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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
vollendete sociale Zustand darin, daß die gesunden psychischen Kräfte des Volkslebens
durch die Institutionen nicht gehemmt, sondern gefördert werden, daß die festen Ein-
richtungen und das freie Spiel der individuellen Kräfte in richtiger Wechselwirkung
einander ergänzen, daß die Institutionen die freie Bewegung nicht unnötig hemmen,
die erwünschte Entwickelung aber befördern. Die Institutionen sind nicht subjektive
Anläufe, sondern objektive verkörperte Methoden und Maxime dessen, was die Erfahrung,
die Weisheit der Jahrhunderte in Bezug auf die vernünftige und richtige Behandlung
praktischer Verhältnisse gefunden hat.

Das vergleichende Studium der Volkswirtschaft verschiedener Zeiten und Länder wird
auch die natürlichen und technischen Unterschiede, die der Rasse, der Kapitalmenge und Ähn-
liches in Rechnung ziehen; aber sie wird vor allem die Institutionen und Organe vergleichen,
die wirtschaftliche, Familien-, Gemeinde- und Staatsverfassung, die agrarischen und gewerb-
lichen Betriebs- und Unternehmungsformen, die Institutionen des Markt- und Verkehrs-
wesens, des Geld- und Kreditwesens, die Art, wie Arbeitsteilung und Klassenbildung sich in
Vereinen und Korporationen, Ständen und Institutionen fixiert haben. Das Studium der
Organe und Institutionen ist für die Erkenntnis des socialen Körpers dasselbe, was die
Anatomie für die des physischen; auch die Physiologie der Säfte und ihre Cirkulation
kann nur auf einer Kenntnis der Organe sich aufbauen. Die alte Volkswirtschaftslehre mit
ihrem Untergehen in Preisuntersuchungen und Cirkulationserscheinungen stellte den Ver-
such einer volkswirtschaftlichen Säftephysiologie ohne Anatomie des socialen Körpers dar.

Der historische Fortschritt des wirtschaftlichen Lebens wird gewiß zunächst in
besserer Produktion und Versorgung der Menschen mit wirtschaftlichen Gütern bestehen;
aber er wird nur gelingen mit besseren Institutionen, mit immer komplizierteren Organ-
bildungen. Das Gelingen derselben wird immer schwieriger, aber auch immer erfolg-
reicher sein. Wie die wahre Methode über dem wahren Gedanken, so steht, sagt Lazarus,
die weise Konstitution über dem weisen Fürsten, die gerechte Gesetzgebung über dem
gerechten Richter; wir können hinzufügen, die vollendete Verfassung der Volkswirtschaft
über dem wirren Spiele der sich bekämpfenden wirtschaftlichen Kräfte. Es sind die großen
Fortschrittsideen und die sittlichen Ideale, die in den Institutionen sich fixieren. Alle
großen Epochen des Fortschrittes, auch die des volkswirtschaftlichen, knüpfen sich an die
Reform der socialen Institutionen, an neue Organbildungen, wie z. B. neuerdings an
die Genossenschaften, Gewerkvereine, Aktiengesellschaften, Kartelle, an die Fabrik- und
Arbeitsgesetzgebung, an die Versicherungsorganisationen an. Die großen Männer und
die großen Zeiten sind die, welche neue sociale, politische, wirtschaftliche Institutionen
geschaffen haben.

32. Der Kampf ums Dasein. Wenn Sitte, Recht und Moral, wenn alle
gesellschaftlichen Institutionen den Zweck haben, den Frieden in der Gesellschaft zu
sichern, die widerstrebenden Kräfte zu versöhnen und zu bändigen, die ungeschulten zu
erziehen und in übereinstimmende Bahnen zu führen, die einzelnen Individuen zu
gewissen Kraftcentren zu vereinigen, so könnte es den Anschein haben, als ob in der
menschlichen Kulturgesellschaft kein Platz für den Kampf ums Dasein wäre. Und doch
hat man seit den tiefgreifenden Forschungen Darwins wieder einmal, wie schon oft seit
den Tagen der Sophisten, auch das ganze gesellschaftliche und historische Leben auf diese
Formel zurückgeführt und uns mit darwinistischen Kulturgeschichten, Sociologien, Volks-
wirtschaftslehren beschenkt. Was ist das Richtige an dieser Auffassung? Ist der Frieden
oder ist der Kampf das Princip der Gesellschaft? Oder sind es vielleicht beide, jedes
in seiner Art und an seiner Stelle?

