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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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EINLEITUNG.
liche Urtypus besitzt in der Regel während der ersten Ent-
wickelungsperioden, und zwar je früher je mehr, einen so
hohen Grad schmiegsamer Gestaltbarkeit, dass den Aeltern
und Erziehern hinsichtlich des dereinstigen Gesammtausbildungs-
zustandes und somit der Grundlage des wahren Lebensglückes
ihrer Kinder offenbar viel, unendlich viel mehr in die Hände
gelegt ist, als es der gewöhnlichen Meinung scheinen will.



Fassen wir nun die oben summarisch angedeuteten phy-
sischen und moralischen Mängel und Gebrechen der Jetztwelt
in's Auge, so kann die möglichst gründliche Abhilfe derselben
selbstverständlich nirgends anders gesucht werden, als da, wo
der Mensch eben zum Menschen gebildet werden soll -- in
der Erziehung. Das Wesen und die wahre Bedeutung der-
selben wollen wir in den Hauptumrissen uns vergegenwärtigen.

Roh und unentwickelt tritt das Kind aus der Hand der
Natur in die Welt ein, aber reich begabt mit Keimen all-
seitiger Entwickelung. Diese Keime sind sowohl auf körper-

sein, wenn das Schliessen der Ehen, wenn auch vielleicht nicht in definitiv
abhängiger, aber doch berathender Weise, an ärztliche Begutachtung gebunden
würde. Eine solche würde durch ein die körperlichen und geistigen Gesund-
heitsverhältnisse beleuchtendes Zeugniss in jedem Falle sich darüber zu er-
klären haben, ob wichtige ärztliche Bedenken gegen die Schliessung der Ehe
vorhanden oder nicht, namentlich in Betreff des Altersverhältnisses, der
etwaigen Blutsverwandtschaft, erblicher Gebrechen und Krankheitsanlagen
der beiden Theile. Es müsste dabei als Grundsatz festgehalten werden, dass
in jeder zu schliessenden Ehe mindestens Eins von den beiden Gatten eine tadel-
freie, die Mängel des andern Theiles verbessernde Constitution besitze. Ob
und inwieweit eine derartige Maassregel praktisch durchführbar gemacht wer-
den könnte, muss allerdings weiterem Ermessen überlassen bleiben. Es sollte
dieser Gedanke hier nur andeutungsweise Platz finden. Sicherlich aber würden
dadurch wenigstens grobe Missgriffe und somit unendlich vieles angeborenes
Unglück verhütet werden. -- Was den Einfluss auf das Kind während der
Schwangerschaftsperiode betrifft, so ist dieser lediglich ein indirecter und auch
als solcher nicht von jener Entschiedenheit, wie ihn ein früherer Volkswahn
z. B. unter der Form des s. g. "Versehens" sich dachte. Der ganze förder-
liche Einfluss beschränkt sich hier darauf, dass die Mutter nach allgemeinen
Gesundheitsregeln ein möglichst ruhiges, heiteres und gedeihliches Leben zu
führen suchen muss.

EINLEITUNG.
liche Urtypus besitzt in der Regel während der ersten Ent-
wickelungsperioden, und zwar je früher je mehr, einen so
hohen Grad schmiegsamer Gestaltbarkeit, dass den Aeltern
und Erziehern hinsichtlich des dereinstigen Gesammtausbildungs-
zustandes und somit der Grundlage des wahren Lebensglückes
ihrer Kinder offenbar viel, unendlich viel mehr in die Hände
gelegt ist, als es der gewöhnlichen Meinung scheinen will.



Fassen wir nun die oben summarisch angedeuteten phy-
sischen und moralischen Mängel und Gebrechen der Jetztwelt
in's Auge, so kann die möglichst gründliche Abhilfe derselben
selbstverständlich nirgends anders gesucht werden, als da, wo
der Mensch eben zum Menschen gebildet werden soll — in
der Erziehung. Das Wesen und die wahre Bedeutung der-
selben wollen wir in den Hauptumrissen uns vergegenwärtigen.

