Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite


denen das Mittelbild fehlt, bildeten mit diesem
wahrscheinlich einen auf das Abendmahl Bezug haben-
den Zyklus. Auf dem ersten derselben erblicken
wir den Patriarchen Abraham, stolz und kühn tritt
er an der Spitze seines Haushalts dem Könige Mel-
chisedeck entgegen; Kinder und Kindeskinder, ein
unabsehbarer Zug, bilden zu Roß und Wagen sein
Gefolge, einer seiner Söhne, reich gewapnet, steht
neben ihm. Abraham, noch in kräftigem Mannes-
alter, mit braunem Haar und schönem Bart, in
reicher kriegerischer Tracht, berührt nur mit der
Hand den helmartigen Kopfschmuck, um den König
zu begrüßen, der, glänzend in orientalischer Pracht,
vor dem frommen Helden das Knie beugt, indem
er ihm zum Pfande freundlicher Gesinnungen Brod
und Wein entgegen bringt. Die zweite Tafel zeigt
uns den die Jsraeliten vom Hungertode errettenden
Manna-Regen, doch scheint der Meister mit poeti-
schem Geist dieses Wunder mehr symbolisch ergriffen
zu haben; denn nirgend auf diesem Bilde ist eine
Spur von einer durch wirklichen Mangel erzeugten
Begier zu erblicken, nirgend drängt und stößt sich


denen das Mittelbild fehlt, bildeten mit dieſem
wahrſcheinlich einen auf das Abendmahl Bezug haben-
den Zyklus. Auf dem erſten derſelben erblicken
wir den Patriarchen Abraham, ſtolz und kühn tritt
er an der Spitze ſeines Haushalts dem Könige Mel-
chiſedeck entgegen; Kinder und Kindeskinder, ein
unabſehbarer Zug, bilden zu Roß und Wagen ſein
Gefolge, einer ſeiner Söhne, reich gewapnet, ſteht
neben ihm. Abraham, noch in kräftigem Mannes-
alter, mit braunem Haar und ſchönem Bart, in
reicher kriegeriſcher Tracht, berührt nur mit der
Hand den helmartigen Kopfſchmuck, um den König
zu begrüßen, der, glänzend in orientaliſcher Pracht,
vor dem frommen Helden das Knie beugt, indem
er ihm zum Pfande freundlicher Geſinnungen Brod
und Wein entgegen bringt. Die zweite Tafel zeigt
uns den die Jſraeliten vom Hungertode errettenden
Manna-Regen, doch ſcheint der Meiſter mit poeti-
ſchem Geiſt dieſes Wunder mehr ſymboliſch ergriffen
zu haben; denn nirgend auf dieſem Bilde iſt eine
Spur von einer durch wirklichen Mangel erzeugten
Begier zu erblicken, nirgend drängt und ſtößt ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0188" n="176"/><lb/>
denen das Mittelbild fehlt, bildeten mit die&#x017F;em<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich einen auf das Abendmahl Bezug haben-<lb/>
den Zyklus. Auf dem er&#x017F;ten der&#x017F;elben erblicken<lb/>
wir den Patriarchen Abraham, &#x017F;tolz und kühn tritt<lb/>
er an der Spitze &#x017F;eines Haushalts dem Könige Mel-<lb/>
chi&#x017F;edeck entgegen; Kinder und Kindeskinder, ein<lb/>
unab&#x017F;ehbarer Zug, bilden zu Roß und Wagen &#x017F;ein<lb/>
Gefolge, einer &#x017F;einer Söhne, reich gewapnet, &#x017F;teht<lb/>
neben ihm. Abraham, noch in kräftigem Mannes-<lb/>
alter, mit braunem Haar und &#x017F;chönem Bart, in<lb/>
reicher kriegeri&#x017F;cher Tracht, berührt nur mit der<lb/>
Hand den helmartigen Kopf&#x017F;chmuck, um den König<lb/>
zu begrüßen, der, glänzend in orientali&#x017F;cher Pracht,<lb/>
vor dem frommen Helden das Knie beugt, indem<lb/>
er ihm zum Pfande freundlicher Ge&#x017F;innungen Brod<lb/>
und Wein entgegen bringt. Die zweite Tafel zeigt<lb/>
uns den die J&#x017F;raeliten vom Hungertode errettenden<lb/>
Manna-Regen, doch &#x017F;cheint der Mei&#x017F;ter mit poeti-<lb/>
&#x017F;chem Gei&#x017F;t die&#x017F;es Wunder mehr &#x017F;ymboli&#x017F;ch ergriffen<lb/>
zu haben; denn nirgend auf die&#x017F;em Bilde i&#x017F;t eine<lb/>
Spur von einer durch wirklichen Mangel erzeugten<lb/>
Begier zu erblicken, nirgend drängt und &#x017F;tößt &#x017F;ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0188] denen das Mittelbild fehlt, bildeten mit dieſem wahrſcheinlich einen auf das Abendmahl Bezug haben- den Zyklus. Auf dem erſten derſelben erblicken wir den Patriarchen Abraham, ſtolz und kühn tritt er an der Spitze ſeines Haushalts dem Könige Mel- chiſedeck entgegen; Kinder und Kindeskinder, ein unabſehbarer Zug, bilden zu Roß und Wagen ſein Gefolge, einer ſeiner Söhne, reich gewapnet, ſteht neben ihm. Abraham, noch in kräftigem Mannes- alter, mit braunem Haar und ſchönem Bart, in reicher kriegeriſcher Tracht, berührt nur mit der Hand den helmartigen Kopfſchmuck, um den König zu begrüßen, der, glänzend in orientaliſcher Pracht, vor dem frommen Helden das Knie beugt, indem er ihm zum Pfande freundlicher Geſinnungen Brod und Wein entgegen bringt. Die zweite Tafel zeigt uns den die Jſraeliten vom Hungertode errettenden Manna-Regen, doch ſcheint der Meiſter mit poeti- ſchem Geiſt dieſes Wunder mehr ſymboliſch ergriffen zu haben; denn nirgend auf dieſem Bilde iſt eine Spur von einer durch wirklichen Mangel erzeugten Begier zu erblicken, nirgend drängt und ſtößt ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/188
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/188>, abgerufen am 23.04.2024.