Die Lehre Darwins läßt sich kurz so zusammenfassen: Die Tiere vererben ihre
Eigenschaften einerseits von Generation zu Generation in so ziemlich gleicher Weise,
aber andererseits verändern sich diese Eigenschaften doch in einer gewissen beschränkten
Art. Das Passendste überlebt sich im Kampfe ums Dasein, und die Veränderlichkeit
der Eigenschaften von Generation zu Generation (die Variabilität) hängt hiemit zu-
sammen; die für den Kampf am besten Ausgestatteten erhalten und paaren sich, ihre
Eigenschaften summieren sich in ihren Nachkommen. So erklärt Darwin die Entstehung

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
vollendete ſociale Zuſtand darin, daß die geſunden pſychiſchen Kräfte des Volkslebens
durch die Inſtitutionen nicht gehemmt, ſondern gefördert werden, daß die feſten Ein-
richtungen und das freie Spiel der individuellen Kräfte in richtiger Wechſelwirkung
einander ergänzen, daß die Inſtitutionen die freie Bewegung nicht unnötig hemmen,
die erwünſchte Entwickelung aber befördern. Die Inſtitutionen ſind nicht ſubjektive
Anläufe, ſondern objektive verkörperte Methoden und Maxime deſſen, was die Erfahrung,
die Weisheit der Jahrhunderte in Bezug auf die vernünftige und richtige Behandlung
praktiſcher Verhältniſſe gefunden hat.

Das vergleichende Studium der Volkswirtſchaft verſchiedener Zeiten und Länder wird
auch die natürlichen und techniſchen Unterſchiede, die der Raſſe, der Kapitalmenge und Ähn-
liches in Rechnung ziehen; aber ſie wird vor allem die Inſtitutionen und Organe vergleichen,
die wirtſchaftliche, Familien-, Gemeinde- und Staatsverfaſſung, die agrariſchen und gewerb-
lichen Betriebs- und Unternehmungsformen, die Inſtitutionen des Markt- und Verkehrs-
weſens, des Geld- und Kreditweſens, die Art, wie Arbeitsteilung und Klaſſenbildung ſich in
Vereinen und Korporationen, Ständen und Inſtitutionen fixiert haben. Das Studium der
Organe und Inſtitutionen iſt für die Erkenntnis des ſocialen Körpers dasſelbe, was die
Anatomie für die des phyſiſchen; auch die Phyſiologie der Säfte und ihre Cirkulation
kann nur auf einer Kenntnis der Organe ſich aufbauen. Die alte Volkswirtſchaftslehre mit
ihrem Untergehen in Preisunterſuchungen und Cirkulationserſcheinungen ſtellte den Ver-
ſuch einer volkswirtſchaftlichen Säftephyſiologie ohne Anatomie des ſocialen Körpers dar.

Der hiſtoriſche Fortſchritt des wirtſchaftlichen Lebens wird gewiß zunächſt in
beſſerer Produktion und Verſorgung der Menſchen mit wirtſchaftlichen Gütern beſtehen;
aber er wird nur gelingen mit beſſeren Inſtitutionen, mit immer komplizierteren Organ-
bildungen. Das Gelingen derſelben wird immer ſchwieriger, aber auch immer erfolg-
reicher ſein. Wie die wahre Methode über dem wahren Gedanken, ſo ſteht, ſagt Lazarus,
die weiſe Konſtitution über dem weiſen Fürſten, die gerechte Geſetzgebung über dem
gerechten Richter; wir können hinzufügen, die vollendete Verfaſſung der Volkswirtſchaft
über dem wirren Spiele der ſich bekämpfenden wirtſchaftlichen Kräfte. Es ſind die großen
Fortſchrittsideen und die ſittlichen Ideale, die in den Inſtitutionen ſich fixieren. Alle
großen Epochen des Fortſchrittes, auch die des volkswirtſchaftlichen, knüpfen ſich an die
Reform der ſocialen Inſtitutionen, an neue Organbildungen, wie z. B. neuerdings an
die Genoſſenſchaften, Gewerkvereine, Aktiengeſellſchaften, Kartelle, an die Fabrik- und
Arbeitsgeſetzgebung, an die Verſicherungsorganiſationen an. Die großen Männer und
die großen Zeiten ſind die, welche neue ſociale, politiſche, wirtſchaftliche Inſtitutionen
geſchaffen haben.

