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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
aller Art, oft mit ungerechter Verteilung an die Bürger befriedigen konnten. Sie gaben
deshalb von 1750--1870 den privaten Unternehmungen wieder freiere Bahn; die
heutige Güterversorgung, die heutige Technik, der heutige Verkehr konnten damit entstehen.
Erst neuestens, als die Schattenseiten und Mißbräuche der Unternehmungen stark hervor-
traten, haben Staat und Gemeinden sie teils unter Kontrolle gestellt, teils ihnen gewisse
Funktionen wieder abgenommen. Die Unternehmungswelt erwuchs von 1750 bis zur
Gegenwart zu solcher Größe und Leistungsfähigkeit, weil sie einen steigenden Personen-
kreis, wachsende Kapitalien zu einheitlichem wirtschaftlichem Effekt zusammenfaßte und
doch frei auf dem Markt sich bewegte, durch die Gewinnchancen zu höchster Anstrengung
veranlaßt wurde. Sie verlangt auf dem Markte Ersatz ihres Aufwandes und Gewinn,
sie richtet sich nach den erzielten Preisen. Ersetzen die Preise den Aufwand, die Kosten
nicht, so stellt sie die Produktion ein oder schränkt sie ein, weil sie den Verlust nicht
ertragen will; ersetzen die Preise die Kosten reichlich, so steigt der Gewinn, und dieses
Steigen des Gewinnes verlockt die Produktion zur Ausdehnung. So entstand mit der
Unternehmung jenes freie Spiel von Verträgen, von Zu- und Abnahme des Angebots
und der Nachfrage. Der Handel kommt hinzu, die Vorräte an den rechten Ort, zu
rechter Zeit zu bringen, die Vorratshaltung zu übernehmen; auch das geschah mehr
und mehr am leichtesten, wenn die Unternehmung es übernahm. Ein Mechanismus
der freien gesellschaftlichen Marktversorgung entstand, der durch das stete Steigen und
Fallen der Preise, durch die Gewinnprämie für richtige, billige, gute Produktion, die Ver-
luststrafe für falsche, zu teure schlechte Produktion den größeren Teil der Warenerzeugung
und den Handel in den rechten Bahnen erhielt. Natürlich nur in dem Maße, wie
das nach der Größe und Isoliertheit des Marktes, nach der Fähigkeit der Menschen,
nach den Zufällen der Natur und des Schicksals möglich war. In kleinen Staaten
und Gebieten war es leichter als in großen Nationalstaaten und gar in der heutigen
Weltwirtschaft. Mit der Kompliziertheit der Technik, den Entfernungen des Verkehrs,
der wachsenden Größe der Betriebe wurde die Produktion für den Markt und die Vor-
ratshaltung in der Hand der Unternehmer auf der einen Seite freilich erleichtert, auf der
anderen aber wurde die Beurteilung des Bedarfs erschwert, weil man für die ganze Welt
und die ferne Zukunft spekulativ ihn fassen sollte. Daher neben der besseren Versorgung
im ganzen doch die wachsenden Klagen über Krisen und Arbeitslosigkeit, über Hausse
und Baisse. Die harte Korrektur der falschen Spekulation und Produktion durch
Bankerotte mußte als starker Mißstand empfunden werden. Unlautere Gewinnabsichten
konnten in das immer kompliziertere Spiel des Marktes leichter eingreifen. Schamlose
Gewinnsucht, rücksichtslose harte Konkurrenz, brutale Niederwerfung der Schwachen konnte
sündigen, wie kaum je früher.

Der Socialismus erklärte deshalb: die Unternehmung taugt nicht; sie will nur
Wuchergewinn machen; sie ist herzlos und gleichgültig; sie versagt, wenn der Gewinn
auf 1--2 % sinkt, sie wird erst bei 10 % kühn, bei 50 % waghalsig, bei 100 % stampft
sie alle menschlichen Gesetze unter die Füße, bei 300 % erlaubt sie sich jedes Verbrechen.
