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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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EINLEITUNG.
Aeltern (für solche Fälle wird durch die Wohlthat der Kinder-
bewahranstalten und anderer öffentlicher Lehr- und Erziehungs-
anstalten fast allerwärts gesorgt), ferner gänzlicher Mangel der
nöthigen Lehrmittel im Wohnorte, oder auch klar erkannte
völlige Unfähigkeit der Aeltern, die Erziehung der Kinder zu
leiten. Nein, es ist hier die Rede von den leider in zunehmen-
der Häufigkeit auftretenden Fällen, wo nur Scheingründe, hinter
denen sich die Schwäche, Bequemlichkeit, Vergnügungssucht,
blasirte Modelaune und wohl noch manches andere Unedle der
Aeltern verbirgt, die Kinder um den Segen der älterlichen Er-
ziehung bringen.

An Euch, Aeltern, die Ihr Euch getroffen fühlt, richte ich
mein freundlich bittenden Worte. Bedenket, dass Ihr die
Grundlage des ganzen künftigen Lebensglückes oder Unglückes
Eurer Kinder in Euern Händen habet! In Eure Hände, nicht
in fremde, hat Derjenige, welcher Euch durch Kindersegen
beglückte, die heilige Verpflichtung gelegt, das Werk der Er-
ziehung inwieweit nur irgend möglich zu übernehmen und so
gut wie nur irgend möglich durchzuführen. Möget Ihr die höchste
oder die niedrigste Stellung im Leben haben -- gleichviel, voll-
endet dieses Werk nach Kräften Selbst! Dann erst lasset Eure
Kinder zu eigner Weiterbildung die Schule der Welt betreten.
Ein leichtes Werk ist es freilich nicht, aber es ist Pflicht, heilige
Pflicht. Dafür auch, wie es überhaupt mit allen Lebensgütern
der Fall, je schwerer die Arbeit, je ernster die Aufgabe, desto
beglückender der Lohn des Gelingens, und umgekehrt, desto
bitterer die Strafe des verschuldeten Misslingens. Der Segen
guter Erziehung wirkt fort von Generation zu Generation. Ein
gut erzogenes Kind wird dereinst als Vater oder Mutter die
gleichen Grundsätze auf seine Kinder anwenden und vererben.
Dieses geistige Erbtheil ist ja das edelste von allen, das ein-
zige unzerstörbare. Und endlich habt Ihr nicht bedacht, dass
Euch durch das Ablehnen des Erziehungsgeschäftes, ausser der
natürlichen Freude, welche jedes directe Selbstvollbringen des
Guten schafft, auch noch ein anderer hoher Gewinn für Euch
selbst entgeht? Ich meine den Gewinn an Selbstveredelung,
ein Segen, der mit natürlicher Nothwendigkeit rückwirkend

EINLEITUNG.
Aeltern (für solche Fälle wird durch die Wohlthat der Kinder-
bewahranstalten und anderer öffentlicher Lehr- und Erziehungs-
anstalten fast allerwärts gesorgt), ferner gänzlicher Mangel der
nöthigen Lehrmittel im Wohnorte, oder auch klar erkannte
völlige Unfähigkeit der Aeltern, die Erziehung der Kinder zu
leiten. Nein, es ist hier die Rede von den leider in zunehmen-
der Häufigkeit auftretenden Fällen, wo nur Scheingründe, hinter
denen sich die Schwäche, Bequemlichkeit, Vergnügungssucht,
blasirte Modelaune und wohl noch manches andere Unedle der
Aeltern verbirgt, die Kinder um den Segen der älterlichen Er-
ziehung bringen.

