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Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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zu folgen? Will ich nicht ihr Glück, und besitz' ich nicht, was es ihr sichern kann? -- Die Jugend? -- Elender Nothbehelf der Gemeinheit! Wird sie vermissen, wovon ihre reine Seele nichts ahnet? -- Und bin ich denn ein Greis? Klopfen diese Pulse nicht oft noch allzu rasch? Trag' ich mein ungebleichtes Haupt weniger frei und aufrecht, weil es nicht so leer an Urtheil und Erfahrung ist, als der schwindelnde Kopf eines Jünglings? -- Laß uns den Zweck der Weisheit nicht verlieren, Samuel, aus eitler Furcht vor der Thorheit! Nicht erzwingen will ich das Glück des Lebens, nicht mit List und Mühe erjagen; aber es fröhlich hinnehmen, wenn es von selbst sich mir darbietet.

Rasch erhob ich mich und ging auf das Rosengebüsch zu, um die jüngste und schönste der erst entfalteten Knospen zu pflücken und sie zum Andenken dieser Stunde an meine Brust zu stecken. Mit munteren Schritten durchstreifte ich noch einmal die verschiedenen Partieen des Gartens; da stieß mir unvermuthet ein alter Bekannter auf, der, wie ich wußte, vor Kurzem eine Frau genommen hatte. Der Mann ist wenig jünger als ich, und ich habe ihn stets für einen recht verständigen Menschen gehalten. Er erzählte mir, wie glücklich er in seinem neuen Stande sei, fragte nach meiner ländlichen Besitzung und war sehr verwundert, daß ich so selten dahin käme; er seines Theils, versicherte er, habe keinen sehnlicheren Wunsch als den, seine übrigen Tage mit seinem jungen Weibchen auf dem Lande zubringen zu

zu folgen? Will ich nicht ihr Glück, und besitz' ich nicht, was es ihr sichern kann? — Die Jugend? — Elender Nothbehelf der Gemeinheit! Wird sie vermissen, wovon ihre reine Seele nichts ahnet? — Und bin ich denn ein Greis? Klopfen diese Pulse nicht oft noch allzu rasch? Trag' ich mein ungebleichtes Haupt weniger frei und aufrecht, weil es nicht so leer an Urtheil und Erfahrung ist, als der schwindelnde Kopf eines Jünglings? — Laß uns den Zweck der Weisheit nicht verlieren, Samuel, aus eitler Furcht vor der Thorheit! Nicht erzwingen will ich das Glück des Lebens, nicht mit List und Mühe erjagen; aber es fröhlich hinnehmen, wenn es von selbst sich mir darbietet.

Rasch erhob ich mich und ging auf das Rosengebüsch zu, um die jüngste und schönste der erst entfalteten Knospen zu pflücken und sie zum Andenken dieser Stunde an meine Brust zu stecken. Mit munteren Schritten durchstreifte ich noch einmal die verschiedenen Partieen des Gartens; da stieß mir unvermuthet ein alter Bekannter auf, der, wie ich wußte, vor Kurzem eine Frau genommen hatte. Der Mann ist wenig jünger als ich, und ich habe ihn stets für einen recht verständigen Menschen gehalten. Er erzählte mir, wie glücklich er in seinem neuen Stande sei, fragte nach meiner ländlichen Besitzung und war sehr verwundert, daß ich so selten dahin käme; er seines Theils, versicherte er, habe keinen sehnlicheren Wunsch als den, seine übrigen Tage mit seinem jungen Weibchen auf dem Lande zubringen zu

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:30:04Z)

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Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/41>, abgerufen am 29.03.2024.