Gewiß liegen nach dieser Seite die dunkeln Schatten der Unternehmerthätigkeit. Aber
es ist nicht falsch, daß sie bei 1 % erlahmt, bei 8--10 energisch wird; zu mehr kommt
sie nur selten. Es ist eine Verkennung aller menschlichen Natur zu verlangen, daß der
Mensch nicht nach Gewinn strebe, nur muß die Moral- und die Rechtsregel dieses
Streben im Zaume halten. Durch Riesengewinne lassen sich nicht bloß Unternehmer,
sondern die meisten Menschen bestechen.

Über einen Teil der Unvollkommenheit der bisherigen Unternehmungen können die
Kartelle mit ihrer nationalen und internationalen Ausdehnung uns weghelfen. Ihre
Schattenseiten und Monopolmißbräuche verschwinden, wenn sie in die rechte Verfassung
gebracht werden. Ob es omnipotente, staatliche, kommunistische Organisationen
besser vermöchten, zumal in wechselnd demokratischen Händen, das ist eben die Frage, welche
die Socialisten bejahen, alle Kenner der Geschichte und der Menschen verneinen. Noch
viel unwahrscheinlicher ist, daß es gelingen sollte, eine socialistische Centralleitung
der Weltwirtschaft
zu schaffen, was doch bei der heutigen geographischen Arbeits-

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
aller Art, oft mit ungerechter Verteilung an die Bürger befriedigen konnten. Sie gaben
deshalb von 1750—1870 den privaten Unternehmungen wieder freiere Bahn; die
heutige Güterverſorgung, die heutige Technik, der heutige Verkehr konnten damit entſtehen.
Erſt neueſtens, als die Schattenſeiten und Mißbräuche der Unternehmungen ſtark hervor-
traten, haben Staat und Gemeinden ſie teils unter Kontrolle geſtellt, teils ihnen gewiſſe
Funktionen wieder abgenommen. Die Unternehmungswelt erwuchs von 1750 bis zur
Gegenwart zu ſolcher Größe und Leiſtungsfähigkeit, weil ſie einen ſteigenden Perſonen-
kreis, wachſende Kapitalien zu einheitlichem wirtſchaftlichem Effekt zuſammenfaßte und
doch frei auf dem Markt ſich bewegte, durch die Gewinnchancen zu höchſter Anſtrengung
veranlaßt wurde. Sie verlangt auf dem Markte Erſatz ihres Aufwandes und Gewinn,
ſie richtet ſich nach den erzielten Preiſen. Erſetzen die Preiſe den Aufwand, die Koſten
nicht, ſo ſtellt ſie die Produktion ein oder ſchränkt ſie ein, weil ſie den Verluſt nicht
ertragen will; erſetzen die Preiſe die Koſten reichlich, ſo ſteigt der Gewinn, und dieſes
Steigen des Gewinnes verlockt die Produktion zur Ausdehnung. So entſtand mit der
Unternehmung jenes freie Spiel von Verträgen, von Zu- und Abnahme des Angebots
und der Nachfrage. Der Handel kommt hinzu, die Vorräte an den rechten Ort, zu
rechter Zeit zu bringen, die Vorratshaltung zu übernehmen; auch das geſchah mehr
und mehr am leichteſten, wenn die Unternehmung es übernahm. Ein Mechanismus
der freien geſellſchaftlichen Marktverſorgung entſtand, der durch das ſtete Steigen und
Fallen der Preiſe, durch die Gewinnprämie für richtige, billige, gute Produktion, die Ver-
luſtſtrafe für falſche, zu teure ſchlechte Produktion den größeren Teil der Warenerzeugung
und den Handel in den rechten Bahnen erhielt. Natürlich nur in dem Maße, wie
das nach der Größe und Iſoliertheit des Marktes, nach der Fähigkeit der Menſchen,
nach den Zufällen der Natur und des Schickſals möglich war. In kleinen Staaten
und Gebieten war es leichter als in großen Nationalſtaaten und gar in der heutigen
Weltwirtſchaft. Mit der Kompliziertheit der Technik, den Entfernungen des Verkehrs,
der wachſenden Größe der Betriebe wurde die Produktion für den Markt und die Vor-
ratshaltung in der Hand der Unternehmer auf der einen Seite freilich erleichtert, auf der
anderen aber wurde die Beurteilung des Bedarfs erſchwert, weil man für die ganze Welt
und die ferne Zukunft ſpekulativ ihn faſſen ſollte. Daher neben der beſſeren Verſorgung
im ganzen doch die wachſenden Klagen über Kriſen und Arbeitsloſigkeit, über Hauſſe
und Baiſſe. Die harte Korrektur der falſchen Spekulation und Produktion durch
Bankerotte mußte als ſtarker Mißſtand empfunden werden. Unlautere Gewinnabſichten
konnten in das immer kompliziertere Spiel des Marktes leichter eingreifen. Schamloſe
Gewinnſucht, rückſichtsloſe harte Konkurrenz, brutale Niederwerfung der Schwachen konnte
ſündigen, wie kaum je früher.

