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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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eine Spur ängstlicher Steifheit oder manirirter
Unnatur zu erblicken. Jn seinen Gewändern, weit
und faltenreich, nach der damaligen Art, finden
sich nirgend kleinlich gebrochne oder überflüssige
Falten, jede derselben ist motivirt, durch die
Stellung des Körpers, durch Wurf oder Schwere
des Gewandes selbst. Sammt, Leinen, Wolle
oder Seide erscheinen in allen ihren Eigenheiten;
Gold, Perlen und Edelsteine, welche er gerne
anbringt, strahlen in unglaublichem Glanz, ohne
alle Anwendung wirklicher Metalle.

Ohne Spur von Nachahmung der Antike, welche
er nicht kannte, oder des Strebens nach dem ab-
strakten Jdeal, welches diesem Sohne der Natur
nie in den Sinn kommen konnte, bildete Johannes
van Eyck seine Köpfe nur nach seinen Zeitgenossen
in der ihn umgebenden Welt. Doch Unedles oder
Gemeines stand mit diesem hohen reinen Geiste in
offenbarem Widerspruch, es durfte ihm nicht nahen,
und die ganze Natur zeigte sich ihrem begünstigten
Liebling stets im verklärten Licht. Daher sind auch
bei aller nur erdenklicher Wahrheit, seine Köpfe


eine Spur ängſtlicher Steifheit oder manirirter
Unnatur zu erblicken. Jn ſeinen Gewändern, weit
und faltenreich, nach der damaligen Art, finden
ſich nirgend kleinlich gebrochne oder überflüſſige
Falten, jede derſelben iſt motivirt, durch die
Stellung des Körpers, durch Wurf oder Schwere
des Gewandes ſelbſt. Sammt, Leinen, Wolle
oder Seide erſcheinen in allen ihren Eigenheiten;
Gold, Perlen und Edelſteine, welche er gerne
anbringt, ſtrahlen in unglaublichem Glanz, ohne
alle Anwendung wirklicher Metalle.

Ohne Spur von Nachahmung der Antike, welche
er nicht kannte, oder des Strebens nach dem ab-
ſtrakten Jdeal, welches dieſem Sohne der Natur
nie in den Sinn kommen konnte, bildete Johannes
van Eyck ſeine Köpfe nur nach ſeinen Zeitgenoſſen
in der ihn umgebenden Welt. Doch Unedles oder
Gemeines ſtand mit dieſem hohen reinen Geiſte in
offenbarem Widerſpruch, es durfte ihm nicht nahen,
und die ganze Natur zeigte ſich ihrem begünſtigten
Liebling ſtets im verklärten Licht. Daher ſind auch
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[29/0041] eine Spur ängſtlicher Steifheit oder manirirter Unnatur zu erblicken. Jn ſeinen Gewändern, weit und faltenreich, nach der damaligen Art, finden ſich nirgend kleinlich gebrochne oder überflüſſige Falten, jede derſelben iſt motivirt, durch die Stellung des Körpers, durch Wurf oder Schwere des Gewandes ſelbſt. Sammt, Leinen, Wolle oder Seide erſcheinen in allen ihren Eigenheiten; Gold, Perlen und Edelſteine, welche er gerne anbringt, ſtrahlen in unglaublichem Glanz, ohne alle Anwendung wirklicher Metalle. Ohne Spur von Nachahmung der Antike, welche er nicht kannte, oder des Strebens nach dem ab- ſtrakten Jdeal, welches dieſem Sohne der Natur nie in den Sinn kommen konnte, bildete Johannes van Eyck ſeine Köpfe nur nach ſeinen Zeitgenoſſen in der ihn umgebenden Welt. Doch Unedles oder Gemeines ſtand mit dieſem hohen reinen Geiſte in offenbarem Widerſpruch, es durfte ihm nicht nahen, und die ganze Natur zeigte ſich ihrem begünſtigten Liebling ſtets im verklärten Licht. Daher ſind auch bei aller nur erdenklicher Wahrheit, ſeine Köpfe

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/41>, abgerufen am 29.03.2024.