Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Joseph Schreyvogel, der abwechselnd als Thomas und K. A. West geschrieben hat, ist geboren zu Wien 1768, hielt sich in den neunziger Jahren zu Jena auf, wo er anonym in Schillers Thalia ein Lustspiel und in die Jenaer Literaturzeitung Recensionen lieferte; wurde 1802 in Wien an Kotzebue's Stelle Hoftheatersecretär, vertauschte jedoch diese Stelle mit einer geschäftlichen und einer publicistischen Thätigkeit und kehrte erst 1814 zu ihr zurück, wo er unter Dietrichstein seine bekannte Leitung des Burgtheaters antrat, das ihm seine Blüte und seinen Ruhm zu danken hatte. Dietrichstein's Nachfolger in der Intendanz, Graf Czernin, vertrug sich nicht mit der Alleinregierung des Secretärs-Dramaturgen, der im Mai 1832 pensionirt wurde und am 28. Juli desselben Jahres als eines der ersten Opfer der Cholera starb.

Die Liebesgeschichte seines "Samuel Brink" ist nicht bloß die beste Erzählung, die wir von ihm bieten können, sondern sie verdient wohl auch eine der musterhaftesten Leistungen aus der Epoche der älteren Erzählungsweise genannt zu werden. Die Einfachheit, mit welcher sie sich bewegt, ist nicht so künstlerisch vollendet, wie man dies von der heutigen Novelle erwarten darf: es ist vielmehr eine Schlichtheit, die sich unbedenklich gehen läßt, ohne übrigens im rasch dahin gleitenden Flusse des Erzählens jemals an das Gewöhnliche anzustreifen. Die Herzenskämpfe, die sich ergeben, sind mit edler Wahrheit geschildert, und es ist dem Verfasser, Angesichts der Zeit, worin er schrieb, besonders anzurechnen, daß sich in seine Darstellung kein falscher Blutstropfen ungesunder Sentimentalität eingeschlichen hat. Vielmehr schwebt über dem Selbstbekenntnisse des Helden

Joseph Schreyvogel, der abwechselnd als Thomas und K. A. West geschrieben hat, ist geboren zu Wien 1768, hielt sich in den neunziger Jahren zu Jena auf, wo er anonym in Schillers Thalia ein Lustspiel und in die Jenaer Literaturzeitung Recensionen lieferte; wurde 1802 in Wien an Kotzebue's Stelle Hoftheatersecretär, vertauschte jedoch diese Stelle mit einer geschäftlichen und einer publicistischen Thätigkeit und kehrte erst 1814 zu ihr zurück, wo er unter Dietrichstein seine bekannte Leitung des Burgtheaters antrat, das ihm seine Blüte und seinen Ruhm zu danken hatte. Dietrichstein's Nachfolger in der Intendanz, Graf Czernin, vertrug sich nicht mit der Alleinregierung des Secretärs-Dramaturgen, der im Mai 1832 pensionirt wurde und am 28. Juli desselben Jahres als eines der ersten Opfer der Cholera starb.

Die Liebesgeschichte seines „Samuel Brink“ ist nicht bloß die beste Erzählung, die wir von ihm bieten können, sondern sie verdient wohl auch eine der musterhaftesten Leistungen aus der Epoche der älteren Erzählungsweise genannt zu werden. Die Einfachheit, mit welcher sie sich bewegt, ist nicht so künstlerisch vollendet, wie man dies von der heutigen Novelle erwarten darf: es ist vielmehr eine Schlichtheit, die sich unbedenklich gehen läßt, ohne übrigens im rasch dahin gleitenden Flusse des Erzählens jemals an das Gewöhnliche anzustreifen. Die Herzenskämpfe, die sich ergeben, sind mit edler Wahrheit geschildert, und es ist dem Verfasser, Angesichts der Zeit, worin er schrieb, besonders anzurechnen, daß sich in seine Darstellung kein falscher Blutstropfen ungesunder Sentimentalität eingeschlichen hat. Vielmehr schwebt über dem Selbstbekenntnisse des Helden