Der Socialismus erklärte deshalb: die Unternehmung taugt nicht; ſie will nur
Wuchergewinn machen; ſie iſt herzlos und gleichgültig; ſie verſagt, wenn der Gewinn
auf 1—2 % ſinkt, ſie wird erſt bei 10 % kühn, bei 50 % waghalſig, bei 100 % ſtampft
ſie alle menſchlichen Geſetze unter die Füße, bei 300 % erlaubt ſie ſich jedes Verbrechen.
Gewiß liegen nach dieſer Seite die dunkeln Schatten der Unternehmerthätigkeit. Aber
es iſt nicht falſch, daß ſie bei 1 % erlahmt, bei 8—10 energiſch wird; zu mehr kommt
ſie nur ſelten. Es iſt eine Verkennung aller menſchlichen Natur zu verlangen, daß der
Menſch nicht nach Gewinn ſtrebe, nur muß die Moral- und die Rechtsregel dieſes
Streben im Zaume halten. Durch Rieſengewinne laſſen ſich nicht bloß Unternehmer,
ſondern die meiſten Menſchen beſtechen.

Über einen Teil der Unvollkommenheit der bisherigen Unternehmungen können die
Kartelle mit ihrer nationalen und internationalen Ausdehnung uns weghelfen. Ihre
Schattenſeiten und Monopolmißbräuche verſchwinden, wenn ſie in die rechte Verfaſſung
gebracht werden. Ob es omnipotente, ſtaatliche, kommuniſtiſche Organiſationen
beſſer vermöchten, zumal in wechſelnd demokratiſchen Händen, das iſt eben die Frage, welche
die Socialiſten bejahen, alle Kenner der Geſchichte und der Menſchen verneinen. Noch
viel unwahrſcheinlicher iſt, daß es gelingen ſollte, eine ſocialiſtiſche Centralleitung
der Weltwirtſchaft
zu ſchaffen, was doch bei der heutigen geographiſchen Arbeits-

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[456/0472] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. aller Art, oft mit ungerechter Verteilung an die Bürger befriedigen konnten. Sie gaben deshalb von 1750—1870 den privaten Unternehmungen wieder freiere Bahn; die heutige Güterverſorgung, die heutige Technik, der heutige Verkehr konnten damit entſtehen. Erſt neueſtens, als die Schattenſeiten und Mißbräuche der Unternehmungen ſtark hervor- traten, haben Staat und Gemeinden ſie teils unter Kontrolle geſtellt, teils ihnen gewiſſe Funktionen wieder abgenommen. Die Unternehmungswelt erwuchs von 1750 bis zur Gegenwart zu ſolcher Größe und Leiſtungsfähigkeit, weil ſie einen ſteigenden Perſonen- kreis, wachſende Kapitalien zu einheitlichem wirtſchaftlichem Effekt zuſammenfaßte und doch frei auf dem Markt ſich bewegte, durch die Gewinnchancen zu höchſter Anſtrengung veranlaßt wurde. Sie verlangt auf dem Markte Erſatz ihres Aufwandes und Gewinn, ſie richtet ſich nach den erzielten Preiſen. Erſetzen die Preiſe den Aufwand, die Koſten nicht, ſo ſtellt ſie die Produktion ein oder ſchränkt ſie ein, weil ſie den Verluſt nicht ertragen will; erſetzen die Preiſe die Koſten reichlich, ſo ſteigt der Gewinn, und dieſes Steigen des Gewinnes verlockt die Produktion zur Ausdehnung. So entſtand mit der Unternehmung jenes freie Spiel von Verträgen, von Zu- und Abnahme des Angebots und der Nachfrage. Der Handel kommt hinzu, die Vorräte an den rechten Ort, zu rechter Zeit zu bringen, die Vorratshaltung zu übernehmen; auch das geſchah mehr und mehr am leichteſten, wenn die