Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

damals mit der rasch emporstrebenden Industriewirtschaft in Deutsch-
land entwickelt hatten.

Was half es, wenn Prince-Smith, der Bannerträger des deutschen wissen-
schaftlichen Liberalismus, das Vorhandensein einer "sogenannten Ar-
beiterfrage" leugnete und es für widersinnig hielt, daß die soziale
Frage, "wenn man annehme, es gebe eine solche Frage, durch irgend
etwas anderes als den natürlichen Lauf der Dinge" gelöst werden
könne?

Es kann hier nicht darauf eingegangen werden, wie sich demgegenüber
Schmoller, eben erst in Halle angekommen, zum Wortführer einer
entschlossenen Sozialpolitik machte, und wie es dann zur Gründung
des Vereins für Sozialpolitik kam, dessen Gründungsversammlung im
Oktober 1872 von Schmoller mit seiner berühmten Eisenacher Rede
eröffnet wurde.

Er war jetzt, 34 Jahre alt, in die erste Reihe der deutschen National-
ökonomen gerückt. Wiederhsolt war seine Berufung nach Berlin er-
wogen worden, doch ehe es im Jahre 1882 wirklich dazu kam, wirkte
er noch 10 Jahre lang an der wieder deutsch gewordenen Universität
Straßburg. Die in Straßburg verbrachten Jahre gehören zu den schön-
sten und mit zu den wissenschaftlich produktivsten seines Lebens. Schon
in Halle hatten sich die Hauptlinien abgezeichnet, auf denen sich seine
Forschungen bewegen sollten und die hier in Straßburg und später in
Berlin weiter verfolgt wurden. Es waren drei Hauptgebiete: 1. die so-
ziale Frage, 2. die historisch-realistische Einzelforschung auf den ver-
schiedensten Gebieten der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung
und 3. die Methodenlehre zur Begründung und Schaffung einer neuen
nationalökonomischen Doktrin.

Die von uns wiedergegebene Abhandlung gehört in das dritte Arbeits-
gebiet. Schon ehe er nach Halle kam, hatte Schmoller im Anschluß
an seine von der Tübinger wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät preis-
gekrönte Dissertation, die die zur Zeit der Reformation herrschenden
nationalökonomischen Ansichten zum Gegenstande hatte, geplant, ein
Buch über die Ethik und Methodologie in ihrem Verhältnis zur Na-
tionalökonomie zu schreiben. Von den Vorarbeiten hierzu sind nur we-
nige Stücke wie die über Schillers ethischen und kulturgeschichtlichen
Standpunkt und eine Studie über Johann Gottlieb Fichte später ge-
druckt und zusammen mit andern hierher gehörenden Studien über
Friedrich List, Carey, Lorenz v. Stein, Roscher, Knies, Schäffle, Hen-
ry George, Hertzka, Menger, Dilthey in dem Sammelband "Zur Lite-
raturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften" (1888) veröf-
fentlicht worden. Im Jahre 1890 schrieb er dann die erste zusammen-
fassende Darstellung einer nationalökonomischen Ideenlehre und Me-
thodologie, eben jene von uns gebrachte Abhandlung. Sie war als Ar-

damals mit der rasch emporstrebenden Industriewirtschaft in Deutsch-
land entwickelt hatten.

Was half es, wenn Prince-Smith, der Bannerträger des deutschen wissen-
schaftlichen Liberalismus, das Vorhandensein einer „sogenannten Ar-
beiterfrage“ leugnete und es für widersinnig hielt, daß die soziale
Frage, „wenn man annehme, es gebe eine solche Frage, durch irgend
etwas anderes als den natürlichen Lauf der Dinge“ gelöst werden
könne?

Es kann hier nicht darauf eingegangen werden, wie sich demgegenüber
Schmoller, eben erst in Halle angekommen, zum Wortführer einer
entschlossenen Sozialpolitik machte, und wie es dann zur Gründung
des Vereins für Sozialpolitik kam, dessen Gründungsversammlung im
Oktober 1872 von Schmoller mit seiner berühmten Eisenacher Rede
eröffnet wurde.