Roh und unentwickelt tritt das Kind aus der Hand der
Natur in die Welt ein, aber reich begabt mit Keimen all-
seitiger Entwickelung. Diese Keime sind sowohl auf körper-

sein, wenn das Schliessen der Ehen, wenn auch vielleicht nicht in definitiv
abhängiger, aber doch berathender Weise, an ärztliche Begutachtung gebunden
würde. Eine solche würde durch ein die körperlichen und geistigen Gesund-
heitsverhältnisse beleuchtendes Zeugniss in jedem Falle sich darüber zu er-
klären haben, ob wichtige ärztliche Bedenken gegen die Schliessung der Ehe
vorhanden oder nicht, namentlich in Betreff des Altersverhältnisses, der
etwaigen Blutsverwandtschaft, erblicher Gebrechen und Krankheitsanlagen
der beiden Theile. Es müsste dabei als Grundsatz festgehalten werden, dass
in jeder zu schliessenden Ehe mindestens Eins von den beiden Gatten eine tadel-
freie, die Mängel des andern Theiles verbessernde Constitution besitze. Ob
und inwieweit eine derartige Maassregel praktisch durchführbar gemacht wer-
den könnte, muss allerdings weiterem Ermessen überlassen bleiben. Es sollte
dieser Gedanke hier nur andeutungsweise Platz finden. Sicherlich aber würden
dadurch wenigstens grobe Missgriffe und somit unendlich vieles angeborenes
Unglück verhütet werden. — Was den Einfluss auf das Kind während der
Schwangerschaftsperiode betrifft, so ist dieser lediglich ein indirecter und auch
als solcher nicht von jener Entschiedenheit, wie ihn ein früherer Volkswahn
z. B. unter der Form des s. g. „Versehens“ sich dachte. Der ganze förder-
liche Einfluss beschränkt sich hier darauf, dass die Mutter nach allgemeinen
Gesundheitsregeln ein möglichst ruhiges, heiteres und gedeihliches Leben zu
führen suchen muss.
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[22/0026] EINLEITUNG. liche Urtypus besitzt in der Regel während der ersten Ent- wickelungsperioden, und zwar je früher je mehr, einen so hohen Grad schmiegsamer Gestaltbarkeit, dass den Aeltern und Erziehern hinsichtlich des dereinstigen Gesammtausbildungs- zustandes und somit der Grundlage des wahren Lebensglückes ihrer Kinder offenbar viel, unendlich viel mehr in die Hände gelegt ist, als es der gewöhnlichen Meinung scheinen will. Fassen wir nun die oben summarisch angedeuteten phy- sischen und moralischen Mängel und Gebrechen der Jetztwelt in's Auge, so kann die möglichst gründliche Abhilfe derselben selbstverständlich nirgends anders gesucht werden, als da, wo der Mensch eben zum Menschen gebildet werden soll — in der Erziehung. Das Wesen und die wahre Bedeutung der- selben wollen wir in den Hauptumrissen uns vergegenwärtigen. Roh und unentwickelt tritt das Kind aus der Hand der Natur in die Welt ein, aber reich begabt mit Keimen all- seitiger Entwickelung. Diese Keime sind sowohl auf körper- *) *) sein, wenn das Schliessen der Ehen, wenn auch vielleicht nicht in definitiv abhängiger, aber doch berathender Weise, an ärztliche Begutachtung gebunden würde. Eine solche würde durch ein die körperlichen und geistigen Gesund- heitsverhältnisse beleuchtendes Zeugniss in jedem Falle sich darüber zu er- klären haben, ob wichtige ärztliche Bedenken gegen die Schliessung der Ehe vorhanden oder nicht, namentlich in Betreff des Altersverhältnisses, der etwaigen Blutsverwandtschaft, erblicher Gebrechen und Krankheitsanlagen der beiden Theile. Es müsste dabei als Grundsatz festgehalten werden, dass in jeder zu schliessenden Ehe mindestens Eins von den beiden Gatten eine tadel- freie, die Mängel des andern Theiles verbessernde Constitution besitze. Ob und inwieweit eine derartige Maassregel praktisch durchführbar gemacht wer- den könnte, muss allerdings weiterem Ermessen überlassen bleiben. Es sollte dieser Gedanke hier nur andeutungsweise Platz finden. Sicherlich aber würden dadurch wenigstens grobe Missgriffe und somit unendlich vieles angeborenes Unglück verhütet werden. — Was den Einfluss auf das Kind während der Schwangerschaftsperiode betrifft, so ist dieser lediglich ein indirecter und auch als solcher nicht von jener Entschiedenheit, wie ihn ein früherer Volkswahn z. B. unter der Form des s. g. „Versehens“ sich dachte. Der ganze förder- liche Einfluss beschränkt sich hier darauf, dass die Mutter nach allgemeinen Gesundheitsregeln ein möglichst ruhiges, heiteres und gedeihliches Leben zu führen suchen muss.

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/26>, abgerufen am 28.03.2024.