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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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sich einer ethischen und geschichtsphilosophischen Untersuchung, wenn
sie die gesamten volkswirtschaftlichen Erscheinungen im Zusammen-
hange mit ihren letzten gesellschaftlichen Ursachen vorführen will.

Umgekehrt ist die spezielle Nationalökonomie historisch und praktisch-
verwaltungsrechtlich; sie erzählt die neuere volkswirtschaftliche Ent-
wickelung Westeuropas oder eines einzelnen Landes nach Perioden
oder Hauptzweigen der Volkswirtschaft. Sie geht vom Konkreten, Ein-
zelnen aus und erörtert das Detail der Ursachen und Einrichtungen;
sie gestattet den Anfänger in die methodische Untersuchung der ein-
zelnen Probleme nach allen Seiten einzuführen; sie ist deskriptiv in
ihrer Grundlage, sie muß in ihren Erörterungen auf alle möglichen
Nachbargebiete und Nebenfolgen kommen; sie gibt einen festen Bo-
den unter die Füße, rekurriert aber natürlich stets auf die allgemeinen
Wahrheiten, die aus der allgemeinen Nationalökonomie sowie aus der
Ethik oder aus soziologisch-gesellschaftswissenschaftlichen Vorstellungs-
reihen stammen. Wie sie in erster Linie das einzelne aus seinen Ur-
sachen erklärt und aus dem bisherigen Gange der Ereignisse auf die
Zukunft schließt, so mischen sich in die letzteren Schlüsse stets als
leitende Motive ethische Wertvorstellungen und teleologische Welt-
bilder über den Gang der menschlichen Geschichte und das Schicksal
des betreffenden Staates ein.

Die beiden in Deutschland üblichen Teile der Volkswirtschaftslehre stel-
len so berechtigte Gegensätze dar; sie ergänzen sich im Stoff und in
der Methode; ihre Nebeneinanderstellung im Unterrichte und in den
Lehrbüchern hat sich bewährt. Es liegen keine Anzeichen vor, daß sie
einer anderen Behandlung und Abteilung Platz machen werden; sie er-
füllen ihren Zweck um so besser, je mehr der eine Teil auf breitester
philosophischer, der andere auf historischer und verwaltungsrecht-
licher Grundlage und praktischer Weltkenntnis ruht. Sie entsprechen
den verschiedenen Wegen menschlicher Erkenntnisgewinnung, die sich
stets ergänzen müssen2.

Wenn wir im folgenden nun von der Methode der Volkswirtschafts-
lehre reden, so könnte es angezeigt erscheinen, dabei immer wieder
diese beiden Teile zu unterscheiden. Und doch ist es nicht am Platze;
denn in beiden spielen die verschiedenen Hilfsmittel der Erkenntnis in-
einander über. Und der sachverständige Leser wird auch so bemerken,
welche Erörterung mehr auf die allgemeine, welche mehr auf die
spezielle Volkswirtschaft sich bezieht.

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sich einer ethischen und geschichtsphilosophischen Untersuchung, wenn
sie die gesamten volkswirtschaftlichen Erscheinungen im Zusammen-
hange mit ihren letzten gesellschaftlichen Ursachen vorführen will.

Umgekehrt ist die spezielle Nationalökonomie historisch und praktisch-
verwaltungsrechtlich; sie erzählt die neuere volkswirtschaftliche Ent-
wickelung Westeuropas oder eines einzelnen Landes nach Perioden
oder Hauptzweigen der Volkswirtschaft. Sie geht vom Konkreten, Ein-
zelnen aus und erörtert das Detail der Ursachen und Einrichtungen;
sie gestattet den Anfänger in die methodische Untersuchung der ein-
zelnen Probleme nach allen Seiten einzuführen; sie ist deskriptiv in
ihrer Grundlage, sie muß in ihren Erörterungen auf alle möglichen
Nachbargebiete und Nebenfolgen kommen; sie gibt einen festen Bo-
den unter die Füße, rekurriert aber natürlich stets auf die allgemeinen
Wahrheiten, die aus der allgemeinen Nationalökonomie sowie aus der
Ethik oder aus soziologisch-gesellschaftswissenschaftlichen Vorstellungs-
reihen stammen. Wie sie in erster Linie das einzelne aus seinen Ur-
sachen erklärt und aus dem bisherigen Gange der Ereignisse auf die
Zukunft schließt, so mischen sich in die letzteren Schlüsse stets als
leitende Motive ethische Wertvorstellungen und teleologische Welt-
bilder über den Gang der menschlichen Geschichte und das Schicksal
des betreffenden Staates ein.