Unternehmung es übernahm. Ein Mechanismus der freien geſellſchaftlichen Marktverſorgung entſtand, der durch das ſtete Steigen und Fallen der Preiſe, durch die Gewinnprämie für richtige, billige, gute Produktion, die Ver- luſtſtrafe für falſche, zu teure ſchlechte Produktion den größeren Teil der Warenerzeugung und den Handel in den rechten Bahnen erhielt. Natürlich nur in dem Maße, wie das nach der Größe und Iſoliertheit des Marktes, nach der Fähigkeit der Menſchen, nach den Zufällen der Natur und des Schickſals möglich war. In kleinen Staaten und Gebieten war es leichter als in großen Nationalſtaaten und gar in der heutigen Weltwirtſchaft. Mit der Kompliziertheit der Technik, den Entfernungen des Verkehrs, der wachſenden Größe der Betriebe wurde die Produktion für den Markt und die Vor- ratshaltung in der Hand der Unternehmer auf der einen Seite freilich erleichtert, auf der anderen aber wurde die Beurteilung des Bedarfs erſchwert, weil man für die ganze Welt und die ferne Zukunft ſpekulativ ihn faſſen ſollte. Daher neben der beſſeren Verſorgung im ganzen doch die wachſenden Klagen über Kriſen und Arbeitsloſigkeit, über Hauſſe und Baiſſe. Die harte Korrektur der falſchen Spekulation und Produktion durch Bankerotte mußte als ſtarker Mißſtand empfunden werden. Unlautere Gewinnabſichten konnten in das immer kompliziertere Spiel des Marktes leichter eingreifen. Schamloſe Gewinnſucht, rückſichtsloſe harte Konkurrenz, brutale Niederwerfung der Schwachen konnte ſündigen, wie kaum je früher. Der Socialismus erklärte deshalb: die Unternehmung taugt nicht; ſie will nur Wuchergewinn machen; ſie iſt herzlos und gleichgültig; ſie verſagt, wenn der Gewinn auf 1—2 % ſinkt, ſie wird erſt bei 10 % kühn, bei 50 % waghalſig, bei 100 % ſtampft ſie alle menſchlichen Geſetze unter die Füße, bei 300 % erlaubt ſie ſich jedes Verbrechen. Gewiß liegen nach dieſer Seite die dunkeln Schatten der Unternehmerthätigkeit. Aber es iſt nicht falſch, daß ſie bei 1 % erlahmt, bei 8—10 energiſch wird; zu mehr kommt ſie nur ſelten. Es iſt eine Verkennung aller menſchlichen Natur zu verlangen, daß der Menſch nicht nach Gewinn ſtrebe, nur muß die Moral- und die Rechtsregel dieſes Streben im Zaume halten. Durch Rieſengewinne laſſen ſich nicht bloß Unternehmer, ſondern die meiſten Menſchen beſtechen. Über einen Teil der Unvollkommenheit der bisherigen Unternehmungen können die Kartelle mit ihrer nationalen und internationalen Ausdehnung uns weghelfen. Ihre Schattenſeiten und Monopolmißbräuche verſchwinden, wenn ſie in die rechte Verfaſſung gebracht werden. Ob es omnipotente, ſtaatliche, kommuniſtiſche Organiſationen beſſer vermöchten, zumal in wechſelnd demokratiſchen Händen, das iſt eben die Frage, welche die Socialiſten bejahen, alle Kenner der Geſchichte und der Menſchen verneinen. Noch viel unwahrſcheinlicher iſt, daß es gelingen ſollte, eine ſocialiſtiſche Centralleitung der Weltwirtſchaft zu ſchaffen, was doch bei der heutigen geographiſchen Arbeits-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/472>, abgerufen am 28.03.2024.