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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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es zu bewundern. Das Gedränge war groß und
die Kirche ward nie leer so lange das Bild offen blieb,
denn das Volk betrachtete es als einen Gegenstand
der Erbauung, es schauderte vor dem Anblick der
Hölle, und gewiß sind von sonst rohen Gemüthern
vor diesem Bilde manche gute Entschlüsse gefaßt
worden, die der strengste Bußprediger nicht hätte
erwecken können. Übrigens konnte man das Bild
sich aufschließen lassen wann man wollte; es war die
erste Merkwürdigkeit, welche jeder Einwohner aus
den gebildeten Ständen seinen fremden Gästen zu
zeigen sich bestrebte. Hausgenossen und Vorüber-
gehende drängten sich dann freudig hinzu, ich habe
bei solchen Gelegenheiten es als Kind unzähligemal
gesehen und darf wohl sagen daß vor diesem
Bilde das erste Gefühl für die Kunst in meiner
Seele erwachte. Jtzt steht es in einer Seitenkapelle
der Kirche, doch vergehen wenige Tage im Jahr,
an denen es nicht auf Fremder oder Einheimischer
Begehren gezeigt wird. Das Bild selbst besteht
aus einem Mittelbilde und zwei Flügel-Bildern.
Auf einem großen glänzenden Regenbogen, dessen


es zu bewundern. Das Gedränge war groß und
die Kirche ward nie leer ſo lange das Bild offen blieb,
denn das Volk betrachtete es als einen Gegenſtand
der Erbauung, es ſchauderte vor dem Anblick der
Hölle, und gewiß ſind von ſonſt rohen Gemüthern
vor dieſem Bilde manche gute Entſchlüſſe gefaßt
worden, die der ſtrengſte Bußprediger nicht hätte
erwecken können. Übrigens konnte man das Bild
ſich aufſchließen laſſen wann man wollte; es war die
erſte Merkwürdigkeit, welche jeder Einwohner aus
den gebildeten Ständen ſeinen fremden Gäſten zu
zeigen ſich beſtrebte. Hausgenoſſen und Vorüber-
gehende drängten ſich dann freudig hinzu, ich habe
bei ſolchen Gelegenheiten es als Kind unzähligemal
geſehen und darf wohl ſagen daß vor dieſem
Bilde das erſte Gefühl für die Kunſt in meiner
Seele erwachte. Jtzt ſteht es in einer Seitenkapelle
der Kirche, doch vergehen wenige Tage im Jahr,
an denen es nicht auf Fremder oder Einheimiſcher
Begehren gezeigt wird. Das Bild ſelbſt beſteht
aus einem Mittelbilde und zwei Flügel-Bildern.
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[84/0096] es zu bewundern. Das Gedränge war groß und die Kirche ward nie leer ſo lange das Bild offen blieb, denn das Volk betrachtete es als einen Gegenſtand der Erbauung, es ſchauderte vor dem Anblick der Hölle, und gewiß ſind von ſonſt rohen Gemüthern vor dieſem Bilde manche gute Entſchlüſſe gefaßt worden, die der ſtrengſte Bußprediger nicht hätte erwecken können. Übrigens konnte man das Bild ſich aufſchließen laſſen wann man wollte; es war die erſte Merkwürdigkeit, welche jeder Einwohner aus den gebildeten Ständen ſeinen fremden Gäſten zu zeigen ſich beſtrebte. Hausgenoſſen und Vorüber- gehende drängten ſich dann freudig hinzu, ich habe bei ſolchen Gelegenheiten es als Kind unzähligemal geſehen und darf wohl ſagen daß vor dieſem Bilde das erſte Gefühl für die Kunſt in meiner Seele erwachte. Jtzt ſteht es in einer Seitenkapelle der Kirche, doch vergehen wenige Tage im Jahr, an denen es nicht auf Fremder oder Einheimiſcher Begehren gezeigt wird. Das Bild ſelbſt beſteht aus einem Mittelbilde und zwei Flügel-Bildern. Auf einem großen glänzenden Regenbogen, deſſen

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/96>, abgerufen am 24.04.2024.