Er war jetzt, 34 Jahre alt, in die erste Reihe der deutschen National-
ökonomen gerückt. Wiederhsolt war seine Berufung nach Berlin er-
wogen worden, doch ehe es im Jahre 1882 wirklich dazu kam, wirkte
er noch 10 Jahre lang an der wieder deutsch gewordenen Universität
Straßburg. Die in Straßburg verbrachten Jahre gehören zu den schön-
sten und mit zu den wissenschaftlich produktivsten seines Lebens. Schon
in Halle hatten sich die Hauptlinien abgezeichnet, auf denen sich seine
Forschungen bewegen sollten und die hier in Straßburg und später in
Berlin weiter verfolgt wurden. Es waren drei Hauptgebiete: 1. die so-
ziale Frage, 2. die historisch-realistische Einzelforschung auf den ver-
schiedensten Gebieten der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung
und 3. die Methodenlehre zur Begründung und Schaffung einer neuen
nationalökonomischen Doktrin.

Die von uns wiedergegebene Abhandlung gehört in das dritte Arbeits-
gebiet. Schon ehe er nach Halle kam, hatte Schmoller im Anschluß
an seine von der Tübinger wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät preis-
gekrönte Dissertation, die die zur Zeit der Reformation herrschenden
nationalökonomischen Ansichten zum Gegenstande hatte, geplant, ein
Buch über die Ethik und Methodologie in ihrem Verhältnis zur Na-
tionalökonomie zu schreiben. Von den Vorarbeiten hierzu sind nur we-
nige Stücke wie die über Schillers ethischen und kulturgeschichtlichen
Standpunkt und eine Studie über Johann Gottlieb Fichte später ge-
druckt und zusammen mit andern hierher gehörenden Studien über
Friedrich List, Carey, Lorenz v. Stein, Roscher, Knies, Schäffle, Hen-
ry George, Hertzka, Menger, Dilthey in dem Sammelband „Zur Lite-
raturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften“ (1888) veröf-
fentlicht worden. Im Jahre 1890 schrieb er dann die erste zusammen-
fassende Darstellung einer nationalökonomischen Ideenlehre und Me-
thodologie, eben jene von uns gebrachte Abhandlung. Sie war als Ar-