32. Der Kampf ums Daſein. Wenn Sitte, Recht und Moral, wenn alle
geſellſchaftlichen Inſtitutionen den Zweck haben, den Frieden in der Geſellſchaft zu
ſichern, die widerſtrebenden Kräfte zu verſöhnen und zu bändigen, die ungeſchulten zu
erziehen und in übereinſtimmende Bahnen zu führen, die einzelnen Individuen zu
gewiſſen Kraftcentren zu vereinigen, ſo könnte es den Anſchein haben, als ob in der
menſchlichen Kulturgeſellſchaft kein Platz für den Kampf ums Daſein wäre. Und doch
hat man ſeit den tiefgreifenden Forſchungen Darwins wieder einmal, wie ſchon oft ſeit
den Tagen der Sophiſten, auch das ganze geſellſchaftliche und hiſtoriſche Leben auf dieſe
Formel zurückgeführt und uns mit darwiniſtiſchen Kulturgeſchichten, Sociologien, Volks-
wirtſchaftslehren beſchenkt. Was iſt das Richtige an dieſer Auffaſſung? Iſt der Frieden
oder iſt der Kampf das Princip der Geſellſchaft? Oder ſind es vielleicht beide, jedes
in ſeiner Art und an ſeiner Stelle?

Die Lehre Darwins läßt ſich kurz ſo zuſammenfaſſen: Die Tiere vererben ihre
Eigenſchaften einerſeits von Generation zu Generation in ſo ziemlich gleicher Weiſe,
aber andererſeits verändern ſich dieſe Eigenſchaften doch in einer gewiſſen beſchränkten
Art. Das Paſſendſte überlebt ſich im Kampfe ums Daſein, und die Veränderlichkeit
der Eigenſchaften von Generation zu Generation (die Variabilität) hängt hiemit zu-
ſammen; die für den Kampf am beſten Ausgeſtatteten erhalten und paaren ſich, ihre
Eigenſchaften ſummieren ſich in ihren Nachkommen. So erklärt Darwin die Entſtehung

