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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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VORWORT.
ten so innig mit einander verbunden und durch gegenseitige
Bedingungen und Wechselbeziehungen verwebt, dass jede nach
wahrer Erkenntniss strebende Betrachtung des Menschen von
der organischen Einheit seiner verschiedenen Erscheinungs-
seiten stets ausgehen muss.

Die allgemeine Aufgabe dieser Schrift musste demnach
darin bestehen: ein allseitiges Bild der dem Ideale der Mensch-
heit möglichst zustrebenden Erziehung in den wesentlichsten
Umrissen zu entwerfen, d. h. alle dem Endziele entsprechen-
den Hauptbedingungen und Hauptgrundsätze an dem Bilde
anschaulich zu machen. Die besondere Aufgabe aber, welche
dem Verfasser dieser Schrift vorschwebte und letzterer haupt-
sächlich die Entstehung gab, war die: die Wichtigkeit aller
der zahllosen erzieherischen Einzelnheiten, wie sie fortwährend
in den verschiedensten Gestaltungen an der Kinderwelt zu
Gegenständen nothwendiger Beachtung werden, insofern eben
an ihnen und durch sie erst die allgemeinen und obersten Er-
ziehungsgrundsätze zur Verwirklichung kommen können, her-
vorzuheben, und so das Specielle mit dem Allgemeinen des
Erziehungswesens in den zur Erreichung des Endzieles durch-
aus nothwendigen innigen Einklang zu bringen. Darin, dass
diese Einzelnheiten gewöhnlich als Unwesentlichkeiten betrach-
tet und daher zu wenig oder gar nicht beachtet werden, oder,
dass man die Harmonisirung derselben mit den allgemeinen
Grundsätzen nicht zu Stande zu bringen vermag, liegt offen-
bar der Hauptmangel des gegenwärtigen Erziehungswesens
und der Hauptgrund, dass die Erziehungsresultate im Ganzen
den als richtig allgemein anerkannten obersten Erziehungs-
grundsätzen nicht entsprechen.

Aber auch die Erziehungslehre leidet, trotz der Reichhal-
tigkeit und theilweisen Trefflichkeit ihrer Literatur, noch im-
mer an einigen bedeutungsvollen Lücken und Mängeln. Der
Grund davon dürfte wohl hauptsächlich darin zu suchen sein,
dass bei ihrer seitherigen Bearbeitung der Mensch in seiner
Doppelnatur nicht völlig gleichmässig als Ganzes erfasst
wurde, sondern, je nach dem verschiedenen Standpunkte der
Schriftsteller, bald vorwaltend von seiner physischen Seite --


VORWORT.
ten so innig mit einander verbunden und durch gegenseitige
Bedingungen und Wechselbeziehungen verwebt, dass jede nach
wahrer Erkenntniss strebende Betrachtung des Menschen von
der organischen Einheit seiner verschiedenen Erscheinungs-
seiten stets ausgehen muss.

Die allgemeine Aufgabe dieser Schrift musste demnach
darin bestehen: ein allseitiges Bild der dem Ideale der Mensch-
heit möglichst zustrebenden Erziehung in den wesentlichsten
Umrissen zu entwerfen, d. h. alle dem Endziele entsprechen-
den Hauptbedingungen und Hauptgrundsätze an dem Bilde
anschaulich zu machen. Die besondere Aufgabe aber, welche
dem Verfasser dieser Schrift vorschwebte und letzterer haupt-
sächlich die Entstehung gab, war die: die Wichtigkeit aller
der zahllosen erzieherischen Einzelnheiten, wie sie fortwährend
in den verschiedensten Gestaltungen an der Kinderwelt zu
Gegenständen nothwendiger Beachtung werden, insofern eben
an ihnen und durch sie erst die allgemeinen und obersten Er-
ziehungsgrundsätze zur Verwirklichung kommen können, her-
vorzuheben, und so das Specielle mit dem Allgemeinen des
Erziehungswesens in den zur Erreichung des Endzieles durch-
aus nothwendigen innigen Einklang zu bringen. Darin, dass
diese Einzelnheiten gewöhnlich als Unwesentlichkeiten betrach-
tet und daher zu wenig oder gar nicht beachtet werden, oder,
dass man die Harmonisirung derselben mit den allgemeinen
Grundsätzen nicht zu Stande zu bringen vermag, liegt offen-
bar der Hauptmangel des gegenwärtigen Erziehungswesens
und der Hauptgrund, dass die Erziehungsresultate im Ganzen
den als richtig allgemein anerkannten obersten Erziehungs-
grundsätzen nicht entsprechen.