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0008" n="4"/>
damals mit der rasch emporstrebenden Industriewirtschaft in Deutsch-<lb/>
land entwickelt hatten.</p><lb/>
        <p>Was half es, wenn Prince-Smith, der Bannerträger des deutschen wissen-<lb/>
schaftlichen Liberalismus, das Vorhandensein einer &#x201E;sogenannten Ar-<lb/>
beiterfrage&#x201C; leugnete und es für widersinnig hielt, daß die soziale<lb/>
Frage, &#x201E;wenn man annehme, es gebe eine solche Frage, durch irgend<lb/>
etwas anderes als den natürlichen Lauf der Dinge&#x201C; gelöst werden<lb/>
könne?</p><lb/>
        <p>Es kann hier nicht darauf eingegangen werden, wie sich demgegenüber<lb/>
Schmoller, eben erst in Halle angekommen, zum Wortführer einer<lb/>
entschlossenen Sozialpolitik machte, und wie es dann zur Gründung<lb/>
des Vereins für Sozialpolitik kam, dessen Gründungsversammlung im<lb/>
Oktober 1872 von Schmoller mit seiner berühmten Eisenacher Rede<lb/>
eröffnet wurde.</p><lb/>
        <p>Er war jetzt, 34 Jahre alt, in die erste Reihe der deutschen National-<lb/>
ökonomen gerückt. Wiederhsolt war seine Berufung nach Berlin er-<lb/>
wogen worden, doch ehe es im Jahre 1882 wirklich dazu kam, wirkte<lb/>
er noch 10 Jahre lang an der wieder deutsch gewordenen Universität<lb/>
Straßburg. Die in Straßburg verbrachten Jahre gehören zu den schön-<lb/>
sten und mit zu den wissenschaftlich produktivsten seines Lebens. Schon<lb/>
in Halle hatten sich die Hauptlinien abgezeichnet, auf denen sich seine<lb/>
Forschungen bewegen sollten und die hier in Straßburg und später in<lb/>
Berlin weiter verfolgt wurden. Es waren drei Hauptgebiete: 1. die so-<lb/>
ziale Frage, 2. die historisch-realistische Einzelforschung auf den ver-<lb/>
schiedensten Gebieten der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung<lb/>
und 3. die Methodenlehre zur Begründung und Schaffung einer neuen<lb/>
nationalökonomischen Doktrin.</p><lb/>
        <p>Die von uns wiedergegebene Abhandlung gehört in das dritte Arbeits-<lb/>
gebiet. Schon ehe er nach Halle kam, hatte Schmoller im Anschluß<lb/>
an seine von der Tübinger wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät preis-<lb/>
gekrönte Dissertation, die die zur Zeit der Reformation herrschenden<lb/>
nationalökonomischen Ansichten zum Gegenstande hatte, geplant, ein<lb/>
Buch über die Ethik und Methodologie in ihrem Verhältnis zur Na-<lb/>
tionalökonomie zu schreiben. Von den Vorarbeiten hierzu sind nur we-<lb/>
nige Stücke wie die über Schillers ethischen und kulturgeschichtlichen<lb/>
Standpunkt und eine Studie über Johann Gottlieb Fichte später ge-<lb/>
druckt und zusammen mit andern hierher gehörenden Studien über<lb/>
Friedrich List, Carey, Lorenz v. Stein, Roscher, Knies, Schäffle, Hen-<lb/>
ry George, Hertzka, Menger, Dilthey in dem Sammelband &#x201E;Zur Lite-<lb/>
raturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften&#x201C; (1888) veröf-<lb/>
fentlicht worden. Im Jahre 1890 schrieb er dann die erste zusammen-<lb/>
fassende Darstellung einer nationalökonomischen Ideenlehre und Me-<lb/>
thodologie, eben jene von uns gebrachte Abhandlung. Sie war als Ar-<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[4/0008] damals mit der rasch emporstrebenden Industriewirtschaft in Deutsch- land entwickelt hatten. Was half es, wenn Prince-Smith, der Bannerträger des deutschen wissen- schaftlichen Liberalismus, das Vorhandensein einer „sogenannten Ar- beiterfrage“ leugnete und es für widersinnig hielt, daß die soziale Frage, „wenn man annehme, es gebe eine solche Frage, durch irgend etwas anderes als den natürlichen Lauf der Dinge“ gelöst werden könne? Es kann hier nicht darauf eingegangen werden, wie sich demgegenüber Schmoller, eben erst in Halle angekommen, zum Wortführer einer entschlossenen Sozialpolitik machte, und wie es dann zur Gründung des Vereins für Sozialpolitik kam, dessen Gründungsversammlung im Oktober 1872 von Schmoller mit seiner berühmten Eisenacher Rede eröffnet wurde. Er war jetzt, 34 Jahre alt, in die erste Reihe der deutschen National- ökonomen gerückt. Wiederhsolt war seine Berufung nach Berlin er- wogen worden, doch ehe es im Jahre 1882 wirklich dazu kam, wirkte er noch 10 Jahre lang an der wieder deutsch gewordenen Universität Straßburg. Die in Straßburg verbrachten Jahre gehören zu den schön- sten und mit zu den wissenschaftlich produktivsten seines Lebens. Schon in Halle hatten sich die Hauptlinien abgezeichnet, auf denen sich seine Forschungen bewegen sollten und die hier in Straßburg und später in Berlin weiter verfolgt wurden. Es waren drei Hauptgebiete: 1. die so- ziale Frage, 2. die historisch-realistische Einzelforschung auf den ver- schiedensten Gebieten der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung und 3. die Methodenlehre zur Begründung und Schaffung einer neuen nationalökonomischen Doktrin. Die von uns wiedergegebene Abhandlung gehört in das dritte Arbeits- gebiet. Schon ehe er nach Halle kam, hatte Schmoller im Anschluß an seine von der Tübinger wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät preis- gekrönte Dissertation, die die zur Zeit der Reformation herrschenden nationalökonomischen Ansichten zum Gegenstande hatte, geplant, ein Buch über die Ethik und Methodologie in ihrem Verhältnis zur Na- tionalökonomie zu schreiben. Von den Vorarbeiten hierzu sind nur we- nige Stücke wie die über Schillers ethischen und kulturgeschichtlichen Standpunkt und eine Studie über Johann Gottlieb Fichte später ge- druckt und zusammen mit andern hierher gehörenden Studien über Friedrich List, Carey, Lorenz v. Stein, Roscher, Knies, Schäffle, Hen- ry George, Hertzka, Menger, Dilthey in dem Sammelband „Zur Lite- raturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften“ (1888) veröf- fentlicht worden. Im Jahre 1890 schrieb er dann die erste zusammen- fassende Darstellung einer nationalökonomischen Ideenlehre und Me- thodologie, eben jene von uns gebrachte Abhandlung. Sie war als Ar-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/8
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/8>, abgerufen am 24.04.2024.