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[64/0080] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. vollendete ſociale Zuſtand darin, daß die geſunden pſychiſchen Kräfte des Volkslebens durch die Inſtitutionen nicht gehemmt, ſondern gefördert werden, daß die feſten Ein- richtungen und das freie Spiel der individuellen Kräfte in richtiger Wechſelwirkung einander ergänzen, daß die Inſtitutionen die freie Bewegung nicht unnötig hemmen, die erwünſchte Entwickelung aber befördern. Die Inſtitutionen ſind nicht ſubjektive Anläufe, ſondern objektive verkörperte Methoden und Maxime deſſen, was die Erfahrung, die Weisheit der Jahrhunderte in Bezug auf die vernünftige und richtige Behandlung praktiſcher Verhältniſſe gefunden hat. Das vergleichende Studium der Volkswirtſchaft verſchiedener Zeiten und Länder wird auch die natürlichen und techniſchen Unterſchiede, die der Raſſe, der Kapitalmenge und Ähn- liches in Rechnung ziehen; aber ſie wird vor allem die Inſtitutionen und Organe vergleichen, die wirtſchaftliche, Familien-, Gemeinde- und Staatsverfaſſung, die agrariſchen und gewerb- lichen Betriebs- und Unternehmungsformen, die Inſtitutionen des Markt- und Verkehrs- weſens, des Geld- und Kreditweſens, die Art, wie Arbeitsteilung und Klaſſenbildung ſich in Vereinen und Korporationen, Ständen und Inſtitutionen fixiert haben. Das Studium der Organe und Inſtitutionen iſt für die Erkenntnis des ſocialen Körpers dasſelbe, was die Anatomie für die des phyſiſchen; auch die Phyſiologie der Säfte und ihre Cirkulation kann nur auf einer Kenntnis der Organe ſich aufbauen. Die alte Volkswirtſchaftslehre mit ihrem Untergehen in Preisunterſuchungen und Cirkulationserſcheinungen ſtellte den Ver- ſuch einer volkswirtſchaftlichen Säftephyſiologie ohne Anatomie des ſocialen Körpers dar. Der hiſtoriſche Fortſchritt des wirtſchaftlichen Lebens wird gewiß zunächſt in beſſerer Produktion und Verſorgung der Menſchen mit wirtſchaftlichen Gütern beſtehen; aber er wird nur gelingen mit beſſeren Inſtitutionen, mit immer komplizierteren Organ- bildungen. Das Gelingen derſelben wird immer ſchwieriger, aber auch immer erfolg- reicher ſein. Wie die wahre Methode über dem wahren Gedanken, ſo ſteht, ſagt Lazarus, die weiſe Konſtitution über dem weiſen Fürſten, die gerechte Geſetzgebung über dem gerechten Richter; wir können hinzufügen, die vollendete Verfaſſung der Volkswirtſchaft über dem wirren Spiele der ſich bekämpfenden wirtſchaftlichen Kräfte. Es ſind die großen Fortſchrittsideen und die ſittlichen Ideale, die in den Inſtitutionen ſich fixieren. Alle großen Epochen des Fortſchrittes, auch die des volkswirtſchaftlichen, knüpfen ſich an die Reform der ſocialen Inſtitutionen, an neue Organbildungen, wie z. B. neuerdings an die Genoſſenſchaften, Gewerkvereine, Aktiengeſellſchaften, Kartelle, an die Fabrik- und Arbeitsgeſetzgebung, an die Verſicherungsorganiſationen an. Die großen Männer und die großen Zeiten ſind die, welche neue ſociale, politiſche, wirtſchaftliche Inſtitutionen geſchaffen haben. 32. Der Kampf ums Daſein. Wenn Sitte, Recht und Moral, wenn alle geſellſchaftlichen Inſtitutionen den Zweck haben, den Frieden in der Geſellſchaft zu ſichern, die widerſtrebenden Kräfte zu verſöhnen und zu bändigen, die ungeſchulten zu erziehen und in übereinſtimmende Bahnen zu führen, die einzelnen Individuen zu gewiſſen Kraftcentren zu vereinigen, ſo könnte es den Anſchein haben, als ob in der menſchlichen Kulturgeſellſchaft kein Platz für den Kampf ums Daſein wäre. Und doch hat man ſeit den tiefgreifenden Forſchungen Darwins wieder einmal, wie ſchon oft ſeit den Tagen der Sophiſten, auch das ganze geſellſchaftliche und hiſtoriſche Leben auf dieſe Formel zurückgeführt und uns mit darwiniſtiſchen Kulturgeſchichten, Sociologien, Volks- wirtſchaftslehren beſchenkt. Was iſt das Richtige an dieſer Auffaſſung? Iſt der Frieden oder iſt der Kampf das Princip der Geſellſchaft? Oder ſind es vielleicht beide, jedes in ſeiner Art und an ſeiner Stelle? Die Lehre Darwins läßt ſich kurz ſo zuſammenfaſſen: Die Tiere vererben ihre Eigenſchaften einerſeits von Generation zu Generation in ſo ziemlich gleicher Weiſe, aber andererſeits verändern ſich dieſe Eigenſchaften doch in einer gewiſſen beſchränkten Art. Das Paſſendſte überlebt ſich im Kampfe ums Daſein, und die Veränderlichkeit der Eigenſchaften von Generation zu Generation (die Variabilität) hängt hiemit zu- ſammen; die für den Kampf am beſten Ausgeſtatteten erhalten und paaren ſich, ihre Eigenſchaften ſummieren ſich in ihren Nachkommen. So erklärt Darwin die Entſtehung

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/80>, abgerufen am 29.03.2024.