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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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tikel für das Handwörterbuch der Staatswissenschaften gedacht und
erschien als solcher 1893. In dem Sammelband "Grundfragen der
Sozialpolitik und der Volkswirtschaftslehre" (1898) wurde sie erneut
abgedruckt. Für die dritte Auflage des Handwörterbuchs wurde 1910
der Artikel einer Neubearbeitung unterzogen. Schmoller war, wie er in
einer Vorbemerkung zu dieser neuen Ausgabe schreibt, sich bewußt, er
werde zwar in diesen methodologischen Erörterungen seine Gegner nicht
befriedigen, ja zu weiterem Widerspruch veranlassen. "Andererseits reizte
mich die Neubearbeitung doch sehr, weil ich ein starkes Bedürfnis fühlte,
so am Ende meiner Tage gleichsam ein methodologisches Vermächtnis der
Zukunft zu übergeben, auf der einen Seite festzustellen, wieweit ich an
den Anschauungen von 1890 festhalte, wieweit ich in der seitherigen
Literatur einen Fortschritt, wieweit ich und andere darin Irrtum und
Einseitigkeit oder Übertreibung an sich berechtigter Tendenzen sehen."
Vergleicht man die beiden Artikel miteinander, dann wird man fest-
stellen, daß es sich bei der zweiten Ausgabe nicht um eine ganz neue
Fassung, sondern um eine Ergänzung der alten handelt. Der alte Text
bleibt so gut wie unverändert stehen, die neuen Betrachtungen werden
eingeschoben oder einzelnen Abschnitten angehängt. Beschränken sich
die gemachten Zusätze im allgemeinen auf mehr oder weniger kürzere
Erörterungen, so wurde der ursprüngliche Abschnitt VI "Die Systeme
oder allgemeinen Theorien über Staat, Recht und Volkswirtschaft" zu
einem 30 Spalten langen Abriß der Dogmengeschichte ausgebaut.

Bei unsrer Edition sind wir so vorgangen, daß wir die zusätzlichen
Auseinandersetzungen an den Stellen, wo sie gemacht wurden, in der
Form von Anmerkungen dem Text von 1890 angefügt haben. Nur auf
die Wiedergabe des dogmengeschichtlichen Abriß glaubten wir verzich-
ten zu können, weil er, nachdem seit seiner Niederschrift mehr als ein
Menschenalter vergangen ist, in manchen Punkten dem heutigen Leser
als antiquiert erscheinen muß.

Im allgemeinen wird man sagen können, daß Schmoller an seinen
1890 vorgetragenen Anschauungen 1910 festgehalten hat. Sie werden
durch die späteren Zusätze eher bestätigt als widerlegt. Nur in einem,
wie man erkennen wird, für ihn wesentlichen Punkte glaubt Schmol-
ler seine frühere Ansicht berichtigen zu müssen: in der Frage über die
Berechtigung des ethischen Werturteils in der Nationalökonomie. Hatte
er 1890 gefordert, so schreibt er 1910, die wissenschaftlichen Unter-
suchungen auf dem Boden strengerer Methoden möglichst auf das Sein
zu beschränken, so müsse er jetzt mit Marshall hinzusetzen: from the
"Sein" we have to learn "das Werden". In einer ausführlichen Aus-
einandersetzung mit Max Weber und Sombart als den Wortführern der
"wertfreien Volkswirtschaftslehre" wird dieser Standpunkt begründet.
(Vergl. Anm.)

tikel für das Handwörterbuch der Staatswissenschaften gedacht und
erschien als solcher 1893. In dem Sammelband „Grundfragen der
Sozialpolitik und der Volkswirtschaftslehre“ (1898) wurde sie erneut
abgedruckt. Für die dritte Auflage des Handwörterbuchs wurde 1910
der Artikel einer Neubearbeitung unterzogen. Schmoller war, wie er in
einer Vorbemerkung zu dieser neuen Ausgabe schreibt, sich bewußt, er
werde zwar in diesen methodologischen Erörterungen seine Gegner nicht
befriedigen, ja zu weiterem Widerspruch veranlassen. „Andererseits reizte
mich die Neubearbeitung doch sehr, weil ich ein starkes Bedürfnis fühlte,
so am Ende meiner Tage gleichsam ein methodologisches Vermächtnis der
Zukunft zu übergeben, auf der einen Seite festzustellen, wieweit ich an
den Anschauungen von 1890 festhalte, wieweit ich in der seitherigen
Literatur einen Fortschritt, wieweit ich und andere darin Irrtum und
Einseitigkeit oder Übertreibung an sich berechtigter Tendenzen sehen.“
Vergleicht man die beiden Artikel miteinander, dann wird man fest-
stellen, daß es sich bei der zweiten Ausgabe nicht um eine ganz neue
Fassung, sondern um eine Ergänzung der alten handelt. Der alte Text
bleibt so gut wie unverändert stehen, die neuen Betrachtungen werden
eingeschoben oder einzelnen Abschnitten angehängt. Beschränken sich
die gemachten Zusätze im allgemeinen auf mehr oder weniger kürzere
Erörterungen, so wurde der ursprüngliche Abschnitt VI „Die Systeme
oder allgemeinen Theorien über Staat, Recht und Volkswirtschaft“ zu
einem 30 Spalten langen Abriß der Dogmengeschichte ausgebaut.