Die beiden in Deutschland üblichen Teile der Volkswirtschaftslehre stel-
len so berechtigte Gegensätze dar; sie ergänzen sich im Stoff und in
der Methode; ihre Nebeneinanderstellung im Unterrichte und in den
Lehrbüchern hat sich bewährt. Es liegen keine Anzeichen vor, daß sie
einer anderen Behandlung und Abteilung Platz machen werden; sie er-
füllen ihren Zweck um so besser, je mehr der eine Teil auf breitester
philosophischer, der andere auf historischer und verwaltungsrecht-
licher Grundlage und praktischer Weltkenntnis ruht. Sie entsprechen
den verschiedenen Wegen menschlicher Erkenntnisgewinnung, die sich
stets ergänzen müssen2.

Wenn wir im folgenden nun von der Methode der Volkswirtschafts-
lehre reden, so könnte es angezeigt erscheinen, dabei immer wieder
diese beiden Teile zu unterscheiden. Und doch ist es nicht am Platze;
denn in beiden spielen die verschiedenen Hilfsmittel der Erkenntnis in-
einander über. Und der sachverständige Leser wird auch so bemerken,
welche Erörterung mehr auf die allgemeine, welche mehr auf die
spezielle Volkswirtschaft sich bezieht.

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[17/0021] sich einer ethischen und geschichtsphilosophischen Untersuchung, wenn sie die gesamten volkswirtschaftlichen Erscheinungen im Zusammen- hange mit ihren letzten gesellschaftlichen Ursachen vorführen will. Umgekehrt ist die spezielle Nationalökonomie historisch und praktisch- verwaltungsrechtlich; sie erzählt die neuere volkswirtschaftliche Ent- wickelung Westeuropas oder eines einzelnen Landes nach Perioden oder Hauptzweigen der Volkswirtschaft. Sie geht vom Konkreten, Ein- zelnen aus und erörtert das Detail der Ursachen und Einrichtungen; sie gestattet den Anfänger in die methodische Untersuchung der ein- zelnen Probleme nach allen Seiten einzuführen; sie ist deskriptiv in ihrer Grundlage, sie muß in ihren Erörterungen auf alle möglichen Nachbargebiete und Nebenfolgen kommen; sie gibt einen festen Bo- den unter die Füße, rekurriert aber natürlich stets auf die allgemeinen Wahrheiten, die aus der allgemeinen Nationalökonomie sowie aus der Ethik oder aus soziologisch-gesellschaftswissenschaftlichen Vorstellungs- reihen stammen. Wie sie in erster Linie das einzelne aus seinen Ur- sachen erklärt und aus dem bisherigen Gange der Ereignisse auf die Zukunft schließt, so mischen sich in die letzteren Schlüsse stets als leitende Motive ethische Wertvorstellungen und teleologische Welt- bilder über den Gang der menschlichen Geschichte und das Schicksal des betreffenden Staates ein. Die beiden in Deutschland üblichen Teile der Volkswirtschaftslehre stel- len so berechtigte Gegensätze dar; sie ergänzen sich im Stoff und in der Methode; ihre Nebeneinanderstellung im Unterrichte und in den Lehrbüchern hat sich bewährt. Es liegen keine Anzeichen vor, daß sie einer anderen Behandlung und Abteilung Platz machen werden; sie er- füllen ihren Zweck um so besser, je mehr der eine Teil auf breitester philosophischer, der andere auf historischer und verwaltungsrecht- licher Grundlage und praktischer Weltkenntnis ruht. Sie entsprechen den verschiedenen Wegen menschlicher Erkenntnisgewinnung, die sich stets ergänzen müssen2. Wenn wir im folgenden nun von der Methode der Volkswirtschafts- lehre reden, so könnte es angezeigt erscheinen, dabei immer wieder diese beiden Teile zu unterscheiden. Und doch ist es nicht am Platze; denn in beiden spielen die verschiedenen Hilfsmittel der Erkenntnis in- einander über. Und der sachverständige Leser wird auch so bemerken, welche Erörterung mehr auf die allgemeine, welche mehr auf die spezielle Volkswirtschaft sich bezieht. 2

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/21>, abgerufen am 29.03.2024.