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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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und da dieser Fürst im Jahr 1433 geboren ward,
so muß daher das Bild nothwendig um 1458 oder
1460 in der letzten vollendetsten Zeit Johann
van Eycks gemalt worden seyn. War dieser, wie
Alles uns bestimmt zu glauben, ungefähr fünf und
zwanzig Jahre jünger als sein im Jahr 1366 gebor-
ner Bruder, so fällt die Vollendung dieses Meister-
werks zwischen sein sieben und sechzigstes und neun
und sechzigstes Jahr. Daß der Künstler so spät
noch so Hohes vermochte, darf uns nicht befremden.
Jn unsern Tagen übereilt das Alter die Jugend,
in den seinigen war es umgekehrt. An Thatkraft,
Geist und Lebensfrische stets junge wenn gleich
hochbejahrte Greise waren damals eben so wenig
selten, als jezt im Frühling des Lebens schon
lebensmüde, altkluge, um das Glück ihrer künftigen
Enkel ängstlich besorgte Greise im Jugendalter.

Überdem war von jeher die Natur den Künst-
lern, insonderheit den Malern, hold und günstig;
sie ließ sie mit ungeschwächten Sinnen lange leben
auf Erden. Die Kunstgeschichte liefert davon un-


und da dieſer Fürſt im Jahr 1433 geboren ward,
ſo muß daher das Bild nothwendig um 1458 oder
1460 in der letzten vollendetſten Zeit Johann
van Eycks gemalt worden ſeyn. War dieſer, wie
Alles uns beſtimmt zu glauben, ungefähr fünf und
zwanzig Jahre jünger als ſein im Jahr 1366 gebor-
ner Bruder, ſo fällt die Vollendung dieſes Meiſter-
werks zwiſchen ſein ſieben und ſechzigſtes und neun
und ſechzigſtes Jahr. Daß der Künſtler ſo ſpät
noch ſo Hohes vermochte, darf uns nicht befremden.
Jn unſern Tagen übereilt das Alter die Jugend,
in den ſeinigen war es umgekehrt. An Thatkraft,
Geiſt und Lebensfriſche ſtets junge wenn gleich
hochbejahrte Greiſe waren damals eben ſo wenig
ſelten, als jezt im Frühling des Lebens ſchon
lebensmüde, altkluge, um das Glück ihrer künftigen
Enkel ängſtlich beſorgte Greiſe im Jugendalter.

Überdem war von jeher die Natur den Künſt-
lern, inſonderheit den Malern, hold und günſtig;
ſie ließ ſie mit ungeſchwächten Sinnen lange leben
auf Erden. Die Kunſtgeſchichte liefert davon un-

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[43/0055] und da dieſer Fürſt im Jahr 1433 geboren ward, ſo muß daher das Bild nothwendig um 1458 oder 1460 in der letzten vollendetſten Zeit Johann van Eycks gemalt worden ſeyn. War dieſer, wie Alles uns beſtimmt zu glauben, ungefähr fünf und zwanzig Jahre jünger als ſein im Jahr 1366 gebor- ner Bruder, ſo fällt die Vollendung dieſes Meiſter- werks zwiſchen ſein ſieben und ſechzigſtes und neun und ſechzigſtes Jahr. Daß der Künſtler ſo ſpät noch ſo Hohes vermochte, darf uns nicht befremden. Jn unſern Tagen übereilt das Alter die Jugend, in den ſeinigen war es umgekehrt. An Thatkraft, Geiſt und Lebensfriſche ſtets junge wenn gleich hochbejahrte Greiſe waren damals eben ſo wenig ſelten, als jezt im Frühling des Lebens ſchon lebensmüde, altkluge, um das Glück ihrer künftigen Enkel ängſtlich beſorgte Greiſe im Jugendalter. Überdem war von jeher die Natur den Künſt- lern, inſonderheit den Malern, hold und günſtig; ſie ließ ſie mit ungeſchwächten Sinnen lange leben auf Erden. Die Kunſtgeſchichte liefert davon un-

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/55>, abgerufen am 29.03.2024.