29.03.2024.