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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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EINLEITUNG.
denselben in vier Theilen zusammenfassen, die durch die
wesentlichen Modificationen des erzieherischen Verfahrens je
nach den verschiedenen Entwickelungsstufen des Kindes von
einander abgegrenzt sind. Wir behandeln demgemäss im ersten
Theile: die Erziehung des Kindes während des ersten, im zwei-
ten
Theile: während des 2.--7., im dritten Theile: während
des 8.--16. Lebensjahres, und im vierten Theile: den Ueber-
gang zur Selbstständigkeit.

Nur eine Frage ist zuvor noch etwas näher zu erörtern,
nämlich diese:
Wo und von wem wird im Allgemeinen die
Erziehung am besten vollführt werden
?

Fast könnte diese Frage überflüssig erscheinen, da die
Antwort: von wem anders, als von den Aeltern, als eine so
natürliche, selbstverständliche der Frage auf dem Fusse folgt.
Und doch scheint in unserer Zeit gerade der umgekehrte Ge-
brauch immer mehr und mehr einzureissen. In gefährlicher,
die eigne Schwäche zu bemänteln suchender Selbsttäuschung
schieben die Aeltern fast die ganze Last, Verpflichtung, Ver-
antwortlichkeit der Erziehung erst den Lehrern zu, die doch
hauptsächlich für Unterricht zu sorgen haben, dagegen, beson-
ders in den Schulen, die Möglichkeit der Erziehung des Kör-
pers, des Charakters, des Gemüthes in einem auch nur noth-
dürftig ausreichendem Grade gar nicht mehr in den Händen
haben, obschon auch ihre unterstützende Mitwirkung zur Er-
ziehung unentbehrlich ist. Oder man entfernt die Kinder bald-
möglichst aus dem älterlichen Hause, um sie Pensionaten, Lehr-
und Erziehungsanstalten vollständig zu übergeben, in der Mei-
nung, so das Seinige gethan zu haben und, ungünstigen Falles,
wenigstens -- seine Hände in Unschuld waschen zu können.
Sagen wir es kurz: die älterliche Erziehung droht aus der
Mode zu kommen; auch in unserem deutschen Vaterlande,
welches doch den Ruhm der Innigkeit des Familienlebens sich
noch am meisten gewahrt hat. Wir meinen hier natürlich nicht
diejenigen Fälle, wo durch unvermeidliche Nothwendigkeit die
Erziehung den Händen der Aeltern entwunden wird, wie: lang-
wierige Krankheiten oder ausserhäussliches Berufsleben beider

EINLEITUNG.
denselben in vier Theilen zusammenfassen, die durch die
wesentlichen Modificationen des erzieherischen Verfahrens je
nach den verschiedenen Entwickelungsstufen des Kindes von
einander abgegrenzt sind. Wir behandeln demgemäss im ersten
Theile: die Erziehung des Kindes während des ersten, im zwei-
ten
Theile: während des 2.—7., im dritten Theile: während
des 8.—16. Lebensjahres, und im vierten Theile: den Ueber-
gang zur Selbstständigkeit.

Nur eine Frage ist zuvor noch etwas näher zu erörtern,
nämlich diese:
Wo und von wem wird im Allgemeinen die
Erziehung am besten vollführt werden
?

Fast könnte diese Frage überflüssig erscheinen, da die
Antwort: von wem anders, als von den Aeltern, als eine so
natürliche, selbstverständliche der Frage auf dem Fusse folgt.
Und doch scheint in unserer Zeit gerade der umgekehrte Ge-
brauch immer mehr und mehr einzureissen. In gefährlicher,
die eigne Schwäche zu bemänteln suchender Selbsttäuschung
schieben die Aeltern fast die ganze Last, Verpflichtung, Ver-
antwortlichkeit der Erziehung erst den Lehrern zu, die doch
hauptsächlich für Unterricht zu sorgen haben, dagegen, beson-
ders in den Schulen, die Möglichkeit der Erziehung des Kör-
pers, des Charakters, des Gemüthes in einem auch nur noth-
dürftig ausreichendem Grade gar nicht mehr in den Händen
haben, obschon auch ihre unterstützende Mitwirkung zur Er-
ziehung unentbehrlich ist. Oder man entfernt die Kinder bald-
möglichst aus dem älterlichen Hause, um sie Pensionaten, Lehr-
und Erziehungsanstalten vollständig zu übergeben, in der Mei-
nung, so das Seinige gethan zu haben und, ungünstigen Falles,
wenigstens — seine Hände in Unschuld waschen zu können.
Sagen wir es kurz: die älterliche Erziehung droht aus der
Mode zu kommen; auch in unserem deutschen Vaterlande,
welches doch den Ruhm der Innigkeit des Familienlebens sich
noch am meisten gewahrt hat. Wir meinen hier natürlich nicht
diejenigen Fälle, wo durch unvermeidliche Nothwendigkeit die
Erziehung den Händen der Aeltern entwunden wird, wie: lang-
wierige Krankheiten oder ausserhäussliches Berufsleben beider

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[28/0032] EINLEITUNG. denselben in vier Theilen zusammenfassen, die durch die wesentlichen Modificationen des erzieherischen Verfahrens je nach den verschiedenen Entwickelungsstufen des Kindes von einander abgegrenzt sind. Wir behandeln demgemäss im ersten Theile: die Erziehung des Kindes während des ersten, im zwei- ten Theile: während des 2.—7., im dritten Theile: während des 8.—16. Lebensjahres, und im vierten Theile: den Ueber- gang zur Selbstständigkeit. Nur eine Frage ist zuvor noch etwas näher zu erörtern, nämlich diese: Wo und von wem wird im Allgemeinen die Erziehung am besten vollführt werden? Fast könnte diese Frage überflüssig erscheinen, da die Antwort: von wem anders, als von den Aeltern, als eine so natürliche, selbstverständliche der Frage auf dem Fusse folgt. Und doch scheint in unserer Zeit gerade der umgekehrte Ge- brauch immer mehr und mehr einzureissen. In gefährlicher, die eigne Schwäche zu bemänteln suchender Selbsttäuschung schieben die Aeltern fast die ganze Last, Verpflichtung, Ver- antwortlichkeit der Erziehung erst den Lehrern zu, die doch hauptsächlich für Unterricht zu sorgen haben, dagegen, beson- ders in den Schulen, die Möglichkeit der Erziehung des Kör- pers, des Charakters, des Gemüthes in einem auch nur noth- dürftig ausreichendem Grade gar nicht mehr in den Händen haben, obschon auch ihre unterstützende Mitwirkung zur Er- ziehung unentbehrlich ist. Oder man entfernt die Kinder bald- möglichst aus dem älterlichen Hause, um sie Pensionaten, Lehr- und Erziehungsanstalten vollständig zu übergeben, in der Mei- nung, so das Seinige gethan zu haben und, ungünstigen Falles, wenigstens — seine Hände in Unschuld waschen zu können. Sagen wir es kurz: die älterliche Erziehung droht aus der Mode zu kommen; auch in unserem deutschen Vaterlande, welches doch den Ruhm der Innigkeit des Familienlebens sich noch am meisten gewahrt hat. Wir meinen hier natürlich nicht diejenigen Fälle, wo durch unvermeidliche Nothwendigkeit die Erziehung den Händen der Aeltern entwunden wird, wie: lang- wierige Krankheiten oder ausserhäussliches Berufsleben beider

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/32>, abgerufen am 24.04.2024.