<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0005"/>
      <div type="preface">
        <p>Joseph Schreyvogel, der abwechselnd als Thomas und K. A. West geschrieben hat, ist             geboren zu Wien 1768, hielt sich in den neunziger Jahren zu Jena auf, wo er anonym in             Schillers Thalia ein Lustspiel und in die Jenaer Literaturzeitung Recensionen lieferte;             wurde 1802 in Wien an Kotzebue's Stelle Hoftheatersecretär, vertauschte jedoch diese             Stelle mit einer geschäftlichen und einer publicistischen Thätigkeit und kehrte erst             1814 zu ihr zurück, wo er unter Dietrichstein seine bekannte Leitung des Burgtheaters             antrat, das ihm seine Blüte und seinen Ruhm zu danken hatte. Dietrichstein's Nachfolger             in der Intendanz, Graf Czernin, vertrug sich nicht mit der Alleinregierung des             Secretärs-Dramaturgen, der im Mai 1832 pensionirt wurde und am 28. Juli desselben Jahres             als eines der ersten Opfer der Cholera starb.</p><lb/>
        <p>Die Liebesgeschichte seines &#x201E;Samuel Brink&#x201C; ist nicht bloß die beste Erzählung, die wir             von ihm bieten können, sondern sie verdient wohl auch eine der musterhaftesten             Leistungen aus der Epoche der älteren Erzählungsweise genannt zu werden. Die             Einfachheit, mit welcher sie sich bewegt, ist nicht so künstlerisch vollendet, wie man             dies von der heutigen Novelle erwarten darf: es ist vielmehr eine Schlichtheit, die sich             unbedenklich gehen läßt, ohne übrigens im rasch dahin gleitenden Flusse des Erzählens             jemals an das Gewöhnliche anzustreifen. Die Herzenskämpfe, die sich ergeben, sind mit             edler Wahrheit geschildert, und es ist dem Verfasser, Angesichts der Zeit, worin er             schrieb, besonders anzurechnen, daß sich in seine Darstellung kein falscher Blutstropfen             ungesunder Sentimentalität eingeschlichen hat. Vielmehr schwebt über dem             Selbstbekenntnisse des Helden<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0005] Joseph Schreyvogel, der abwechselnd als Thomas und K. A. West geschrieben hat, ist geboren zu Wien 1768, hielt sich in den neunziger Jahren zu Jena auf, wo er anonym in Schillers Thalia ein Lustspiel und in die Jenaer Literaturzeitung Recensionen lieferte; wurde 1802 in Wien an Kotzebue's Stelle Hoftheatersecretär, vertauschte jedoch diese Stelle mit einer geschäftlichen und einer publicistischen Thätigkeit und kehrte erst 1814 zu ihr zurück, wo er unter Dietrichstein seine bekannte Leitung des Burgtheaters antrat, das ihm seine Blüte und seinen Ruhm zu danken hatte. Dietrichstein's Nachfolger in der Intendanz, Graf Czernin, vertrug sich nicht mit der Alleinregierung des Secretärs-Dramaturgen, der im Mai 1832 pensionirt wurde und am 28. Juli desselben Jahres als eines der ersten Opfer der Cholera starb. Die Liebesgeschichte seines „Samuel Brink“ ist nicht bloß die beste Erzählung, die wir von ihm bieten können, sondern sie verdient wohl auch eine der musterhaftesten Leistungen aus der Epoche der älteren Erzählungsweise genannt zu werden. Die Einfachheit, mit welcher sie sich bewegt, ist nicht so künstlerisch vollendet, wie man dies von der heutigen Novelle erwarten darf: es ist vielmehr eine Schlichtheit, die sich unbedenklich gehen läßt, ohne übrigens im rasch dahin gleitenden Flusse des Erzählens jemals an das Gewöhnliche anzustreifen. Die Herzenskämpfe, die sich ergeben, sind mit edler Wahrheit geschildert, und es ist dem Verfasser, Angesichts der Zeit, worin er schrieb, besonders anzurechnen, daß sich in seine Darstellung kein falscher Blutstropfen ungesunder Sentimentalität eingeschlichen hat. Vielmehr schwebt über dem Selbstbekenntnisse des Helden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:30:04Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/5
Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/5>, abgerufen am 25.04.2024.