An Euch, Aeltern, die Ihr Euch getroffen fühlt, richte ich
mein freundlich bittenden Worte. Bedenket, dass Ihr die
Grundlage des ganzen künftigen Lebensglückes oder Unglückes
Eurer Kinder in Euern Händen habet! In Eure Hände, nicht
in fremde, hat Derjenige, welcher Euch durch Kindersegen
beglückte, die heilige Verpflichtung gelegt, das Werk der Er-
ziehung inwieweit nur irgend möglich zu übernehmen und so
gut wie nur irgend möglich durchzuführen. Möget Ihr die höchste
oder die niedrigste Stellung im Leben haben — gleichviel, voll-
endet dieses Werk nach Kräften Selbst! Dann erst lasset Eure
Kinder zu eigner Weiterbildung die Schule der Welt betreten.
Ein leichtes Werk ist es freilich nicht, aber es ist Pflicht, heilige
Pflicht. Dafür auch, wie es überhaupt mit allen Lebensgütern
der Fall, je schwerer die Arbeit, je ernster die Aufgabe, desto
beglückender der Lohn des Gelingens, und umgekehrt, desto
bitterer die Strafe des verschuldeten Misslingens. Der Segen
guter Erziehung wirkt fort von Generation zu Generation. Ein
gut erzogenes Kind wird dereinst als Vater oder Mutter die
gleichen Grundsätze auf seine Kinder anwenden und vererben.
Dieses geistige Erbtheil ist ja das edelste von allen, das ein-
zige unzerstörbare. Und endlich habt Ihr nicht bedacht, dass
Euch durch das Ablehnen des Erziehungsgeschäftes, ausser der
natürlichen Freude, welche jedes directe Selbstvollbringen des
Guten schafft, auch noch ein anderer hoher Gewinn für Euch
selbst entgeht? Ich meine den Gewinn an Selbstveredelung,
ein Segen, der mit natürlicher Nothwendigkeit rückwirkend

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[29/0033] EINLEITUNG. Aeltern (für solche Fälle wird durch die Wohlthat der Kinder- bewahranstalten und anderer öffentlicher Lehr- und Erziehungs- anstalten fast allerwärts gesorgt), ferner gänzlicher Mangel der nöthigen Lehrmittel im Wohnorte, oder auch klar erkannte völlige Unfähigkeit der Aeltern, die Erziehung der Kinder zu leiten. Nein, es ist hier die Rede von den leider in zunehmen- der Häufigkeit auftretenden Fällen, wo nur Scheingründe, hinter denen sich die Schwäche, Bequemlichkeit, Vergnügungssucht, blasirte Modelaune und wohl noch manches andere Unedle der Aeltern verbirgt, die Kinder um den Segen der älterlichen Er- ziehung bringen. An Euch, Aeltern, die Ihr Euch getroffen fühlt, richte ich mein freundlich bittenden Worte. Bedenket, dass Ihr die Grundlage des ganzen künftigen Lebensglückes oder Unglückes Eurer Kinder in Euern Händen habet! In Eure Hände, nicht in fremde, hat Derjenige, welcher Euch durch Kindersegen beglückte, die heilige Verpflichtung gelegt, das Werk der Er- ziehung inwieweit nur irgend möglich zu übernehmen und so gut wie nur irgend möglich durchzuführen. Möget Ihr die höchste oder die niedrigste Stellung im Leben haben — gleichviel, voll- endet dieses Werk nach Kräften Selbst! Dann erst lasset Eure Kinder zu eigner Weiterbildung die Schule der Welt betreten. Ein leichtes Werk ist es freilich nicht, aber es ist Pflicht, heilige Pflicht. Dafür auch, wie es überhaupt mit allen Lebensgütern der Fall, je schwerer die Arbeit, je ernster die Aufgabe, desto beglückender der Lohn des Gelingens, und umgekehrt, desto bitterer die Strafe des verschuldeten Misslingens. Der Segen guter Erziehung wirkt fort von Generation zu Generation. Ein gut erzogenes Kind wird dereinst als Vater oder Mutter die gleichen Grundsätze auf seine Kinder anwenden und vererben. Dieses geistige Erbtheil ist ja das edelste von allen, das ein- zige unzerstörbare. Und endlich habt Ihr nicht bedacht, dass Euch durch das Ablehnen des Erziehungsgeschäftes, ausser der natürlichen Freude, welche jedes directe Selbstvollbringen des Guten schafft, auch noch ein anderer hoher Gewinn für Euch selbst entgeht? Ich meine den Gewinn an Selbstveredelung, ein Segen, der mit natürlicher Nothwendigkeit rückwirkend

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/33>, abgerufen am 29.03.2024.