Bei unsrer Edition sind wir so vorgangen, daß wir die zusätzlichen
Auseinandersetzungen an den Stellen, wo sie gemacht wurden, in der
Form von Anmerkungen dem Text von 1890 angefügt haben. Nur auf
die Wiedergabe des dogmengeschichtlichen Abriß glaubten wir verzich-
ten zu können, weil er, nachdem seit seiner Niederschrift mehr als ein
Menschenalter vergangen ist, in manchen Punkten dem heutigen Leser
als antiquiert erscheinen muß.

Im allgemeinen wird man sagen können, daß Schmoller an seinen
1890 vorgetragenen Anschauungen 1910 festgehalten hat. Sie werden
durch die späteren Zusätze eher bestätigt als widerlegt. Nur in einem,
wie man erkennen wird, für ihn wesentlichen Punkte glaubt Schmol-
ler seine frühere Ansicht berichtigen zu müssen: in der Frage über die
Berechtigung des ethischen Werturteils in der Nationalökonomie. Hatte
er 1890 gefordert, so schreibt er 1910, die wissenschaftlichen Unter-
suchungen auf dem Boden strengerer Methoden möglichst auf das Sein
zu beschränken, so müsse er jetzt mit Marshall hinzusetzen: from the
”Sein“ we have to learn ”das Werden“. In einer ausführlichen Aus-
einandersetzung mit Max Weber und Sombart als den Wortführern der
„wertfreien Volkswirtschaftslehre“ wird dieser Standpunkt begründet.
(Vergl. Anm.)

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[5/0009] tikel für das Handwörterbuch der Staatswissenschaften gedacht und erschien als solcher 1893. In dem Sammelband „Grundfragen der Sozialpolitik und der Volkswirtschaftslehre“ (1898) wurde sie erneut abgedruckt. Für die dritte Auflage des Handwörterbuchs wurde 1910 der Artikel einer Neubearbeitung unterzogen. Schmoller war, wie er in einer Vorbemerkung zu dieser neuen Ausgabe schreibt, sich bewußt, er werde zwar in diesen methodologischen Erörterungen seine Gegner nicht befriedigen, ja zu weiterem Widerspruch veranlassen. „Andererseits reizte mich die Neubearbeitung doch sehr, weil ich ein starkes Bedürfnis fühlte, so am Ende meiner Tage gleichsam ein methodologisches Vermächtnis der Zukunft zu übergeben, auf der einen Seite festzustellen, wieweit ich an den Anschauungen von 1890 festhalte, wieweit ich in der seitherigen Literatur einen Fortschritt, wieweit ich und andere darin Irrtum und Einseitigkeit oder Übertreibung an sich berechtigter Tendenzen sehen.“ Vergleicht man die beiden Artikel miteinander, dann wird man fest- stellen, daß es sich bei der zweiten Ausgabe nicht um eine ganz neue Fassung, sondern um eine Ergänzung der alten handelt. Der alte Text bleibt so gut wie unverändert stehen, die neuen Betrachtungen werden eingeschoben oder einzelnen Abschnitten angehängt. Beschränken sich die gemachten Zusätze im allgemeinen auf mehr oder weniger kürzere Erörterungen, so wurde der ursprüngliche Abschnitt VI „Die Systeme oder allgemeinen Theorien über Staat, Recht und Volkswirtschaft“ zu einem 30 Spalten langen Abriß der Dogmengeschichte ausgebaut. Bei unsrer Edition sind wir so vorgangen, daß wir die zusätzlichen Auseinandersetzungen an den Stellen, wo sie gemacht wurden, in der Form von Anmerkungen dem Text von 1890 angefügt haben. Nur auf die Wiedergabe des dogmengeschichtlichen Abriß glaubten wir verzich- ten zu können, weil er, nachdem seit seiner Niederschrift mehr als ein Menschenalter vergangen ist, in manchen Punkten dem heutigen Leser als antiquiert erscheinen muß. Im allgemeinen wird man sagen können, daß Schmoller an seinen 1890 vorgetragenen Anschauungen 1910 festgehalten hat. Sie werden durch die späteren Zusätze eher bestätigt als widerlegt. Nur in einem, wie man erkennen wird, für ihn wesentlichen Punkte glaubt Schmol- ler seine frühere Ansicht berichtigen zu müssen: in der Frage über die Berechtigung des ethischen Werturteils in der Nationalökonomie. Hatte er 1890 gefordert, so schreibt er 1910, die wissenschaftlichen Unter- suchungen auf dem Boden strengerer Methoden möglichst auf das Sein zu beschränken, so müsse er jetzt mit Marshall hinzusetzen: from the ”Sein“ we have to learn ”das Werden“. In einer ausführlichen Aus- einandersetzung mit Max Weber und Sombart als den Wortführern der „wertfreien Volkswirtschaftslehre“ wird dieser Standpunkt begründet. (Vergl. Anm.)

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/9>, abgerufen am 25.04.2024.