Aber auch die Erziehungslehre leidet, trotz der Reichhal-
tigkeit und theilweisen Trefflichkeit ihrer Literatur, noch im-
mer an einigen bedeutungsvollen Lücken und Mängeln. Der
Grund davon dürfte wohl hauptsächlich darin zu suchen sein,
dass bei ihrer seitherigen Bearbeitung der Mensch in seiner
Doppelnatur nicht völlig gleichmässig als Ganzes erfasst
wurde, sondern, je nach dem verschiedenen Standpunkte der
Schriftsteller, bald vorwaltend von seiner physischen Seite —

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[VII/0011] VORWORT. ten so innig mit einander verbunden und durch gegenseitige Bedingungen und Wechselbeziehungen verwebt, dass jede nach wahrer Erkenntniss strebende Betrachtung des Menschen von der organischen Einheit seiner verschiedenen Erscheinungs- seiten stets ausgehen muss. Die allgemeine Aufgabe dieser Schrift musste demnach darin bestehen: ein allseitiges Bild der dem Ideale der Mensch- heit möglichst zustrebenden Erziehung in den wesentlichsten Umrissen zu entwerfen, d. h. alle dem Endziele entsprechen- den Hauptbedingungen und Hauptgrundsätze an dem Bilde anschaulich zu machen. Die besondere Aufgabe aber, welche dem Verfasser dieser Schrift vorschwebte und letzterer haupt- sächlich die Entstehung gab, war die: die Wichtigkeit aller der zahllosen erzieherischen Einzelnheiten, wie sie fortwährend in den verschiedensten Gestaltungen an der Kinderwelt zu Gegenständen nothwendiger Beachtung werden, insofern eben an ihnen und durch sie erst die allgemeinen und obersten Er- ziehungsgrundsätze zur Verwirklichung kommen können, her- vorzuheben, und so das Specielle mit dem Allgemeinen des Erziehungswesens in den zur Erreichung des Endzieles durch- aus nothwendigen innigen Einklang zu bringen. Darin, dass diese Einzelnheiten gewöhnlich als Unwesentlichkeiten betrach- tet und daher zu wenig oder gar nicht beachtet werden, oder, dass man die Harmonisirung derselben mit den allgemeinen Grundsätzen nicht zu Stande zu bringen vermag, liegt offen- bar der Hauptmangel des gegenwärtigen Erziehungswesens und der Hauptgrund, dass die Erziehungsresultate im Ganzen den als richtig allgemein anerkannten obersten Erziehungs- grundsätzen nicht entsprechen. Aber auch die Erziehungslehre leidet, trotz der Reichhal- tigkeit und theilweisen Trefflichkeit ihrer Literatur, noch im- mer an einigen bedeutungsvollen Lücken und Mängeln. Der Grund davon dürfte wohl hauptsächlich darin zu suchen sein, dass bei ihrer seitherigen Bearbeitung der Mensch in seiner Doppelnatur nicht völlig gleichmässig als Ganzes erfasst wurde, sondern, je nach dem verschiedenen Standpunkte der Schriftsteller, bald vorwaltend von seiner physischen Seite —

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/11>, abgerufen am 29.03.2024.